In Kasachstan ist das Senioritätsprinzip weit verbreitet. Der Rat eines alten Mannes wird traditionell geschätzt. Nicht zuletzt aus diesem Grund ist das Angebot des Senior Expert Service, welcher kostenlos deutsche Fachkräfte entsendet, bei kasachischen Unternehmen gefragt. Schließlich herrscht in dem wirtschaftlich am besten entwickelten zentralasiatischen Land akuter Fachkräftemangel, der durch die Krise kaum gemindert wird.

/Foto: privat. ‚SES-Experte Wolfram Schuster führt die Mitarbeiter von Gold Product in die Fachterminologie ein. ‚/

Früher, so heißt es häufig in Unternehmerkreisen, verfügte Kasachstan über professionelle Facharbeiter, die in den einheimischen Berufsschulen ausgebildet wurden. Das war vor über 18 Jahren, als Moskau die Ausbildungsprogramme noch zentral steuerte. Die Hochschulbildung genießt im modernen Kasachstan einen hohen Stellenwert, der Wirtschaft fehlen jedoch vor allem Techniker und Handwerker.

Andrej Vogel, Inhaber der Firma Ariba, beklagt oft den Mangel an Fachpersonal. In seinem 50-Mann-Betrieb in einem Vorort von Almaty werden mit deutscher Technologie und nach deutschen Qualitätsstandards Polstermöbeln hergestellt. Handwerkliches Geschick und technisches Verständnis sind bei den Arbeitern besonders dann gefragt, wenn es um die Weiterentwicklung der Modelle geht. Diese Eigenschaften bringen die vor Ort angelernten Kräfte nur selten mit. Ein Meister, der eine praktische Ausbildung und Erfahrung mit deutschem Werkzeug hat, soll nun Unterstützung leisten. Im September 2009 wird ein gelernter Polsterer und Dekorateur aus Bonn den Betrieb von Ariba als Experte im Auftrag des deutschen Senior Expert Service (SES) besuchen. Er soll helfen, die Qualität der Polsterzuschnitte weiter zu verbessern. Die Polstermöbel sollen insgesamt ein attraktiveres Aussehen und vielleicht sogar ein neues Design bekommen. Der Möbelproduzent ist eines der Unternehmen, die die Deutsch-Kasachische Assoziation der Unternehmer (DKAU) durch die Vermittlung von deutschen Fachkräften mit Hilfe des Senior Expert Service unterstützt.

Der Rat deutscher Fachkräfte ist gefragt

Ein anderer SES-Experte, Heinrich Schranner, arbeitete im Frühjahr 2009 für das Reisebüro Transavia, auch ein Mitgliedsunternehmen der DKAU. In den neun Jahren ihres Bestehens hat sich die Reiseagentur zu einem der Marktführer der kasachischen Tourismusbranche entwickelt. Mehrfach wurde Transavia mit internationalen Preisen für die Servicequalität ausgezeichnet. Die Agentur bietet eine breite Palette von Dienstleitungen an, unter anderem Eisenbahntransporte, Organisation von Charterflügen und touristischen Reisen weltweit. Der Verkauf von Flugtickets bleibt nach wie vor ein wichtiger Bestandteil des Geschäfts. Die Datenbank von Transavia im Bereich Business-to-Business zählt über 500 Kundenkontakte. Viele in Kasachstan tätige ausländische und nicht zuletzt deutsche Firmen, die ihre Mitarbeiter auf Dienstreisen schicken oder Geschäftspartner einladen, gehören zur Stammkundschaft. Auf den SES ging Direktor Viktor Matwejew zu, weil er wissen wollte, wie vor allem deutsche Kunden angesprochen werden sollen, damit sie mit dem Buchungsservice vollständig zufrieden sind und Transavia treu beleiben.

„Einen SES-Experten einzuladen – das hat vor uns noch kein anderes Reiseunternehmen in Almaty gemacht“, sagt Matwejew, „Herr Schranner hat mir wichtige Dinge aufgezeigt, die mir in der täglichen Routine nicht aufgefallen waren.“ Sein Einsatz hat der Firma nicht nur neue Ideen gebracht, welche die strategische Weiterentwicklung des Geschäfts betreffen, sondern auch neue Kunden. Während seines dreiwöchigen Aufenthalts bei Transavia hat der gelernte Speditionskaufmann, der in seiner Laufbahn 14 Jahre Erfahrung als Leiter einer Reiseagentur vorzuweisen hat, die Abläufe in der Vertriebsabteilung analysiert und Salesmanager geschult. Beispielhafte Verkaufsgespräche fanden direkt beim potenziellen Kunden statt.

Für SES war der Münchener bereits zwei Mal auf den Philippinen, hat Unternehmen in Russland und in Lettland beraten. Er glaubt, dass er für die Firma Transavia noch mehr tun könnte. „Ich habe nur mit den Abteilungen Geschäfts- und Urlaubsreisen sowie mit der Verkaufsabteilung gesprochen“, berichtet Herr Schranner. „Die vielen Kundenkontakte der Abteilungen Luftfracht und Kurier könnten und sollten auch für alle anderen Abteilungen ausgenutzt werden.“

Im Ruhestand rund um die Welt aktiv

Hohe Motivation und Engagement zeichnen Senior-Experten typischerweise aus. Meistens waren sie in Deutschland erfolgreiche Unternehmer oder haben eine lange Berufskarriere hinter sich gebracht und wollen auch ihren Ruhestand aktiv verbringen. Ihr Erfahrungsschatz kommt dabei vielen Unternehmen in Deutschland und in der Welt zugute.

So kam auch Wolfram Schuster als Experte nach Kasachstan. Der 68-Jährige bewirtschaftete 46 Jahre lang sein eigenes Weingut in Rheinland-Pfalz. Im Juni 2007 zog Schuster durch die Weinfelder des in Almaty ansässigen Lebensmittelunternehmens Gold Product. Bereits mehrfach hat Gold Product in den vergangenen Jahren einen SES-Experten eingeladen. Neben Wein produziert das Unternehmen auch eine große Auswahl an Fruchtsäften, Obst- und Gemüsekonserven. Beim Einsatz des SES-Experten Wolfram Schuster ging es jedoch speziell um Wein, der von Gold Product etwa 80 Kilometer von Almaty entfernt im Gebiet Turgen angebaut wird. Fast 12 Millionen Flaschen füllt das Unternehmen jährlich ab. Ein erfahrener Experte aus Deutschland sollte helfen, die Weinqualität zu untersuchen und gegebenenfalls zu verbessern.

„Die Weiten des Landes, die Entfernungen, die Größe der einzelnen Rebzellen und die Gesamtgröße des Betriebs sind für mich, als Westeuropäer, beeindruckend“ erläutert Schuster seine Motivation, sich ehrenamtlich in Kasachstan zu engagieren. So prüfte der deutsche Weinbauer während seines Aufenthaltes die Vitalität der Rebstöcke, beobachtete den Prozess der Traubenverarbeitung und die Abläufe in den Gäreinheiten. Die Ergebnisse seines Einsatzes fasste Schuster in einem Abschlussbericht auf über 80 Seiten zusammen. Von der Schädlingsbekämpfung über Hagel- und Blitzschlag bis zu den Trends bei den Flaschenverschlüssen behandelte er alle Fragestellungen, die für die Verbesserung der Weinqualität relevant sind. Neben seiner Analyse konnte Schuster auch verschiedene Ansätze zur Weiterentwicklung des Unternehmens vorschlagen. Eine Möglichkeit wäre beispielsweise die Anschaffung einer Pressmaschine zur Herstellung von feinem Traubenkernöl.
Nach einer Weinverkostung vor Ort nahm er drei Flaschen des Fertigprodukts mit nach Deutschland. Das Fachurteil des deutschen Speziallabors bestätigte den ersten Eindruck des Experten. Die Gold Product-Weine sind gut in der Zusammensetzung und im Geschmack. Sollte die Betriebsleitung dennoch Verbesserungsmaßnahmen erwägen, so stehen ihr diverse moderne Methoden zur Verfügung. Die Verfahren sind allerdings sehr kostenintensiv und verlangen eine mittel-  bis langfristige Betriebsplanung, in die auch die Vermarktungsmöglichkeiten eingebaut werden müssen.

Um diese Vorschläge zu vertiefen, werden im September dieses Jahres zwei weitere SES-Experten bei Gold Product erwartet. Einer von ihnen wird sich gezielt mit Strategien zur Geschäftsentwicklung auseinandersetzen. Wahrscheinlich kommt auch Wolfram  Schuster wieder, dem Kasachstan mit seiner großartigen Landschaft so gut gefallen hat. Die Lust und die Kraft hat er auf jeden Fall noch einige Jahre.

Nähere Informationen zum Einsatz von SES-Experten in Kasachstan gibt Karolina Otto, Projektmanagerin der Deutsch-Kasachischen Assoziation der Unternehmer, unter der Telefonnummer 8 727 263 5809 oder per Email k.otto@dkau.de.

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Der Senior Experten Service (SES) ist die Stiftung der Deutschen Wirtschaft für internationale Zusammenarbeit und eine gemeinnützige GmbH mit dem Sitz in Bonn. Unterstützung finden kleine und mittlere Unternehmen sowie Verwaltungen, öffentliche Einrichtungen und internationale Organisationen weltweit und in Deutschland.
1983 wurde der Service gegründet. Seitdem waren Senior-Experten bei mehr als 20.000 Einsätzen in 156 Ländern aktiv. Die Fachleute kommen aus über 50 Branchen: von Elektronik über Maschinenbau, Agrarwirtschaft, Marketing, Verwaltung, Chemie, Gesundheitswesen bis zum Bäcker, Fleischer oder Schreiner. Senior-Experten sind finanziell unabhängig und ehrenamtlich tätig.

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