Offiziell werden in Deutschland gerne das freiwillige Engagement und die Willkommenskultur gelobt. Viele Menschen in Deutschland versuchen zu helfen und aus der Krise eine Hoffnung für die Geflüchteten zu machen. Doch zunehmend fühlen sie sich dabei von offizieller Seite im Stich gelassen, wenn nicht sogar gebremst. Ein Beispiel aus der Berliner Vorstadt.

Biesdorf, Kaulsdorf, Mahlsdorf. So schön provinziell und gemütlich klingen die Ortsteile am östlichen Rand Berlins. Von hier bis in die hippen Stadtteile der deutschen Hauptstadt fährt man auch gerne mal eine Stunde mit der S-Bahn. Das hier ist nicht das super-coole Berlin mit Berghain und veganen Burgerläden, hier hat die AfD mit 23 Prozent ihr bestes Ergebnis.

Aber offensichtlich gibt es auch gute Gründe, hier zu leben. Die Miete zum Beispiel. Innerhalb des bald durch gentrifizierten S-Bahn Rings sind günstige Altbauwohnungen schon lange nicht mehr zu haben. „Zehn Quadratmeter für 750€” heißt es da in einem Wohnungsangebot aus Kreuzberg. Um diesem überhitzen, wenn nicht bereits durchgebrannten Wohnungsmarkt und dem stickigen lauten Gedränge der Stadt zu entgehen, hat sich eine Gruppe junger Leute entschieden, ihr Glück am Rande der Metropole zu suchen.

Patchwork-WG

Und wie es aussieht, haben sie es auch gefunden: ein kleines Einfamilienhaus aus den 30er Jahren mit Terrasse und einem 1.000 Quadratmeter Garten in ruhiger Lage. Das Spießerglück schlechthin. Doch hinter dieser Fassade verbirgt sich nicht die klassisch-deutsche Kernfamilie, sondern eine eher moderne Lebensgemeinschaft. Hier wohnen die für Berlin mittlerweile typische Mischung aus vier Zugezogenen, einem Urberliner und den ein bis zwei unvermeidlichen (Dauer-)Gästen, die „eigentlich nur eine Woche bleiben wollten.” Was diese
WG in ihrer Konstellation dann doch noch von der Norm unterscheidet, sind die beiden jungen Syrer Hans und Sepp. (Namen von der WG geändert).

Zunächst fanden sich die beiden, wie Hunderttausende, die ihre Heimat verlassen mussten, in den Massenunterkünften wieder, die Ende 2015 überall in Deutschland eingerichtet wurden. Zusammen mit hunderten anderen in einer Turnhalle unter ärmlichen Bedingungen, ohne jede Privatsphäre. So waren auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tempelhof zwischenzeitlich über 1.000 Menschen untergebracht, in einer riesigen Halle, abgetrennt durch Stellwände, 25 Quadratmeter für zwölf Personen. Wenn man Menschen, die ohnehin schwer belastet durch ihre Erlebnisse des Krieges oder der Flucht unter solchen Bedingungen unterbringt, dann sind Auseinandersetzungen nicht verwunderlich. Gleichzeitig fordert die CSU in einem Positionspapier: „Deutschland bietet Menschen, die zu uns kommen, eine neue Heimat – als Gegenleistung erwarten wir einen starken Willen zur Integration.“ Wie realistisch diese Forderung ist, dass die Neuankömmlinge zügig Deutsch lernen und sich schnell in die neue Gesellschaft integrieren sollen, wenn sie auf ihren zwei Quadratmetern kaum Ruhe zum Schlafen finden, bleibt fraglich.

Integrationschance in WGs?

Um diesen, wie sie sagen, „menschenunwürdigen Zuständen” etwas zu entgegnen, boten die vier, die gerade in ihr Häuschen auf dem Berliner Dorf gezogen waren, zwei Menschen die Möglichkeit eines Zuhauses anstatt eines Lagers. So zogen Hans und Sepp im Februar bzw. Juli in die Wohngemeinschaft ein. Da Wohnen (und speziell in Berlin) nicht umsonst ist, fallen für jeden Mitbewohner monatlich etwas über 300€ Miete an. Für die jungen Leute, teilweise Studenten, aber auf jeden Fall niemand reich, begannen hier die ersten Probleme. Die zwei Syrer, die ihren Anteil gerne selbst dazu gesteuert hätten, hatten dazu jedoch keine Chance, da sie keine Arbeitserlaubnis besitzen. Aber der Staat hat für diesen Fall eigentlich etwas vorgesehen: Jeder anerkannte Flüchtling kann sich für 364,50€ plus Nebenkosten selbst eine Wohnung suchen. Wenn Geflüchtete gleichzeitig zum Teil zu Tagessätzen von 25€ in Hotels untergebracht werden, ist es ein echtes Schnäppchen. Man könnte meinen, allen Beteiligten wäre an der Umsetzung dieser guten und günstigen Lösung gelegen.

„Warum können geflüchtete Menschen in Deutschland nicht einfach in WGs wohnen statt in Massenunterkünften?!” Mit dieser Frage wirbt die Initiative „Flüchtlinge Willkommen”, die sich für eine dezentrale Unterbringung von Geflüchteten in Wohngemeinschaften einsetzt. Das Netzwerk ist mittlerweile in zwölf Ländern aktiv und hat bereits 850 Geflüchtete in private Unterkünfte vermittelt. Hafid Shaib, Projektkoordinator Ost und Süd, der selbst vor 14 Jahren aus Libyen nach Deutschland kam, betont, wie wichtig ein Platz ist, an dem man ankommen kann: „Klar will nicht jeder der Geflüchteten in einer Wohngemeinschaft leben, das ist für viele auch erst einmal komisch. Aber denjenigen, die sich das vorstellen können, wollen wir helfen. Ich denke, es ist auch ein guter Weg dafür, sich in der deutschen Gesellschaft zurechtzufinden.”

Kampf gegen Bürokratie-Mühlen

Den Kampf gegen die Windmühlen der Bürokratie, den die sechs Berliner in den letzten Monaten hinter sich haben, lässt sie daran zweifeln, ob der deutsche Staat wirklich ein Interesse daran hat, Geflüchtete aus den Massenunterkünften zu entlassen. Als Hans also endlich nach langem Suchen ein Zimmer in seiner Wohngemeinschaft gefunden, alle benötigten Papiere ausgefüllt hatte und damit zum Amt kam, sagte man ihm, er könnte in vier Wochen wiederkommen, dann würde man sagen, ob es klappt. Auf dem umkämpften Wohnungsmarkt Berlins ist die Wohnung in dieser Frist aber sicher schon längst an jemand anderen vergeben.

Aber aus einem Monat wurden letztlich sechs, in denen man mit vereinten Kräften versuchte, dem jungen Migranten zu seinem Recht zu verhelfen. „Wir wollen ja hier nichts von den Behörden erbetteln. Das Recht auf Asyl ist ein Grundrecht in Deutschland. Ganz zu schweigen von den Menschenrechten, die ein Leben in Würde garantieren sollen.” sagt Ottilie, eine der Mitbewohnerinnen ärgerlich. „Ich glaube, dass diese Schikanen den Flüchtlingen ganz bewusst in den Weg gestellt werden. Die sollen gleich wissen, wo sie hier in der Nahrungskette stehen: ganz unten!“ Dieser Sichtweise widerspricht die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung Aydan Özoguz. Im Interview mit dem NDR sagt die SPD-Politikerin, gerade mit Blick auf die langen Verfahren zur Anerkennung des Asyls müsse man auch sehr sorgfältig arbeiten. „Ich würde mir auch wünschen, dass die Verfahren endlich schneller gehen würden, aber wir entscheiden auch über wichtige Dinge und die Zukunft der Menschen“, sagte Özoguz. „Da kann man nicht immer nur auf den Entscheidern rumhacken.“

„Es könnte alles viel schneller gehen.”

Ottilie, die sich die chaotischen Zustände des letzten Jahres vor dem „Landesamt für Gesundheit und Soziales“ (LAGeSo) selbst angesehen hat, gibt auch zu, dass man dort teilweise mit der Situation überfordert gewesen sei. Doch auch das lässt sie als Ausrede nicht gelten. „Hier wird mit Absicht versucht, eine Inklusion von Migranten zu verhindern. Das ist systematisch und politisch gewollt. Das geht durch alle Entscheidungsebenen, von den Sachbearbeitern, die sich auch mal rassistisch äußern, bis ganz nach oben in die Bundespolitik.”, behauptet sie. Von den Zuständen in den Ämtern und Behörden kann auch Shaib berichten, jedoch fällt sein Urteil wenig scharf aus: „Die Prozesse sind sehr langwierig und oftmals gibt es auch Probleme in der Kommunikation zwischen den Behörden untereinander. Es könnte alles viel schneller gehen.” Er zeigt aber auch Verständnis für einige Probleme in der Bearbeitung von Fällen. „Die Zahlen sind einfach sehr hoch, damit hatte man bisher einfach noch keine Erfahrung, man war darauf nicht vorbereitet.”

Das Geschäft mit der Unterbringung

Um die Situation zu verbessern, fordert Ottilie, zunächst einmal das Geschäft mit der Unterbringung von Flüchtlingen zu verbieten. So sei es in Österreich beispielsweise grundsätzlich nur gemeinnützigen Organisationen, die nicht gewinnorientiert agieren, erlaubt, Flüchtlinge zu beherbergen. Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln schätzt die Staatsausgaben der Unterbringungskosten für Geflüchtete auf 22 Milliarden Euro im Jahr 2017. „Da steht ein riesiges Geschäftsmodell dahinter, das wollen sich die Betreiber von Unterkünften nicht kaputt machen lassen.”

Für die WG aus Berlin hat es sich gelohnt, sich nicht von den bürokratischen Widerständen und der Frustration unterkriegen zu lassen. Seit August wird für den Geflüchteten Hans die Miete vom Staat bezahlt, auf die Kaution müsse man wohl noch lange warten. Bis Sepp zu seinem Recht kommt, wird man sich wohl auch im neu gegründeten Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) noch eine Weile bitten lassen.

Selbstinitiative

Um selbst die Mietkosten des letzten halben Jahres zu decken, startete man kurzerhand einen privaten Spendenaufruf unter den Freunden und Bekannten, in dem man gleichzeitig auf die Situation der Geflüchteten und die Missstände in den Behörden aufmerksam machte. „Ich bin echt überwältigt, wie schnell und unkompliziert die Leute Geld in die Hand genommen haben, um uns zu unterstützen! Das macht Mut, weiter zu kämpfen,” sagt Ottilie. Über 3500 Euro kamen so im letzten halben Jahr zusammen. Dennoch sitzt auch die Frustration tief. „Wir fühlen uns hier einfach im Stich gelassen und ausgenutzt. Manchmal denke ich: Um darauf aufmerksam zu machen, wie viel von den Leuten gemacht wird, entgegen den Hindernissen seitens des Staats, müssten wir Freiwilligen einfach mal streiken. Aber das geht natürlich nicht.”

Wer selbst ein Zimmer frei hat und die Idee eines gemeinsamen Zusammenlebens mit Refugees spannend findet, kann mit der Organisation „Flüchtlinge Willkommen” Kontakt aufnehmen.

www.fluechtlinge-wilkommen.de

Hilfe für die Helfer

Mit den Worten „Mehr Ermutigung den Ermutigern” fordert der Leipziger Oberbürgermeister, zum Tag der Deutschen Einheit mehr Unterstützung für engagierte Menschen, die helfen wollen und sich gegen Rassismus stellen. Doch ob sich hinter solchen Aussagen auch wirklich ein politischer Wille der regierenden Parteien in Deutschland steht, der eine Aufnahme und Teilhabe von Flüchtlingen an der deutschen Gesellschaft zum Ziel hat, muss weiter kritisch beobachtet werden. Die Rufe nach schnelleren Abschiebungen von Geflüchteten werden gerade wieder lauter. Innenminister Thomas de Maizière forderte jüngst mit seiner „Vorverlagerungsstrategie“, Flüchtlinge, die an der europäischen Mittelmeerküste ankommen, gleich wieder zurück zu bringen. So wolle man, laut einer von der „Welt am Sonntag“ zitierten Sprecherin des Innenministers, dem Geschäft mit der illegalen und lebensgefährlichen Mittelmeerüberquerung entgegentreten. Wenn aber jemand einmal in Deutschland ankommt, Freunde findet, sich ein Netzwerk aufbaut und somit nicht mehr alleine dasteht – dann kann er natürlich nicht mehr so leicht deportiert werden.

In Kaulsdorf ist mittlerweile Alltag eingekehrt. Man hat sich kennengelernt und lernt voneinander; mal die jeweils andere Sprache, mal das Klavier spielen. Man macht gemeinsam Ausflüge und wundert sich über kulturelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Außerdem pflegt man jetzt auch regen Kontakt zu den Einheimischen. Denn nicht nur die syrischen Neubürger, auch die deutschen Binnenmigranten mussten sich erst mal mit ihren neuen Nachbarn beschnuppern. Denn egal woher man kommt, man ist immer erst mal fremd und es braucht Verständnis und Vertrauen, wenn das mit der Integration klappen soll.

Till Eichenauer

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