Am 24. Juni hatte die deutsch-französisch-kirgisische Filmproduktion „Tengri – Blue Heavens“ Weltpremiere auf dem Filmfest in München. Der Film basiert auf dem Roman „Dschamila” des kürzlich verstorbenen Schriftstellers Dschingis Aitmatow. Die DAZ sprach mit dem Produzenten und Kameramann Frank Müller und dem 21-jährigen Juri Höhne, der die Dreharbeiten unterstützt hat.

/Bild: William Franck/

Vor wenigen Tagen ist der kirgisische Schriftsteller Dschingis Aitmatow gestorben. Der von Ihnen produzierte Film „Tengri – Blue Heavens“, der auf dem Filmfestival in München Premiere hatte, könnte dadurch noch größere Aufmerksamkeit gewinnen. Worin sehen Sie Parallelen des Aitmatow-Werkes „Dschamila“ zu Ihrem Film „Tengri“?

Frank Müller:
Tengri ist in seiner Struktur und Idee sehr stark an Dschamila angelehnt. Man könnte fast sagen, es ist die Geschichte Dschamilas ins 21. Jahrhundert adaptiert. Eine großartige verbotene Liebesgeschichte mit einer ungewissen Zukunft in einer Atmosphäre von Krieg und alten Traditionen.

Worum geht es in dem Film?

Frank Müller:
Der 30 Jahre alte Kasache Temür muss die Hoffnung aufgeben, von seiner Arbeit als Fischer auf dem Aralsee leben zu können: Der See ist auf ein Zehntel seiner Fläche geschrumpft und zur Salzpfütze verkommen, in der keine Fische mehr leben können. Temür kehrt in seinen Heimatort in den Bergen Kirgisistans zurück und ist voller Hoffnung. Doch das Leben im Zeltdorf ist nicht mehr so, wie er es kannte. Die meisten Bewohner sind weggezogen. Es gibt keine Männer in seinem Alter mehr. Die Alten versteifen sich auf eine immer strengere Auslegung des Korans. Dann lernt Temür die 18jährige Amira kennen, die einsam auf ihren Mann, einen Mudschaheddin-Kämpfer, wartet.

Herr Höhne, sie haben als Zivildienstleistender ein Jahr in Bischkek gelebt. Wie kam Ihre Zusammenarbeit mit dem Filmteam zustande?

Juri Höhne: Ich habe Frank Müller auf eine für Bischkek typische Art kennen gelernt, als ich mit einer Freundin im Café saß und deutsche Stimmen am Nachbartisch hörte. Es ist immer ein schöner Moment, wenn man weit weg von der Heimat andere Deutsche trifft, deshalb haben wir direkt unsere Kontakdaten ausgetauscht. Frank Müller war von meiner Arbeit als Zivildienstleistender begeistert. Da ich früher Kurzfilme gedreht habe und schon etwas Vorerfahrung im Medienbereich hatte, hat er mich als Praktikant eingestellt.

Und was waren Ihre Aufgaben?

Juri Höhne:
Ich habe in Bischkek viele organisatorische Dinge übernommen, wie zum Beispiel die Wohnungssuche für das Team, Besorgung von Dingen, die man in Kirgisistan schwer bekommt, zum Beispiel spezielle Verbindungskabel, Paragliding-Schirme und -Flieger, einen Heissluftballon. Letzteres hat jedoch nicht geklappt. Dazu habe ich englisch-deutsch-russisch (und ein wenig kirgisisch) gedolmetscht und als Guide geholfen, denn ich kenne die Stadt und die Sprache mittlerweile sehr gut. Eines der Teams wußte nicht, wo man einkaufen kann und wie man für die Produktion schnell mehrere Tausend Dollar abheben kann. In solchen Momenten konnte ich helfen, denn nur ich wusste, dass man relativ unkompliziert im Hyatt Hotel an Geld kommt. Während der zweimonatigen Dreharbeiten in Naryn und am Issyk-Kul-See war ich dann eine komplette Woche mit einer Kamera unterwegs und habe das Making-off, also einen Streifen über die Entstehung des Films, gedreht, Interviews mit den Hauptdarstellern geführt und eine Woche mit dem Team zusammengelebt. Im September 2007 bin ich nach Deutschland zurückgekehrt und habe meine Ausbildung, ein Volontariat bei dem deutschen Fernsehsender Pro Sieben, angefangen.

Herr Höhne, Sie haben Land und Leute in Zentralasien ein Jahr lang kennengelernt. Doch für viele Deutsche ist Kirgisistan ein weißer Fleck auf der Landkarte. Was erwarten Sie von dem Film?

Juri Höhne:
Es ist immer wieder erstaunlich, dass Kirgisistan sehr unbekannt ist und die meisten es immer noch einfach unter „Russland“ einordnen – auch ich kannte das Land vorher nicht. Doch wenn man dort ist oder sich mit dem Land beschäftigt, fasziniert es einen. Ich hoffe, dass wir mit diesem Film die Leute für das Land begeistern, seinen Menschen mehr Aufmerksamkeit zukommen lassen und die einzigartige Kultur sowie die Landschaft in den Focus rücken können. Vielleicht werden einige Zuschauer auf die kleine Bergrepublik aufmerksam und fühlen, dass es noch etwas anderes auf der Welt gibt, dort in Kirgisistan, das wäre für mich schon ein Erfolg.

Herr Müller, Sie haben in einem trinationalen Filmteam, mit Deutschen Franzosen und Kirgisen, gearbeitet. Europäische Filmschaffende, die vor Ort in Zentralasien drehen wollen, beklagen hin und wieder ungünstige Vorraussetzungen und die schlechte Infrastruktur für Dreharbeiten. Wie sind da Ihre Erfahrungen?

Frank Müller:
Ich glaube, Kirgisistan hat es als kleines Land und trotz der schwierigen wirtschaftlichen Lage geschafft, eine relativ gut funktionierende Filmindustrie zu erhalten. Der Übergang von sowjetischer zu privatwirtschaftlicher Struktur ist trotz der vielen Schwierigkeiten im Land relativ gut gelungen. Es existiert nach wie vor eine sehr aktive Gemeinschaft von Filmemachern.

Sie thematisieren in Ihrem Streifen eine in Europa vergleichsweise unbekannte Region. 2007 hat der deutsche Regisseur Volker Schlöndorff mit „Ulschan“ einen Film über das zentralasiatische Kasachstan vorgestellt, und nicht zuletzt machte der Film „Borat“ Kasachstan und Zentralasien in Europa bekannter. Worin sehen Sie den Grund für eine zunehmende Auseinandersetzung europäischer Filmemacher mit Themen in Zentralasien?

Frank Müller: Zentralasien wird immer mehr an Bedeutung gewinnen, hier findet man – noch –
endlos viele, fast unberührte Naturlandschaften, die wir in Europa zum Teil längst verloren haben. Und hier werden sich sicher viele absehbare Konflikte unserer Weltgemeinschaft abspielen, ausgelöst durch das Aufeinandertreffen der europäischen und der asiatischen Kultur, die Auswirkungen des Klimawandels, den Verlust von Wasserreserven.

Herr Höhne, Herr Müller, vielen Dank für das Gespräch!

Am 29. Juni 2008, um 15 Uhr, hat der Film „Tengri“ im kirgisischen Bischkek Premiere. Weitere Informationen zum Film: www.tengri-film.de

27/06/08

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