Ein Erdbeben zerstört 1966 die Altstadt in Taschkent, 1986 macht die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl Prypjat unbewohnbar: Zweimal wird die ehemalige UdSSR an einem 26. April von Katastrophen getroffen. Jedes Mal entsteht eine Stadt neu. Und Stadtplaner sowie Architekten werden innovativ. Wie das aussehen kann, zeigen nun zwei Architekturbücher.

Egal, ob durch Naturkatastrophen oder Kriege: Wenn Städte nahezu komplett zerstört werden, hat das Auswirkungen auf die urbane Stadtplanung. So auch in Taschkent und Slawutytsch: Das Erdbeben von 1966 und der atomare Super-GAU von 1986 machten Tabula rasa im sowjetischen Städtebau.

Orientalische Altstadt, eine durch Stalin geprägte „Collage City“ oder eine Musterstadt der Sowjetunion: Taschkent entwickelt sich seit seiner Entstehung stetig weiter. Die usbekische Stadt ist dementsprechend eine Stadt der Gegensätze. Die Publikation „Seismic Modernism. Architecture and Housing in Soviet Tashkent“ beschreibt jetzt die Geschichte der modernen Stadtentwicklung Taschkents von der Vorgeschichte über den Beginn des seriellen Wohnungsbaus 1957 und den Bauboom nach dem Erdbeben bis zum Ende der Sowjetunion 1991. Einen Schwerpunkt bilden dabei die Wiederaufbaubemühungen nach dem Erdbeben, welche Innovationen diese auslösten und wie sie die Modernisierung der Stadt forcierten. Daneben werden die wichtigsten Bautypen detailgenau vorgestellt. „Seismic Modernism“ bietet damit einen guten Einblick in die sich über Jahrzehnte entwickelnde Baukultur in Taschkent.

Während in Taschkent Stadtplaner das historische Stadtzentrum bewusst auslöschten und neu errichteten sowie den restlichen Teil der Stadt umbauten, wurde Slawutytsch im Gegensatz dazu mitten in einem Kiefernwald in der Ukraine innerhalb von nur zwei Jahren komplett neu gebaut.

Mosaik der Baustile

Zerstörung nach dem Erdbeben vom 26. April 1966 | Copyright: © Philipp Meuser

Acht Sowjetrepubliken, acht Wohnviertel, acht verschiedene Baustile: Slawutytsch ist eine Stadt jenseits der scheinbar langweilig grauen Sowjetarchitektur. Architekten aus verschiedenen Teilrepubliken der UdSSR wie Aserbaidschan, Georgien, Russland, Litauen oder der Ukraine entwickelten und bauten die ukrainische Stadt. Dabei brachten die sich ändernden politischen Verhältnisse der Perestroika-Ära auch einen Wandel der Architektur mit sich. Das Ergebnis ist eine Stadt, die sowohl sozialistische Leitbilder als auch regionale Bautraditionen widerspiegelt. Als Ersatz für Prypjat, die kontaminierte Werkssiedlung des Kernkraftwerks, sollte mit Slawutytsch eine ökologisch nachhaltige und nutzerfreundliche Stadt entstehen – eine Vorzeigestadt. Damit gilt sie als die letzte ideale Planstadt der Sowjetunion. Der „Architectural Guide Slavutych“ dokumentiert nun alle Stadtviertel und zahlreiche Einzelbauten der Stadt. Dabei werden auch die Besonderheiten der einzelnen nationalen Architekturstile näher erläutert. Gleichzeitig bietet das Buch eine historische Einordnung und einen Überblick über die Bauzeit sowie ein Interview mit einem der Stadtplaner. Somit bietet der Architekturführer einen großartigen Überblick über die Stadtplanung und die Architektur Slawutytschs.

Insgesamt dokumentieren beide Bücher urbane Stadtplanung und sowjetische Architektur auf ansprechende Weise. Während der „Architectural Guide Slavutych“ wie ein normaler Stadtführer genutzt werden kann und auf Grund einer einfachen Sprache sowie Infokästen mit Hintergrundwissen auch für Anfänger geeignet ist, ist das Buch „Seismic Modernism“ wegen seiner wissenschaftlichen und sehr detaillierten Herangehensweise jedoch eher für Architekturbegeisterte zu empfehlen. Viele Fotos, Karten und Baupläne visualisieren diese Baukultur dankenswerter Weise. Denn egal, ob Fassadenmosaiken, besondere Sonnenschutzelemente oder hölzerne Fassaden: Für manchen westlich geprägten Leser wird es wohl doch eine Überraschung sein, dass es so einige Unterschiede in den seriellen Bauten gibt. Dass beide Publikationen dabei die sowjetische Stadtplanung und Architektur – vor allem hinsichtlich der mutwilligen Zerstörung der Überreste der Altstadt Taschkents – auch kritisch betrachten, ist absolut lobenswert. Alles in allem positiv!

Ivgeniia Gubkina: Architectural Guide Slavutych, DOM publishers, 200 Seiten, 28,00 Euro (Englisch, Russisch, Ukrainisch)
Philipp Meuser: Seismic Modernism. Architecture and Housing in Soviet Tashkent, DOM publisher, 256 Seiten, 28,00 Euro (Englisch und Russisch)

Christina Heuschen

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