Zwei Studenten aus Kasachstan erzählen von ihrem Uni-Leben in Deutschland.
Olga und Roman Zhuravel haben 2016 das Gymnasium Nr. 68 abgeschlossen und ein DSD-Sprachzertifikat erhalten. Anschließend sind sie mit 18 Jahren nach Deutschland ausgewandert, um dort eine Ausbildung zu beginnen. Schon seit 6 Jahren leben die beiden als Paar zusammen in Deutschland. Zuerst absolvierten sie gemeinsam das Studienkolleg – einen Vorbereitungskurs für Ausländer, die nach Deutschland zum Studieren kommen und das deutsche Abitur nicht haben. Jetzt sind sie Studenten an der Technischen Hochschule Mittelhessen. Roman studiert Wirtschaftsinformatik und Olga Social Media Systems.
Roman, Olga, warum habt ihr euch für ein Studium in Deutschland entschieden?
Roman: Das Schicksal wollte es so mit uns. Wir gingen aufs deutsche Gymnasium, waren in einer Klasse und haben das deutsche Sprachdiplom erworben. Die Gelegenheiten, die unsere Schule uns gab, und die Unterstützung von unseren Eltern haben die Frage bezüglich der Studienauswahl sehr schnell beantwortet.
Nachdem ihr in Deutschland angekommen seid, solltet ihr euch an die deutsche Sprache anpassen. Wie ist euch das gelungen, und welche Tipps könnt ihr anderen Neulingen in Deutschland geben?
Olga: Wie Roman eben auch sagte, haben wir in der Schule seit der ersten Klasse Deutsch gelernt. Zum Glück hatten wir am Anfang ausreichend Kenntnisse und konnten die Sprache sehr gut verstehen. Natürlich gab es Situationen, wo wir etwas nicht begreifen konnten. Aber auch in diesen Fällen haben wir uns einfach entschuldigt und nochmal nachgefragt. Also mein Tipp wäre, keine Angst vor dem Sprechen zu haben, und wenn man etwas nicht versteht, einfach darum zu bitten, die Aussage zu wiederholen.
Roman: Und manchmal muss man auch die Leute bitten, nur auf Hochdeutsch zu reden. Am Anfang haben wir in Köthen gelebt. Die Stadt liegt in Sachsen-Anhalt, dort spricht ein großer Anteil der Bevölkerung nur Dialekt oder Umgangssprache, und wir haben es in der Schule ganz anders gelernt.
Wie habt ihr euch in die deutsche Community integriert? Habt ihr deutsche Freunde gefunden?
Olga: Am Anfang war es natürlich schwer. Als Ausländer wird man leider als Fremder wahrgenommen, und es kann auch sein, dass am Anfang unsere Deutschkenntnisse nicht ausgereicht haben, um Kontakte zu knüpfen. Im Studienkolleg haben wir uns mit unseren Kommilitonen aus der ganzen Welt nur auf Deutsch unterhalten und so unsere Sprachkenntnisse und Soft-Skills trainiert. Das war sozusagen eine Zwischenstufe.
Jetzt, nach sechs Jahren in Deutschland hat sich die Situation sehr verändert. Wir haben viele Bekannte in Deutschland gefunden und haben auch deutsche Freunde. Wenn man kommunikationsbereit und offen ist, wird man mit der Zeit bestimmt akzeptiert.
Roman: Man muss im Studienkolleg mit Professoren mehr interagieren, so kommt man auch in Kontakt mit Deutschen. Viele Professoren haben Lust, mit Studenten zu interagieren. Somit kann man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Man kann zum Beispiel Hilfe bei Mathe bekommen und nebenbei mit dem Professor quatschen – auch etwa zu Themen wie Weiterbildung oder Beruf.
In die Studentencommunity kommt man während des Studiums durch Interesse am Fach rein. Wenn du an etwas Fachlichem interessiert bist, findest du Menschen, die das Gleiche wissen wollen. Dann forscht ihr einfach zusammen, und daraus ergeben sich Bekanntschaften wie von selbst.
Wie sah eure Wohnungssituation in Deutschland am Anfang aus? Wie hat sie sich während eures Studiums entwickelt?
Roman: Wir hatten am Anfang verhältnismäßig Glück. Als wir einen Platz im Studienkolleg bekamen, bekamen wir sofort auch beide ein Zimmer im Wohnheim. Unsere Zimmer waren groß genug und neu renoviert. Wir brauchten täglich nur eine Minute bis zum Studienkolleg laufen, und für die Zimmer mussten wir nur 220 Euro zahlen. Nach dem Studienkolleg hatten wir die Möglichkeit, weiter zu studieren. Wir zogen dann zu meiner Schwester nach Hessen. Sie gab uns eine Unterkunft für die erste Zeit. Danach erfuhren wir zufällig von einer Bekannten, dass sie einen Nachmieter für Ihre Wohnung in Gießen suchte. Die Wohnung liegt in der Stadtmitte, und man kommt von dort schnell an unsere Hochschule. Wir haben jetzt genug Platz für uns beide in unserer 55-Quadratmeter-Wohnung. Am Wochenende laden wir Freunde ein, und die können sogar bequem bei uns übernachten.
Wie habt ihr euer Leben finanziert? Habt ihr gearbeitet, und wenn ja, wo?
Olga: Am Anfang hatten wir unsere Sperrkonten, in die von unseren Eltern Geld investiert wurde. Nach dem letzten Stand müssen ausländische Studenten auf ihren Sperrkonten 10.000 Euro für jedes Jahr haben. Die ersten drei Jahre haben das stets unsere Eltern finanziert. Das heißt aber nicht, dass wir jedes Jahr 10.000 Euro verbraucht hätten. Wir haben immer nebenbei Geld verdient. Während meiner Ausbildung am Studienkolleg habe ich in den Ferien im Lager einer Bäckerei gearbeitet. Als wir mit dem Bachelor anfingen, hatten wir einen Minijob in einem Supermarkt als Warenräumer. Im dritten Semester meines Studiums bewarb ich mich für einen Werkstudenten-Job mit Bezug zu meinem Fach. Ich bekam die Stelle und arbeite dort jetzt immer noch als Werkstudent Im Bereich Webentwicklung und Datenmanagement in der Marketing- und Datenmanage-
ment Abteilung.
Roman: Ich arbeite mit Olga zusammen in der gleichen Abteilung als Werkstudent im Bereich Softwareentwicklung und Datenmanagement. In Deutschland gibt es auf jeden Fall ganz viele Möglichkeiten, als Student Geld zu verdienen.
Olga: Vielleicht wird sich unser Studium auch um ein paar Semester verlängern, weil wir gleichzeitig arbeiten. Aber ich finde das ganz gut, weil wir während des Studiums schon berufliche Erfahrungen sammeln und wissen können, welche beruflichen Qualifikationen in unserer Branche nachgefragt werden.
Was gefällt euch am meisten an Deutschland?
Olga: Wir sind hier in Deutschland ganz alleine ohne Eltern. Es ist sowohl ein Vor- als auch ein Nachteil. Einerseits gibt es uns die Möglichkeit, erwachsen und selbstständig zu werden. Andererseits vermissen wir unsere Familien. Besonders mag ich, dass ich auf Deutsch studiere und so meine Selbstentwicklung voranbringe. Und ebenso toll ist, dass wir schon im Studium als Werkstudenten arbeiten können. In Kasachstan hätte ich diese Möglichkeit leider nicht gehabt.
Roman: In Deutschland ist der Lebensrhythmus ausgewogener als in Kasachstan. Das kann innere Ruhe bringen, es kann aber auch langweilig werden. Was mir hier auch gefällt, ist die Pünktlichkeit. Nicht alle sind so pünktlich, wie wir es uns vorgestellt haben, aber im Vergleich zu Kasachstan sind die Leute doch viel pünktlicher. Die Busse kommen regelmäßig, und es gibt einen Fahrplan für Jede Buslinie.
Was vermisst ihr am meisten an Kasachstan?
Roman: Eltern und Familie vermissen wir am meisten. Auch die Ernährung in Deutschland ist ganz anders. Mir fehlen unsere kasachischen Lebensmittel. Ich kann nicht sagen, dass die deutschen Lebensmittel schlechter sind, sie sind nur anders.
Außerdem vermisse ich unser kontinentales Klima. In Kasachstan haben wir richtige Jahreszeiten, im Sommer ist es 30 Grad und die Sonne scheint ständig, im Winter liegt überall Schnee, und es ist trotzdem auch sonnig. Auch die Übergangsjahreszeiten sind bei uns in Kasachstan wunderschön.
Olga: Es gibt bestimmte Lebensmittel, die wir sehr vermissen. Natürlich haben wir bei uns in der Stadt einen russischen Laden mit unseren Produkten, aber da ist alles leider etwas teurer als in normalen Supermärkten.
Was ich auch vermisse, ist die Sonne. Diesen Sommer saß ich für zwei Wochen in Quarantäne in Kasachstan, und ich habe so sehr die Sonne genossen.
Wie haltet ihr Kontakt zu eurer Familie?
Olga: Ich telefoniere mit ihnen jeden Tag. Jeden Tag schreiben wir uns Guten Morgen, jeden Abend wünschen wir einander Gute Nacht.
Roman: Dank der neuen Technologien sind wir immer per Internet im Kontakt. Als meine Mutter zum Beispiel Geburtstag hatte, haben wir ihr Blumen bestellt. Soziale Netzwerke helfen, den Kontakt zu halten, aber sie sind leider kein Ersatz für die persönliche Kommunikation. Man kann sich leider nicht über soziale Netzwerke umarmen.
Was würdet ihr den Abiturienten raten, die planen, in Deutschland zu studieren?
Olga: Keine Angst zu haben! Man muss genau wissen, wozu man nach Deutschland kommt. Ohne Ziele wird es schwer. Und man muss für finanzielle Ausgaben bereit sein. Doch auch vor finanziellen Schwierigkeiten sollte man keine Angst haben – man findet schon Quellen, wo man etwas dazuverdienen kann.
Roman: Man muss bereit sein zur Weiterentwicklung, immer durchhalten, und darf nicht aufgeben.
Vielen Dank für das Gespräch!