Seit 26. August ist Johann Saathoff neuer „Russlandbeauftragter“ der Bundesregierung. Der SPD-Bundestagsabgeordnete aus Ostfriesland ist fünffacher Familienvater, Diplom-Verwaltungswirt und Energieexperte. Wir haben mit ihm vor kurzem über seine Prioritäten für Zentralasien, das Potential für erneuerbare Energien in der Region und wirtschaftliche Zusammenarbeit gesprochen.

Herr Saathoff, Ende August sind Sie als Nachfolger von Dirk Wiese zum Koordinator für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit Russland, Zentralasien und den Ländern der Östlichen Partnerschaft ernannt worden. Welche Themen stehen für Sie auf der Agenda, wo liegen die Prioritäten?

Mir sind zwei Schwerpunkte besonders wichtig: Jugend und Begegnung einerseits, das Feld der Erneuerbaren Energien andererseits. Für mich selbst war als Heranwachsender die Begegnung mit Jugendlichen aus anderen Ländern in internationalen Sommercamps eine prägende Erfahrung. Deshalb möchte ich Austausch und Begegnung von Mensch zu Mensch nach Kräften ermutigen und unterstützen. Und als Bundestagsabgeordneter aus Ostfriesland mache ich seit Jahren Wirtschafts– und Energiepolitik mit einem Fokus auf den Erneuerbaren Energien. Zentralasien ist vom Klimawandel stark betroffen, zugleich finden sich hier besonders günstige Bedingungen für die Erneuerbaren und vielerorts die Notwendigkeit für dezentrale Energieversorgung. In der Energiewende hat Deutschland Erfahrungen gemacht, die wir gerne teilen, und deutsche Unternehmen verfügen über besonderes Know-How. Darin sehe ich große Chancen auch für den Austausch zwischen Gesellschaften.

Zuletzt zogen die Proteste in Belarus, die Vergiftung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny und die Diskussionen um Nord Stream II enorm viel Aufmerksamkeit auf sich. Hatten Sie trotzdem bereits Gelegenheit, sich mit Entscheidungsträgern und zivilgesellschaftlichen Akteuren aus Zentralasien auszutauschen?

Gerade Zentralasien finde ich eine besonders interessante Region, auch mit Blick auf Klima- und Energiepolitik. In Berlin habe ich schon einige der Botschafter der zentralasiatischen Staaten zu einem ersten Austausch getroffen, außerdem habe ich auf einem Diskussionsforum zum Thema regionale Zusammenarbeit rund um das Kaspische Meer gesprochen. Ich freue mich natürlich darauf, noch sehr viel mehr Menschen gerade aus der Zivilgesellschaft kennen zu lernen. Der Digitalisierungsschub, den wir in der Covid-19-Pandemie erleben, macht es ja leichter als je zuvor, sich zwischen Deutschland und Zentralasien im digitalen Raum zu begegnen, und das habe ich auch vor.

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Der kasachische Präsident Kassym-Schomart Tokajew hat immer wieder klargemacht, dass für ihn der Übergang von fossilen zu erneuerbaren Energien eine bedeutende Rolle beim Umbau der kasachischen Wirtschaft spielt. Als energiepolitischer Koordinator der SPD-Bundestagsfraktion haben Sie sich bereits unter diesem Aspekt mit der Region befasst. Was sind Ihre bisherigen Beobachtungen und welche Fortschritte sehen Sie hier insbesondere in Kasachstan?

Kasachstan hat, wie alle zentralasiatischen Staaten, großes Potenzial für Erneuerbare Energien und vielerorts ist dezentrale Energieversorgung die beste Lösung. Die Regierung hat sich ja konkrete Ziele gesetzt: Emissionsreduktion unter dem Pariser Klimaabkommen einerseits sowie Ausbau der Erneuerbaren Energien, Steigerung von Energieeffizienz und Ausbau umweltfreundlicher Mobilität andererseits. Der Solarpark Saran bei Karaganda mit einer Leistung von 100 Megawatt ist ein gut sichtbares Beispiel dafür, dass es auf diesem Weg auch voran geht. Der Anteil der Erneuerbaren an der Gesamtstromerzeugung hat sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich erhöht – allerdings ist da sicherlich noch viel mehr möglich. Deutschland und Kasachstan arbeiten seit Jahren eng zusammen auf dem Feld der Erneuerbaren, beispielsweise unterstützen wir die Erarbeitung einer Strategie für mehr Erneuerbare in der Stromerzeugung. Es gibt schon vielfach Zusammenarbeit zwischen deutschen und kasachischen Ministerien und Institutionen. Ich will diese Zusammenarbeit unterstützen und, wo möglich, weiter ausbauen.

Deutsche Unternehmen haben bereits zahlreiche Energieprojekte gemeinsam mit Partnern in Kasachstan realisiert – unter anderem im Solarbereich. Wo sehen Sie künftig noch große Chancen für weitere erfolgreiche Engagements in der Region?

Als Energiepolitiker sehe ich fast überall in Zentralasien auch großes Potenzial für Windenergie. Hier kommen günstige Bedingungen für die Erzeugung von Windenergie und gute Voraussetzungen für die Speicherung von Energie über Pumpspeicherwerke in Verbindung mit den vorhandenen Staubecken in einigen der fünf zentralasiatischen Staaten zusammen. Eine Zukunftstechnik ist grüner Wasserstoff, also mit Hilfe von Erneuerbaren Energien – wie beispielsweise Windenergie – durch Elektrolyse oder Methancracking gewonnener Wasserstoff, der als umweltfreundlicher Treibstoff nutzbar ist. Da ließe sich perspektivisch auch an Export durch Pipelines denken.

Hinzu kommen auch noch sehr gute Voraussetzungen für Geothermie, nicht zuletzt im Raum Almaty. Allerdings werden Investitionsentscheidungen bekanntlich nicht von Politikern getroffen, sondern von Unternehmen. Deshalb ist es gut, dass für Anfang November eine virtuelle Geschäftsreise für deutsche Unternehmen nach Kasachstan zum Thema „Eigenversorgung mit erneuerbaren Energien für Gebäude und Industrie in Kasachstan“ geplant ist, organisiert u.a. von der Delegation der Deutschen Wirtschaft für Zentralasien. Da können sicherlich gute Kontakte zwischen Unternehmen aus Deutschland und Kasachstan entstehen.

Welche Hürden sehen Sie nach wie vor für deutsche Unternehmen, die in der Region an der Planung und Umsetzung gemeinsamer Wirtschaftsprojekte beteiligt sind, und wo könnten hier aus Ihrer Sicht Verbesserungen erreicht werden?

Für gute wirtschaftliche Beziehungen kommt es erst einmal natürlich darauf an, dass Deutschland und Europa wie die Staaten Zentralasiens die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie so gut wie möglich meistern. Dafür engagieren sich Deutschland und Europa zu Hause wie in ihrer Nachbarschaft, und auch Kasachstan beispielsweise unternimmt ja große Anstrengungen, die Folgen von Covid-19 für Bürger und Unternehmen abzufedern. Dann spielt ja auch das generelle Umfeld in einem Land eine wichtige Rolle. Kasachstan und Usbekistan verfolgen seit einiger Zeit Reformkurse, Kirgisistan ist als parlamentarische Demokratie ein Vorreiter in Zentralasien – dessen Entwicklung gerade in diesen Tagen natürlich sehr aufmerksam beobachtet werden muss. Generell lässt sich festhalten, dass deutsche Unternehmen für Investitionsentscheidungen auch Aspekte wie Rechtssicherheit, gute Regierungsführung, korruptionsfreie Geschäftsumgebung sowie die Existenz bürgerlicher Rechte und Freiheiten bewerten. In dieser Hinsicht gilt: Was gut für die Geschäfte ist, ist auch gut für die Zivilgesellschaft und für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit.

In welchen weiteren Bereichen sehen Sie Potenzial für eine Intensivierung der Zusammenarbeit Deutschlands mit den Ländern Zentralasiens, das bislang nicht ausgeschöpft wurde?

Traditionell eng sind ja die kulturellen Brücken zwischen Deutschland und Kasachstan, auch dank der Kasachstandeutschen, die eine besondere Verbindung zwischen unseren Ländern begründen. Deutsch ist in Kasachstan die beliebteste westliche Fremdsprache nach Englisch, das Interesse an deutscher Kulturarbeit ist groß. Es gibt da also schon viel Zusammenarbeit, und ein „zu viel“ kann es bei kultureller und zwischengesellschaftlicher Zusammenarbeit auch gar nicht geben. Außerdem sehe ich noch viel Potenzial im Bildungsbereich, in dem Kasachstans Regierung ja etwa auch nach mehr akademischer Mobilität strebt. Wenn das Reisen zwischen unseren Ländern hoffentlich bald wieder einfacher wird, sehe ich auch im Hochschulbereich noch großes Potenzial, um unsere Beziehungen weiter zu intensivieren.

Sofern es die Corona-Situation zulässt: In welche Länder der Region haben Sie Reisen geplant und mit welchem Ziel?

In der Covid-19-Pandemie ist es aus meiner Sicht leider unrealistisch, Reisepläne zu schmieden. Bischkek habe ich vor einigen Jahren bereits als Bundestagsabgeordneter besucht, was ich sehr beeindruckend fand. Natürlich möchte ich gerne noch einmal nach Kirgisistan reisen und auch die anderen Länder Zentralasiens besuchen. Erst einmal suche ich nun den Austausch mit den Menschen Zentralasiens im virtuellen Raum – in Online-Gesprächen und Konferenzen. Ich hoffe sehr, dass ich bald auch tatsächlich reisen werde und dass der Austausch von Angesicht zu Angesicht wieder leichter möglich wird. Darauf freue ich mich schon.

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Christoph Strauch.

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