Es ist gut, dass es mit der Volksversammlung ein Forum für Minderheiten in Kasachstan gibt. Ein Organ, das Schulen und Medien in den Sprachen der verschiedenen Volksgruppen fördert. Doch sollte die Volksversammlung in Zukunft dafür Sorge tragen, inklusiver zu werden und alle Volksgruppen zu vereinen. Ein Kommentar von Othmara Glas.

Es ist eines der Lieblingsprojekte von Nursultan Nasarbajew: die Versammlung des Volkes Kasachstans. Immer wieder betont der erste Präsident, dass hier mehr als hundert verschiedene Ethnien friedlich zusammenleben. Kasachen, Russen, Deutsche Koreaner, Uiguren sind einige von ihnen. Doch wie kamen diese Volksgruppen überhaupt nach Kasachstan?

Einige flohen vor Verfolgung und Krieg in ihren Heimatländern. Andere kamen freiwillig nach Kasachstan auf der Suche nach einer besseren Zukunft. Und wieder andere wurden von Stalin nach Zentralasien deportiert. In der Sowjetunion galt die Kasachische SSR als „Laboratorium der Völkerfreundschaft“. Allerdings mit verheerenden Folgen für die eigentliche Titularnation: die Kasachen. 1970 war der Anteil der Kasachen an der Gesamtbevölkerung auf 32,4 Prozent gesunken. Gleichzeitig machten Russen nun 42,8 Prozent der Bevölkerung aus.

Massenhafte Ausreise nach 1991

Nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 wurde Nursultan Nasarbajew erster Präsident des unabhängigen Kasachstans. Jeder, der zu diesem Zeitpunkt in Kasachstan wohnhaft war, konnte die Staatsbürgerschaft beantragen. Doch der Unabhängigkeit folgte zunächst die massenhafte Ausreise. So verließen etwa 800.000 Kasachstandeutsche Anfang der 90er das Land.

1995 wurde auf Anweisung des Präsidenten die Versammlung der Völker Kasachstans gegründet, erst später wurde sie in Versammlung des Volkes Kasachstans umbenannt. Doch gibt es wirklich ein Volk in Kasachstan? Wird nicht viel mehr zwischen (ethnischen) Kasachen und (staatsbürgerlichen) Kasachstanern unterschieden? Heute liegt der Bevölkerungsanteil der Kasachen bei knapp 70 Prozent. Die Volksversammlung vertritt die Minderheiten in Kasachstan.

Zu wenig über Minderheiten bekannt

384 Vertreter aus allen ethnischen Gruppen werden von regionalen Volksversammlungen gewählt. Die Volksversammlung betreibt im ganzen Land „Häuser der Freundschaft“, wo Verbände wie die „Wiedergeburt“ Veranstaltungen abhalten können.

Diese Veranstaltungen werden von der Mehrheitsgesellschaft jedoch kaum wahrgenommen. Wer sich nicht in einem der ethno-kulturellen Verbände, wie es so schön auf Russisch heißt, engagiert, bekommt von den Aktivitäten der Volksversammlung kaum etwas mit. Die Politologin Tolganai Umbetalijewa sieht genau darin ein Problem: „Die Volksversammlung ist eigentlich nur für die Minderheiten da, aber nicht für die Kasachen. So bleiben beide Gruppen jeweils unter sich. Es findet kein Dialog statt.“ Sie kritisiert auch, dass allgemein zu wenig über die Minderheiten bekannt sei und in den Schulen kaum über ihren Beitrag zu der neueren Geschichte Kasachstans gesprochen werde.

Begegnungsraum auch für Oralmanen

Die Versammlung des Volkes ist ein weltweit einzigartiges Konstrukt. Ihre Mitglieder können Gesetzesentwürfe einbringen und neun Abgeordnete in die Maschilis entsenden. Es ist gut, dass es ein Forum für Minderheiten gibt. Ein Organ, das Schulen und Medien in den Sprachen der verschiedenen Volksgruppen fördert.

Doch sollte die Volksversammlung in Zukunft dafür Sorge tragen, inklusiver zu werden und alle Volksgruppen zu vereinen. Sie könnte beispielsweise auch Oralmanen einen Begegnungsraum geben. Und trotz des verständlichen Wunsches der Minderheiten, die eigene Kultur zu bewahren: Auch sie sind dazu angehalten, sich zu integrieren, Kasachisch zu lernen und keine Parallelgesellschaften zu bilden.

Die Regierung kann ein friedliches Zusammenleben nicht oktroyieren, aber sie kann durch die entsprechenden Strukturen dazu beitragen.

Othmara Glas

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