Die Deutschstämmige Paula Moor ist 17 Jahre nach ihrer Ausreise als Entwicklungshelferin an den Ort ihrer Kindheit zurückgekehrt. Sie arbeitet für den Deutschen Enwicklungsdienst im tadschikischen Chorog. Tadschikistan ist Zentralasiens Land der Superlative: Es ist das kleinste Land mit den höchsten Berggipfeln, den größten Wasservorräten, mit den buntesten Frauenkleidern, aber auch das mit den ärmsten Bewohnern. /Foto: Sonja Bill/
Moor hat eine eckige Brille und trägt Turnschuhe. Weder eckige Brillen, noch Turnschuhe sind Mode da, wo sie gerade ist. Sie arbeitet in Chorog, der Haupstadt der autonomen Republik Bergbadachschan. Im Jahr 2007 hat Moor die Wahl gehabt zwischen Chorog und München. Sie hat sich für Ersteres entschieden. Chorog liegt im Pamirgebirge auf 2200 Metern Höhe im Südosten von Tadschikistan an der afghanischen Grenze. Von der Hauptstadt Duschanbe mit dem Hubschrauber eineinhalb Stunden entfernt. Fährt man mit den kleinen Taxis durch das Gebirge kann es auch mal 36 Stunden dauern.
Der Vater hat den Umzug nicht überlebt
Lachend sitzt Moor im Büro des Deutschen Entwicklungsdienstes in Duschanbe, froh mal wieder in der Hauptstadt zu sein. Es ist auch ihre Heimatstadt. Hier wurde sie geboren. Ihre Großeltern haben sich verloren, als sie 1941 aus einem kleinen Ort in der Ukraine nach Deutschland deportiert worden sind. Nach dem Krieg haben sich die Großeltern wieder gefunden – an einem Bahnhof irgendwo in Zentralasien. Ihre Eltern haben sich dann in Duschanbe kennen gelernt. Hier ist sie geboren und katholisch getauft worden. Gemeinsam mit 60.000 anderen Deutschstämmigen hat sie ihre Kindheit im deutschen Viertel von Duschanbe verbracht. Nach dem Zusammenfall der Sowjetunion ist ihre Familie 1990 als eine der ersten nach Deutschland ausgereist. „Jede Kindheit ist schön, auch wenn sie tragisch endet“, erinnert sich Moor an ihre Zeit in Tadschikistan zurück.
Die 1990er Jahre verbrachte sie vorwiegend in Wohnheimen für Russlanddeutsche und mit den Problemen einer Jugendlichen, die sich in einem anderen Kulturraum zurechtfinden muss. Ihr Vater „hat den Umzug nicht überlebt“ und ist ein halbes Jahr nach der Ankunft der Familie in Deutschland verstorben. „Eigentlich konnte ich so gut wie kein Deutsch“, beschreibt sie rückblickend ihren Start in Deutschland. In Duschanbe war sie schließlich auf eine russischsprachige Schule gegangen. Deutsch war die Sprache der Eltern, wenn sie stritten und die Kinder nichts verstehen sollten. Heute ist das anders. Paula Moor ist in Tübingen aufs Gymnasium gegangen. Sie spricht nun fließend Deutsch und ihr deutsches Lieblingswort ist „arg“.
Erschrocken über das Bildungsniveau
„So arg man versucht, sich von Tadschikistan zu distanzieren, ein Teil der Wurzeln ist hier geblieben“, skizziert sie die Verbundenheit zu ihrer alten Heimat. Im Jahr 2005 ist sie als Erste aus ihrer Familie nach Tadschikistan zurückgekehrt – seinerzeit um für ihre Diplomarbeit den „Transformationsprozess in Tadschkistan“ zu erforschen. Erschrocken war sie vor allem vom Bildungsniveau in Tadschikistan. Es ist eines der wenigen Länder, das seinen Bildungsstandard nicht verbessert, sondern verschlechtert. Viele Kinder gehen arbeiten. Viele Eltern haben kein Geld für die Schule oder im Winter keine Schuhe, um die Kinder in die Schule zu schicken. Von fehlenden Lehrmaterialien ganz zu schweigen. In Deutschland hat Paula Moor Wirtschaft studiert und der Traum, „Tadschikistan mitaufzubauen“, hat sie begleitet. Moor ist sehr emotional. Das passt zu den warmherzigen Menschen in Tadschikistan.
„Den Pamiris fehlt die Geschäftstüchtigkeit“
Der Traum begleitet sie auch jetzt – an Tagen ohne Strom, ohne Heizung in Chorog. „Ich hatte wahnsinniges Glück, dass ich im Pamir gelandet bin, der Entwicklungsstand ist hier höher, die Natur atemberaubend“, fasst sie ihre Eindrücke zusammen. Sie unterstützt hier im Auftrag des Deutschen Entwicklungsdienstes Kleinstunternehmen und fördert so die wirtschaftliche Entwicklung des Pamirs. „Den Pamiris fehlt die Geschäftstüchtigkeit. Sie verschenken alles viel lieber, als dass sie es verkaufen“, reflektiert Moor ihre Erfahrungen. „Tadschikistan ist kein tragisch armes Land, vieles liegt im Pamir auf der Straße“, so Moor weiter. Etwa alte Wolle, die nun zu Filz verarbeitet wird. Moor arbeitet mit Handwerkern zusammen, zum Beispiel mit Kamol, dem Filzmeister. Kamol hat Baumaterial für den Ausbau seiner Werkstatt bekommen, dafür hat er zwei Seminare gehalten, um andere in die Filzkunst einzuweisen. Taschen, Kleidung, Schuhe und Spielzeug – Moor ist mittendrin, berät und entwickelt neue Geschäftsideen. Zum Beispiel werden jetzt kleine Filztiere hergestellt und auf den Märkten in Duschanbe verkauft. „Die haben meine Jungs gemacht und darauf bin ich unheimlich stolz“, betont Moor. Sie entwickelt auch neue Produkte, kocht beispielsweise neue Marmeladensorten aus den Früchten des Pamirs. Geprägt von Nähe und Distanz zugleich charakterisiert sie ihre Zusammenarbeit mit den Einheimischen. Zum einen ist sie „Duschanbinka“ (eine Frau aus Duschanbe), zum anderen ist sie Deutsche. Zu ihrer Freundlichkeit und Emotionalität mischt sich Geschäftssinn. Den möchte sie weitergeben. Denn die Arbeitslosigkeit ist hoch im Pamir, und die Menschen sind von einer gewissen Erwartungshaltung geprägt, die sie sich zu Zeiten der Sowjetunion angeeignet haben.
„Ein Jahr reicht erst einmal“
Erholung findet Moor in den heißen, heilenden Quellen des Pamirs. Ein Dreivierteljahr ist sie nun schon hier und war noch nie krank. „Ich habe gedacht ein Jahr reicht erst einmal, aber jetzt denke ich, es ist verdammt kurz“, zieht sie Bilanz. Bis Frühjahr 2008 wird Moor noch in Tadschikistan arbeiten. Aber auch danach kann sie sich gut vorstellen, wieder nach Zentralasien zurückzukehren. Es gibt Sanddorn und Hagebutten im Pamir. All das sind Ressourcen, die mit ein wenig Geschäftssinn nutzbar gemacht werden können und zusätzlich die verheerende Wüstenbildung einschränken könnten…, lächelt Moor in sich hinein.
Schon jetzt ist sie bekannt im Pamir. Mehrere Sendungen über ihre Projekte wurden im Fernsehen von Bergbadachschan gezeigt. Auf den holprigen Straßen von Chorog wird sie erkannt und angesprochen. Nicht nur wegen ihrer eckigen Brille und den Turnschuhen.
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Deutscher Entwicklungsdienst
Der Deutsche Entwicklungsdienst (DED) ist ein europäischer Personalentsendedienst. Er wurde 1963 gegründet: Seither haben sich über 15.000 Entwicklungshelferinnen und Entwicklungshelfer dafür eingesetzt, die Lebensbedingungen von Menschen in Afrika, Asien und Lateinamerika zu verbessern. Gegenwärtig sind rund 1.000 Fachkräfte in über 40 Ländern tätig. Sie treten für eine Minderung der Armut, selbstbestimmte nachhaltige Entwicklung und den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen ein. Über die Personalentsendung im Rahmen der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit hinaus bietet der Deutsche Entwicklungsdienst auch Serviceleistungen für internationale Auftraggeber an. In Zentralasien ist der DED seit 2002 aktiv. Nachhaltige Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung sowie ländliche Entwicklung bilden die Kernbereiche des DED in Zentralasien. Mehr Informationen und Stellenanzeigen finden sich auf www.ded.de und http://zentralasien.ded.de.
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Von Sonja Bill
11/01/08