Nach der Natur- und Atomkatastrophe in Japan wird die Zukunft der Kernenergienutzung so intensiv diskutiert, wie eigentlich bisher noch nie. Auch in Ländern, wie Japan oder China, wo die Atomkraftnutzung bisher ohne nennenswerte gesellschaftliche Diskussionen stillschweigend betrieben wurde, hat sich eine Diskussion entwickelt. In anderen Ländern, darunter auch Deutschland, hat der Streit „nur“ eine neue Intensität erreicht, hier gibt es eine mittlerweile schon jahrzehntelange Kultur der öffentlichen Auseinandersetzung, die von den meisten Leuten als normal und notwendig empfunden wird.

Fragen der Energieversorgung werden folglich nicht als eine Frage begriffen, die nur Experten betreffen. Wie in kaum einem anderen Bereich der Wirtschaftpolitik sind in der Energiepolitik soziale (preisliche Zugänglichkeit), politische (Importabhängigkeit), technische (genutzte Technologien der Energieerzeugung) und ökologische (Belastung der Umwelt) Fragen miteinander verknüpft. Jeder Mensch hat letztlich das Recht auf eine bezahlbare, stabile und umweltverträgliche Energieversorgung. Allerdings ist dieses Recht in der Praxis für mehr als zwei Milliarden Menschen nur eine Art Papiertiger. Afrika als Kontinent ist nachts praktisch dunkel.

Wie nun das Leistungsdreieck aus Verfügbarkeit, Sicherheit und Umweltverträglichkeit realisiert werden kann, mit welchen technischen Mitteln, unter welchen finanziellen und ökologischen Belastungen und mit welchen Risiken, ist Gegenstand nationaler Strategien, denen unterschiedliche Ansichten, Voraussetzungen und Erfahrungen zugrunde liegen. Auch kann keinem Land vorgeschrieben werden, wie es seine Energieversorgung im Detail organsiert. Dennoch gilt zu beachten, dass viele Momente der gewählten Energiestrategie automatisch auch internationale Wirkungen haben, vor allem ökologischer Art.

Ausgestoßenes CO2 oder Radioaktivität machen nun einmal nicht vor Landesgrenzen halt, sondern werden zur Belastung und Gefahr auch außerhalb des Verursacherlandes.
Auch deshalb ist das japanische Fukushima keine rein japanische Angelegenheit. Zudem gilt die These nicht, dass der Energiekonzern, dessen Reaktoren in die Luft gehen, den Schaden alleine beseitigen soll. Das funktioniert ganz einfach infolge der Dimensionen der Schadensverursachung nicht, weil kein Konzern alleine soviel Geld aufbringen kann, um den Schaden finanziell einigermaßen abzudecken. Da sich auch keine Versicherungsgesellschaft bereitfinden kann, den maximal möglichen Schaden eines Atomunglücks mit Austritt von Radioaktivität voll zu versichern, muss nun der Staat, sprich letztlich der Steuerzahler, ran.
Für Fukushima liegen noch keine Zahlen vor, wohl aber für Tschernobyl. Im Zeitraum 1986 bis heute haben die drei am meisten betroffenen Länder (Ukraine, Russland, Weißrussland) sage und schreibe etwa 350 Milliarden Dollar als Folge der Tschernobyl-Havarie ausgeben müssen. Hierzu gehören Investitionen zur Sicherstellung des havarierten Reaktors ebenso wie die mehr als zwei Millionen Renten, die gezahlt werden müssen. Der Reaktor hat seinerzeit vielleicht eine Milliarde Dollar gekostet, die Folgekosten seiner Nutzung sind unvergleichlich höher.

Nun kann man bei jedem Reaktorunglück auf sehr spezifische Ursachen hinweisen, die sich der Systematisierung in einem Schema widersetzen. Das negative Endergebnis aber ist dasselbe – die Gefahr für Leben und Gesundheit von vielen Menschen und das über einen Zeitraum von bis zu mehreren tausend Jahren. Auch aufgrund dieser (finanziellen und gesundheitlichen) Folgen für die Gesellschaft muss die Diskussion um die Kernenergienutzung im breiten gesellschaftlichen Rahmen geführt werden.

Es wäre falsch zu sagen, dass es in Kasachstan keine Diskussionen um die Kernenergienutzung gibt. Im Vergleich zu anderen Ländern sind diese jedoch eine eher vernachlässigbare Größe. Zumindest hört man als Normalbürger kaum irgendeine Meinung dazu. Eine Ausnahme bildet die kürzlich erschienene Pressemitteilung in einigen Zeitungen des Landes, die über ein Treffen von an diesem Thema Interessierten in Almaty berichtete. Eingeladen hatten die Grüne Partei und eine Reihe von Umweltverbänden. Erschienen waren immerhin etwa 40 Engagierte, die sich allerdings in einem viel zu kleinen Raum unterhalten mussten. Sicher hätte man sich eine größere Resonanz gewünscht, dafür hätten aber auch andere Bedingungen gegeben sein müssen.

Fachlich wurden zwar keine neuen Argumente vorgetragen, dennoch war die Veranstaltung wichtig. Immerhin, es gibt sie, die in dieser Frage kritischen Geister. Allerdings sollten die notwendigen Diskussionen weniger emotional und mehr sachlich geführt werden. Nur wer dem anderen auch zuhört, wird seine Argumente verbessern können und wird schließlich selbst gehört. Auch in der Frage der Kernenergienutzung gibt es keine absolute Wahrheit.

Bodo Lochmann

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