Man hat es heutzutage gar nicht so einfach als Konsument. Die Angebotsvielfalt wird immer größer, alles ist möglich. Man kann zu Spottpreisen nahezu überallhin reisen; wenn einem die Erde zu klein ist und es auch etwas mehr kosten darf, lässt man sich eben ins Weltall schießen.

Und sogar Reisen in die eigene Vergangenheit werden angeboten, das geht bequem von der Couch aus. Und weil man so viel rumkommt in Zeit und Raum und sich online durch die Wissenswelten klicken und durch andere Kulturen chatten kann, kommt man irgendwann nicht mehr umhin einzusehen, dass alles relativ ist. Und wenn es mehr als zwei Seiten gibt, gerät damit aber auch die Wahrheit aus der Mitte und die eigene Lebenssicht aus den Fugen. Wen wundert es also, dass die Menschen ihre eigene Mitte verlieren und hilfesuchend nach neuen Glaubenssätzen suchen. Was in der Vergangenheit gültig war, wird durch die moderne Geschichtsschreibung und Informationsflut immer weiter relativiert und verwässert. Und so findet man im Westen immer weniger waschechte Katholiken und im Osten kaum noch handfeste Kommunisten. Es gibt sie zwar noch, aber nur unter der älteren Generation und in der Provinz. Aber in den größeren Zentren, wo das „damals“ von der Zukunft überrannt wird, kann man sich als aufgeklärter Mensch der Moderne ein Festhalten an tradierten Werten nicht erlauben. Man hat Verständnis für alle Glaubensrichtungen und verliert vor lauter wissenschaftlicher Dialektik die Überzeugung. Wer es gar nicht aushält, landet irgendwann doch noch in einer Sekte, und immer mehr suchen ihren Seelenfrieden im Buddhismus. Ist aber auch wahr, die Asiaten schauen immer so freundlich und zufrieden drein. Und noch etwas Tai Chi dabei, schon schaut das Leben anders aus. Wenn es denn so einfach wär! Denn der Buddhismus ist als Idee überzeugend – wie auch der Sozialismus – wenn da nicht der Mensch stören würde, mit seinem Habenwollen und ewigem Vorwärtsstreben. Also nur ein bisschen Buddhismus, kleine Ausflüge in die Meditation, aber nicht zu viel, weil der Seelenfrieden zwar glücklich, aber nicht satt macht. Und Tradition ist Tradition, so bleiben wir mit dem anderen Bein in der Kirche, und weil man ja nie weiß, tastet sich mancher mit dem kleinen Finger vorsichtig in den Schamanismus vor. Den Islam betrachten wir vorerst nur unter architektonischen Gesichtspunkten, sieht ja auch ganz schön aus im Stadtbild, so eine Moschee. Das Ganze nennt man dann Patchwork-Religion. Überhaupt scheint das Patchwork-System zur Kultur- und Gesellschaftsform in unserem Leben zu gedeihen, im Familienleben hat es sich schon längst bewährt.

Patchwork bedeutet, dass man sich aus allem, was einem im Leben begegnet, das Beste herauspickt und sich individuell zu einem bunten Mosaik zusammensetzt. Mit jeder neuen Information und Erfahrung verändern sich System und Struktur, die Störelemente werden einfach ausgetauscht. Vom Grundsatz her eigentlich die beste denkbare Form von Dynamik, Wandlung und Fortschritt. Man denke nur an die Auswirkungen, wenn wir starr und stur an alten Wahrheiten festgehalten hätten. Dann glaubten wir heute noch, dass die Erde eine Scheibe sei, und wären aus dem Mittelalter nie herausgekommen. Aber zurück in die Gegenwart.

Wenn ein jüdischer Ukrainer mit einer muslimischen Türkin in Deutschland Kinder nach christlichen Werten aufzieht, dann verlieren sich zwar klare Grenzen und Wertemuster, aber dafür gewinnen wir eines – nämlich die Erkenntnis, dass wir letztlich alles Menschen sind, jeder ein Recht auf seinen eigenen Glauben hat und nur eines wirklich zählt: die Liebe. Und das ist nicht nur romantisch, sondern auch tröstlich.

Von Julia Siebert

14/04/06

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