Die Rede des Präsidenten Nursultan Nasarbajews an das Volk Kasachstans soll nicht nur im eigenen Land gehört werden. Diplomaten haben das Regierungsprogramm auch im Ausland bekannt gemacht. Unser Schweizer Korrespondent David Kunz hat mit dem ständigen Vertreter Kasachstans in der UNO und dem Botschafter in der Schweiz, Kairat Abusseitow, gesprochen.
Herr Abusseitow, das diesjährige „Schreiben des Präsidenten ans Volk Kasachstans“ trägt den Titel „Neues Kasachstan in der neuen Welt“. Wie ist dieser Titel zu verstehen, und was meint Präsident Nasarbajew mit der „neuen Welt“?
Die Definition „Neues Kasachstan“ wurde von Präsident Nasarbajew verwendet, um die neue Phase der nationalen Entwicklung zu unterstreichen. Der Staat ist dabei, sich politisch, ökonomisch und technologisch schrittweise zu modernisieren, indem anspruchsvolle Ziele gesteckt werden. Der Titel dieser Botschaft soll den Leuten ein Gefühl neuer Möglichkeiten vermitteln. „Neue Welt“ steht indes für eine sich konstant verändernde internationale Umgebung.
Das Volk Kasachstans ist Adressat des Schreibens. Inwieweit ist der Inhalt der Worte des Präsidenten wirklich für das Volk bestimmt?
Die Geschichte gab Kasachstan vor 16 Jahren die einmalige Chance, einen Nationenbildungsprozess unter relativ friedlichen Umständen zu starten. Die Bedürfnisse der einfachen Bürger in Kasachstan sind nichts Außergewöhnliches: Eine gute Ausbildung und ein funktionierendes Gesundheitssystem, verlässliche Arbeitsmöglichkeiten und ein Sozialsystem. Die Menschen wollen vom Präsidenten informiert werden, wie die Regierung diesen Ansprüchen zu genügen gedenkt. Es gibt das gemeinsame Verständnis, dass eine übergreifende Modernisierung die einzige Option für ein Land und seine Bevölkerung ist, sich erfolgreich weiter zu entwickeln.
Das Schreiben des Präsidenten wird auch als Standortbestimmung bezeichnet, auf dem Weg zur kasachischen Vision, 2030 zu den modernsten 50 Staaten der Welt zu gehören. An welcher Stelle liegt Kasachstan denn im Moment? Wie stehen die Chancen, dass dieses Ziel eventuell bereits früher erreicht werden könnte?
Zurzeit steht Kasachstan an 56. Stelle des Wettbewerbsfähigkeitsindexes des World Economic Forums (WEF). Kasachstan wird definitiv viel früher als im Jahr 2030 dem Club der 50 angehören. Die Strategie 2030 ist indes ein Programm für Maßnahmen von längerer Dauer, und wir sehen sie als ein strategisches Planungsinstrument.
Wiederholt werden im Schreiben des Präsidenten die Beziehung und die Stellung Kasachstans gegenüber den anderen zentralasiatischen Staaten erwähnt. Sie, Herr Botschafter, verwenden die Metapher, die GUS-Staaten seien fünf Finger, die zusammen an einer Hand sind. Welche Konsequenzen hatten die Ereignisse in Turkmenistan und der Tod von Präsident Saparmurat Nijasow für Kasachstan?
Lassen sie mich diese Metapher kurz ausführen. Jedes Land in Zentralasien hat seine eigene politische Kultur und sein eigenes Modell ökonomischer Entwicklung, und wir respektieren diese Entscheidungen. Das bedeutet für uns gute Nachbarschaft. Gleichzeitig glauben wir, dass die Einheit Zentralasiens durch gemeinsame Projekte in verschiedenen Sphären demonstriert werden kann, von Migration bis hin zu regionaler Sicherheit. Seit seiner Entstehung hat Kasachstan den regionalen Multilateralismus stark unterstützt – alle Länder sind wie Finger einer Hand. Sie sind unterschiedlich, können aber nur zusammen erfolgreich sein. Was Turkmenistan betrifft, so ist dies ein Land mit spezifischer politischer Kultur, und Veränderungen sollten vorsichtig durchdacht werden. Dieses Land mit seinen großen Gasvorkommen und seiner wichtigen strategischen Lage kann eine positive Rolle in der Entwicklung Zentralasiens und der Kaspischen Region spielen. Der neue Präsident Gurbanguly Berdymuchammedow hat erklärt, dass er Präsident Nijasows Kurs weiterführen wolle. Trotzdem gibt es Entwicklungen auf politischer und sozialer Ebene. Aufmerksamkeit wird vor allem den einfachen Leuten gewidmet; so wurden zum Beispiel Renten für ältere Menschen wieder eingeführt. Außerdem gibt es Bemühungen, den Zugang zum Internet zu erleichtern, das Erziehungssystem den internationalen Normen anzupassen und Turkmenistan dem Ausland noch mehr zu öffnen. Ich glaube, dies sind Schritte in die richtige Richtung.
In der Rede des Präsidenten wird neben den ehemaligen Sowjetstaaten auch China als wichtiger Partner Kasachstans hervorgehoben. Wird sich Kasachstan vermehrt in Richtung Osten orientieren?
Der chinesische Markt ist sowohl eine Chance als auch eine Herausforderung. Daher ist es unsere Aufgabe, den Vorteil zu nutzen, ein direkter Nachbar Chinas zu sein und unsere Produkte und Dienstleistungen dem wachsenden Markt dieses Landes anzubieten. Die Außenpolitik Kasachstans ist jedoch ausgeglichen. China wird unser wichtiger Partner bleiben, aber es gibt keine Änderung in der Haltung gegenüber diesem Land.
Zurzeit steht auf der internationalen Agenda das Thema Klimawandel und Klimaschutz sehr weit oben. Im Schreiben des Präsidenten ist davon überhaupt nicht die Rede. Entspricht das auch dem Stellenwert dieses Themas in Kasachstan?
Unsere Regierung ist am Abwägen, das Kyoto-Protokoll zu unterzeichnen, aber gleichzeitig auf alle Staats- und Industrieeinheiten Rücksicht zu nehmen. Dieser Prozess wird begleitet von einer öffentlichen Debatte über Vor- und Nachteile zukünftiger Entscheidungen. Der Konsens muss noch gefunden werden. Umwelt ist eines der Schlüsselprobleme, dem Kasachstan gegenübersteht, insbesondere, was das Erbe der Militärindustrie der ehemaligen Sowjetunion angeht. Daher betont der Präsident den Bedarf an internationalen Standards in Bezug auf Umweltschutz und den Einsatz neuer, umweltschonender Technologien. Das Hauptprinzip ist hier eine optimale Kombination ökonomischer, sozialer und ökologischer Faktoren.
In seinem Schreiben an das Volk erwähnt der Präsident, dass die positive wirtschaftliche Entwicklung eine Verstärkung der sozialen Reformen ermögliche und listet diverse Verbesserungen auf. Sind die Mittel, die aus dem vom Staat erzielten Profit an das Volk zurückkommen, Ihrer Meinung nach ausreichend?
Unser Ziel ist es, im nächsten Jahr das Bruttoinlandsprodukt im Vergleich zum Jahr 2000 zu verdoppeln. Abgesehen davon, dass es ein überzeugender Indikator des ökonomischen Wachstums Kasachstans ist, zeigt es unser Potenzial, den Lebensstandard der Menschen zu verbessern. Als Beispiel kann ich die Erhöhung der Stipendien und Studienfonds, das stetige Wachstum der Einkommen oder die Unterstützung von Familien erwähnen. Außerdem werden die Rentenzahlungen stabilisiert und jährlich erhöht. Niemand behauptet, dass dies genug ist, um alle Bedürfnisse zu decken. Die Regierung konzentriert sich auf die Bedürfnisse der sozial benachteiligten Leute, älterer Menschen, Kinder und Familien mit niedrigem Einkommen.
Herr Botschafter, vielen Dank für das Interview!
30/03/2007