Die sozialen Medien sind die Kommunikationsplattformen der heutigen Zeit. Dort möchte Iliane Kiefer junge Russlanddeutsche erreichen. Sie ist Leiterin des Projekts o[s]tklick, das im Januar 2021 ins Leben gerufen wurde. Es geht darum, mit Russlanddeutschen über Russlanddeutsche zu informieren und dabei freiheitliche und pluralistische Wertvorstellungen in digitalen Netzwerken zu stärken. Ihre Beweggründe und Ziele hat Iliane Kiefer uns in einem Interview mitgeteilt.

Wer steckt hinter dem Projekt o[s]t-klick?

Wir sind ein fünfköpfiges Projektteam. Der Träger unseres Projekts ist das Zentrum Liberale Moderne. Es ist ein gemeinnütziges Start Up auf dem Feld politischer Bildung und internationaler Zusammenarbeit in Berlin. Das Zentrum Liberale Moderne will die liberale Demokratie erneuern sowie Pluralismus und die offene Gesellschaft gegen autoritäre Angriffe von innen und außen verteidigen. Wir sind ein unabhängiges Debattenforum und Projektbüro.

Warum eigentlich der Name „o[s]t-klick“?

o[s]tklick ist ein Wortspiel zwischen der russischen und deutschen Sprache. In ihm steckt der russische Begriff [отклик], der so viel bedeutet wie Antwort, Resonanz oder Echo. Das [s] in der eckigen Klammer ermöglicht otklick auch als ‚ost‘ und ‚klick‘ zu lesen. Die Mehrdeutigkeit von o[s]tklick macht den Zusammenhang zwischen postsowjetischen Identitäten und demokratischen Wertvorstellungen sichtbar und regt zu politischem Engagement im Netz an.

Was hat Euch zu diesem Projekt bewegt?

Die Projektidee ist aus einer Mischung aus familiärem und politischem Kontext entstanden. Einige Teammitglieder kommen aus einer Familie mit russlanddeutscher Geschichte. Die Mitglieder in unserem Team sind unter anderem Teil der sogenannten 2. Generation in Deutschland – also Kinder der nach Deutschland eingewanderten Eltern. Die jüngeren Generationen können sich ganz anders und neu mit den Themen, Problemen und Geschichten befassen als die Generationen davor. Die Eltern mussten ankommen, vielleicht die Sprache lernen und erst einmal ihren Platz in der deutschen Gesellschaft finden.

Mit welchen Themen aus der russlanddeutschen Community befasst Ihr Euch?

Wir haben wahrgenommen, dass manchmal Fake News oder rechtspopulistisches Material über WhatsApp oder Telegram unser russlanddeutsches Umfeld erreichen. Bei den Empfängern gab es Verärgerung über diese Nachrichten, aber auch Verunsicherung: „Woher soll ich wissen, ob die Nachricht wahr ist oder nicht?“

Ein Projektteam aus dem Zentrum Liberale Moderne hat sich dieser Probleme angenommen. Dass Personen auf solche Nachrichten, die sie teilweise konkret als Russlanddeutsche ansprechen oder als Zugang die russische Sprache nutzen, gerne reagieren würden, war eine der Ausgangsfragen.

Mitgedacht haben wir auch das Potential familienübergreifender Social-Media-Netzwerke und die Frage nach demokratischen Sichtbarkeiten. Von dort aus ging die Reise los und entstanden ist ein Projekt, das sich zum Ziel gemacht hat, durch Social-Media-Arbeit die demokratischen Stimmen der russlanddeutschen Community sichtbarer zu machen, die Vielfalt der Community zu erkunden und sich on- und offline mithilfe von Argumentations- und Medienkompetenzen gegen rechtspopulistische Instrumentalisierungen zu stellen.

Wie bearbeitet o[s]tklick diese Themen?

Zentral sind unsere Videos: Wir zeigen „role models“ aus der Community, die sich in den verschiedensten Bereichen für Demokratie und Vielfalt einsetzen. Wir wollen damit zeigen, wie divers die Community eigentlich ist. Neben den Videos liefern wir viele thematisch passende Posts in den Sozialen Medien, die zusätzliche Infos zu den Videos geben, aber auch politische oder historische Themen und Begriffe werden aufgenommen oder erklärt. Unsere Posts können auf allen möglichen Plattformen, wie Telegram, Odnoklassniki, Facebook, Twitter und Instagram abgerufen und geteilt werden. Auf unserer Webseite kann man sie zusätzlich auch herunterladen. Ein weiterer wichtiger Teil unserer Arbeit sind unsere Workshops und unsere Netzwerkarbeit. Wir haben drei Workshopformate entwickelt: einen Crashkurs zu Meinungsfreiheit und ihren Grenzen, einen Medienworkshop zu Fake News und ein Argumentationstraining gegen Hate Speech und rechtspopulistische Parolen. Die Workshops bieten wir kostenfrei für interessierte Gruppen oder Vereine an.

Wie waren die ersten Anfänge von o[s]t-klick, und wie wurde es angenommen?

Wir haben das Glück, dass für einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren eine feste Finanzierung des Projekts steht und wir so von Anfang an professionell und mit voller Konzentration daran arbeiten konnten. So konnten wir uns am Anfang auch ausreichend Zeit nehmen, um mit vielen Menschen aus der Zielgruppe zu sprechen. Was wird genau gebraucht? Wie können wir die Menschen sensibel ansprechen? Welche Ressourcen gibt es schon? Das waren wichtige Fragen. Zudem haben wir zu Beginn erstmal ein Social-Media-Monitoring gestartet, um einen Überblick zu bekommen, welche Akteure aus dem rechtspopulistischen und -extremen Lager die Russlanddeutschen gezielt ansprechen und wie sie dabei vorgehen.

Wie reagierte die russlanddeutsche Community auf Euch?

Als wir dann im Januar 2021 mit den o[s]tklick-Kanälen online gingen, ist uns zunächst etwas Skepsis begegnet. Vielleicht auch verständlich; wir sind keine der klassischen „Interessensvertretungen“ der Russlanddeutschen, wie es z.B. die Landsmannschaften der Russlanddeutschen sind, und das Zentrum Liberale Moderne hatte bislang auch nicht direkt mit dieser Zielgruppe gearbeitet. Inzwischen kennt man uns, und wir haben das Gefühl, dass wir gut in der (Online-)Community verankert sind – natürlich auch dank so vieler spannender Mitstreitende, die ähnliche Ziele verfolgen.

Eine Herausforderung war auch der Aufbau von Vertrauen in der Community. Das hat relativ viel Aufwand bedeutet dadurch, dass wir als Institution in der Community noch völlig unbekannt waren und „nur“ unsere eigenen professionellen und familiären Netzwerke zunächst einbringen konnten. Und vielleicht auch dadurch, dass wir mit digitalen Formaten und jüngeren Stimmen angetreten sind. Und das ausgerechnet zu Beginn der Corona-Pandemie, wo persönliche Kontakte nicht möglich waren und alles auf den eher anonymen, digitalen Raum beschränkt war. Dass wir da digital so gut aufgestellt waren, kann man natürlich auch als Vorteil sehen, doch wir hätten insbesondere für den Anfang einen intensiveren persönlichen Austausch bevorzugt.

Welche Rolle spielt dabei Social Media?

Wir haben festgestellt, dass es immer noch ein gewisses Unverständnis für Social Media als eigenständiges „Universum“ gibt. Dort wird nicht nur das Geschehen der „eigentlichen“ Welt oder Diskussionen aus großen Zeitungen abgebildet, dort finden ganz eigene Themen und Debatten statt. Diese können nicht von außen eingesehen werden, wenn man sich nicht selbst dort bewegt. Das haben wir selbst z.B. für die Plattform Odnoklassniki festgestellt. Was politische Inhalte angeht, findet dort ein ganz anderer, wesentlich radikalerer und rechtslastiger Diskurs statt. Da wir die Plattform vorher privat nicht genutzt haben, war uns das in diesem Umfang nicht bekannt.

Was für Herausforderungen gibt es mit so einem Projekt auf Social Media?

Wie zu erwarten war, erhalten wir auch Nachrichten von Trollen, die unsere SharePics und Videos kommentieren und dort ihren Hass abladen. Erfreulicherweise hat sich aber auch gezeigt, dass unsere Online-Community in einigen Plattformen so groß und engagiert ist, dass wir teilweise nicht mehr eingreifen müssen und die Community selbst die Diskussion austrägt. Das trifft z.B. auf Instagram zu. Bei anderen Plattformen wie Odnoklassniki ist da noch Luft nach oben, wenn beleidigende Kommentare geteilt werden.

Warum denkt ihr, braucht es o[s]t-klick?

Projekte der politischen Bildung sind enorm wichtig für die gesamte Gesellschaft. Die gesellschaftlichen Fragen, die uns bewegen und die Herausforderungen, denen wir uns tagtäglich stellen müssen, können nur gelöst werden, wenn wir unseren Blick gleichzeitig in die Geschichte, die Gegenwart und die Zukunft richten. Daneben braucht man aber auch die nötigen Skills wie Medien- und Argumentationskompetenz. Und um sich gegen Angriffe auf die offene Gesellschaft zur Wehr zu setzen, sind viele Mitstreitende unerlässlich, darum wollen wir uns mit möglichst vielen Gleichgesinnten vernetzen. Wichtig ist es auch zu wissen, dass man nicht allein ist mit seiner Meinung. Oft sind die antidemokratischen Stimmen lauter, aber nicht unbedingt in der Mehrheit.

Was würdet Ihr gerne Russlanddeutschen in Kasachstan erzählen, wenn ihr könntet?

Ich schätze, dass wir viel weniger erzählen würden, sondern vielmehr fragen würden. Was sind Gemeinsamkeiten, was sind Unterschiede? Was wünschen sich die Russlanddeutschen in Kasachstan für die Zukunft und was sind ihre Geschichten? Und was denkt die junge Generation?

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Daniel Heinz.

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