Am 22. Dezember 2019 fanden in Usbekistan Parlamentswahlen statt. Diese fügten sich zwar nahtlos in den Reformprozess ein, den die neue Staatsführung begonnen hat. Sie zeigten andererseits aber auch, dass sowohl die Parteien als auch das gesamte System der öffentlichen Verwaltung noch viel Arbeit bei der Beseitigung von Fehlern vor sich haben.
Die Wahlen der Abgeordneten zum gesetzgebenden Unterhaus des usbekischen Parlaments (Oliy Majlis) sowie von Vertretern der regionalen und lokalen Regierungen (Kengashes) fanden in zwei Runden statt, da einige Kandidaten nicht auf Anhieb genügend Stimmen bekamen. Die Wahlbeteiligung in der ersten Runde betrug 71,1 Prozent, insgesamt stimmten 13.355.911 von 18.797.810 registrierten Wählern in 10.260 Wahllokalen in Usbekistan ab. Zusätzlich nutzten 150.000 Wähler das Vorwahlrecht, das vom 12. bis 18. Dezember in 55 Wahllokalen in Usbekistan und im Ausland galt. Wähler in Haftanstalten und anderen Orten der Freiheitsentziehung machten ebenfalls von ihrem Wahlrecht Gebrauch.
Darüber hinaus zogen sich sechs Kandidaten vor Beginn der Wahlen zurück – freiwillig und ohne jeglichen Druck, wie es von Seiten der Zentralen Wahlkommission (ZWK) hieß. Dagegen erschienen in den Medien Nachrichten aus anonymen Quellen, dass einige Kandidaten gezwungen waren, die Teilnahme an den Wahlen zurückzuziehen.
Fast alle Parteichefs bereits in der ersten Runde gewählt
Nach den Ergebnissen der Neuwahlen, die am 5. Januar in 25 Wahlkreisen abgehalten wurden, sieht die Sitzverteilung im Unterhaus wie folgt aus: die UzLiDeP kommt auf 53 Sitze, Milliy Tiklanish auf 36, Adolat auf 24, die Demokratische Volkspartei auf 22, die Ökologische Partei auf 15. Somit erhielt die UzLiDeP das Recht, ihren Kandidaten für den Premierminister zu ernennen.
Es ist bemerkenswert, dass die Vorsitzenden von vier der fünf Parteien in der ersten Runde gewählt wurden. Nur Alisher Kadyrov von Milliy Tiklanish wurde erst in der zweiten Runde gewählt. Beobachter führten dies auf eine Online-Kampagne zur Wahl von jungen Menschen und Frauen zurück. Diesbezüglich gab es jedoch positive Veränderungen: Der jüngste Kandidat ist 26 Jahre alt, und die Zahl der weiblichen Abgeordneten hat sich verdoppelt (von 24 auf 48).
Niedrige Beteiligung bei Parlamentswahlen in Usbekistan
Der Spezialist für internationale Beziehungen am Moskauer Carnegie-Zentrum Yuriy Sarukhanian bemerkt: „Die Staatsführung nutzte die Parlamentswahlen, um das Image des Regimes zu verbessern. Und das ist ihr zum ersten Mal in der Geschichte des Landes gelungen, was die Teilnahme einer vollwertigen Beobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bestätigt. Die normalerweise gesichtslosen und uninteressanten Parlamentswahlen wurden plötzlich zu einem bemerkenswerten politischen Ereignis. Zumindest haben die Wähler begonnen, Parteiführer und mehrere andere Parteiaktivisten anzuerkennen.“
Dass dennoch die Wahlbeteiligung bei diesen Wahlen die niedrigste seit 1991 war, lässt zwei Schlussfolgerungen zu: zum einen, dass der Wahlkampf ineffektiv war, und zum anderen, dass die Bürger dem Parlament immer noch nicht trauen. Die Parteiführer waren sich ihrerseits darin einig, dass die Wahlen transparent gewesen seien und einen konstruktiven Dialog zwischen den Menschen und der Regierung gebildet hätten.
Zahlreiche Beschwerden wegen Unregelmäßigkeiten
Die Wahlen verliefen gleichwohl nicht ohne Verstöße. Dabei waren Bürger, Blogger, Medien und Parteivertreter selbst aktiv, um diese zu identifizieren und der Öffentlichkeit mitzuteilen. Für die Kanäle des Messaging-Dienstes Telegram erstellte der Rechtsanwalt und Blogger Khushnudbek Khudoyberdiyev ein Programm, mit dessen Hilfe jeder Bürger Fälle von Wahlverstößen melden konnte – von illegalen Kampagnen am Wahltag bis hin zu illegalen Abstimmungen.
Es gab Fälle, in denen lokale Exekutivorgane Druck auf die Wahlkommission ausübten, um bestimmte Kandidaten zu fördern. In einem Wahllokal wurden mehrere Stimmzettel von ein und derselben Person unterzeichnet, und die Stimmrechtsvertreter durften nicht wählen. In einem anderen Wahllokal nutzten Mitglieder der Wahlkommission die Abwesenheit von Beobachtern dafür, zusätzliche Stimmzettel in die Wahlurne zu werfen.
Insgesamt erhielt die Staatsanwaltschaft 44 Beschwerden allein am Wahltag. Gegen Personen, die das Wahlgesetz grob verletzt hatten, leitete sie Strafverfahren ein. Die übrigen Fälle werden untersucht.
Wahlkommission spricht von „menschlichen Fehlern“
Die OSZE-Mission stellte zwar erstmals seit 1999 eine größere Offenheit und Transparenz der Wahlen fest. Sie betonte in ihrem Bericht aber auch, dass es eine Reihe schwerwiegender Verstöße gegeben habe. Die Mission wies darauf hin, dass es am Tag der Abstimmung in den Wahllokalen Fälle von Gruppenstimmen, Verstößen bei der Registrierung der Wähler und der Auszählung der Stimmen sowie Schwierigkeiten beim Ausfüllen der endgültigen Protokolle gab.
Der Vorsitzende der ZWK, Mirzo-Ulug‘bek Abdusalomov, verwies jedoch auf menschliche Fehler. Er schlug die Einführung von Informations- und Kommunikationstechnologien vor, um Betrugsfälle in Zukunft auszuschließen. Ihm zufolge wird die Einführung der elektronischen Stimmabgabe erörtert.
Carnegie-Experte Sarukhanian bemerkt, dass „die Behörden begannen, die Erwartungen der Öffentlichkeit an das neue Parlament schon vor den Wahlen zu dämpfen, als die ZWK ankündigte, dass ein modernes gesetzgebendes Organ erst nach mehreren Einberufungen möglich wird.“
Erste Sitzung des Unterhauses nach den Parlamentswahlen in Usbekistan
Inzwischen fand am 20. Januar die erste Sitzung des Unterhauses statt. Dabei wurde Nurdinjon Ismailov von der Demokratischen Volkspartei Usbekistans zum Sprecher des Unterhauses gewählt. Akmal Saidov wurde in das Amt des ersten stellvertretenden Sprechers gewählt, das zuvor neu eingerichtet worden war. Fünf politische Parteien haben ihre Fraktionen im Unterhaus registriert, und ihre Vorsitzenden haben jeweils das Amt des stellvertretenden Sprechers übernommen.
Präsident Shavkat Mirziyoyev nahm ebenfalls an der Sitzung teil, wo er die Wahlen als wichtige politische Prüfung für Usbekistan bezeichnete. Der Präsident erwähnte, dass im Wahlkampf einige Mängel festgestellt wurden. Er wies auf die Notwendigkeit hin, die organisatorischen und rechtlichen Grundlagen des nationalen Wahlsystems weiter zu verbessern. Weiter schlug Mirziyoyev vor, gemeinsam mit der Akademie der öffentlichen Verwaltung Kurse für Abgeordnete durchzuführen. Er äußerte zudem die Notwendigkeit, die ständige Kommunikation mit den Wählern über mobile Anwendungen aufrechtzuerhalten.
Am 21. Januar fand eine gemeinsame Sitzung von Unterhaus und Senat statt. Dort wählten die Abgeordneten Abdulla Aripov, den die UzLiDeP nominiert hatte, zum Ministerpräsidenten. Die Zusammensetzung des gesamten Ministerkabinetts blieb mit Ausnahme einiger Versetzungen unverändert.
Mehr Aktivität in der Bevölkerung
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die jüngsten Wahlen die politische Aktivität in der Bevölkerung erhöht haben. Gleichzeitig haben sich deren Anforderungen an die Parteien erhöht.
So paradox es klingt: Die geringe Wahlbeteiligung ist auch ein Zeichen dafür, dass sich die tatsächliche Meinung in der Bevölkerung stärker in den Ergebnissen widerspiegelt und die Wahlen transparenter geworden sind. Die Praxis der „idealen“ Wahlen, bei denen die Verantwortlichen unrealistisch hohe Zahlen zur Wahlbeteiligung konstruierten, hat sich überlebt. Um die volle Unterstützung der Wählerschaft zu gewährleisten, müssen die Parteien aber weiterhin effizienter arbeiten. Auch müssen sie die im Wahlkampf gemachten Zusagen einhalten.
Fortschritte hängen vom Handlungsspielraum des Parlaments ab
Die Tatsache, dass sich die Wähler über Wahlverstöße in sozialen Netzwerken austauschen konnten, zeigt ebenso wie die offene Untersuchung dieser Verstöße durch die Organe für innere Angelegenheiten, dass die Führung des Landes Bereitschaft demonstriert, das politische Umfeld und die öffentliche Verwaltung zu verbessern. Das Ministerkabinett hat jedoch keine größeren Personalumstellungen durchlaufen, wodurch der derzeitige Status quo erhalten bleiben könnte.
„Wettbewerbe zwischen ‚Präsidentenparteien‘ sind kein Indikator für eine echte Liberalisierung des Regimes. Die Parteien kritisierten sich aktiv gegenseitig, äußerten sich jedoch nur vorsichtig über die Regierung. Unabhängig von der Parteizugehörigkeit führten die Politiker alle Probleme auf die Entscheidungen der ‚vergangenen 25 Jahre‘ zurück, unterstützten einstimmig den Kurs der gegenwärtigen Führung und versuchten nicht einmal, sich dagegen auszusprechen. Der Übergang vom Rebranding hin zu echten Veränderungen in der öffentlichen Verwaltung wird davon abhängen, inwieweit man dem neuen Parlament erlaubt, seine Aufgaben zu erledigen“, schließt Carnegie-Experte Sarukhanian.