Alexander Spack lebt seine Leidenschaft, die Geschichte der Republik der Wolgadeutschen aufzuarbeiten. Nun existiert eine Hompage, auf der die Früchte seiner Forschungsarbeit abrufbar sind.
Alexander Spack wurde auf dem Gebiet der ehemaligen Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik der Wolgadeutschen geboren, 22 Jahre nach ihrer Auflösung. Das weiß er heute so genau, weil ihm dieses aufgelöste Land seit Jahrzehnten keine Ruhe lässt. Als Kind hatte er viele Träume, und Hobbys, aber sein besonderes Interesse galt der Erdkunde. Er war sogar Leiter des Erdkundezirkels in der Schule. Während des Studiums an der Hochschule für Landwirtschaft in Wolgograd, war Alexander stets auf der Suche nach allem, was mit der Geschichte der Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik der Wolgadeutschen zusammenhing.
Wann hatte eigentlich dieses Interesse an der Geschichte der Russlanddeutschen begonnen? Vielleicht, als er zum ersten Mal die Schilderungen seines Vaters, Alexander Spack, über die Autonomie der Wolgadeutschen bewusst vernahm? Alexanders Vater, ein Ukrainer, kam vor dem Krieg im Dorf Schmyglino, auf die Welt. Zu diesen Zeiten gehörte es zu der Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik der Wolgadeutschen. Heute existiert dieses Dorf nur noch auf dem Papier, in Vaters Geburtsurkunde.
Thema war tabu
Dem kleinen Alexander erzählte er oft, wie es damals war, als es die Deutsche Republik noch gab. Mit kindlicher Bewunderung saugte der Sohn die Geschichten des Vaters auf. Vom Vater erbte er nicht nur den Namen und Vornamen, sondern auch die leidenschaftliche Begierde, alles über die Existenz und Geschichten der Menschen, die dort, lebten zu erfahren. Denn das, was er vom Vater hörte, stand in keinem Schulbuch.
Denn in den 1980er Jahren war das Thema „Russlanddeutsche“ noch tabu. Einige vage Andeutungen in heimatkundlichen Büchern, ein paar Zeitungen, wenige wortkarge Erinnerungen von Zeugen, das war alles.
Doch ist es auch die Geschichten der Mutter von Alexander Spack, die erst damit ausrückte, als er schon erwachsen war. Auch sie wurde in der Republik der Wolgadeutschen geboren und zwar im Dorf Niedermonjou. Keine besonders guten Erinnerungen sind ihr aus dieser Zeit erhalten geblieben. Als der Krieg ausbrach, war sie erst vier Jahre alt. Alle Einwohner, unter ihnen auch ihre Familie, die Schmidts, wurden erbarmungslos vertrieben und in die Region Altai umgesiedelt. Und das nur, weil sie das Pech hatten, Deutsche zu sein. Aber die Erinnerungen an die Jahre, die sie mit Bruder und Schwester bei Verwandten in der Region Altai verbringen mussten, weil die Eltern in der Arbeitsarmee zu Hunger, und Strapazen verdammt waren, kann die Zeit nicht auslöschen. Es hat Jahre gedauert, bis die Familie Schmidt wieder zusammenfand.
Erste Veröffentlichungen gelungen
Das Verlangen nach mehr Wissen über die Geschichte seiner Familie und deren Landsleute, wuchs in Alexanders Herzen. Obwohl seine Forschungen nicht problemlos waren, häufte er allmählich Material an. Alexander beschloss daraufhin, seine Erkenntnisse in einem Essay niederzuschreiben. Es gelang ihm sogar gut, die Geschichte der Autonomie zusammenzufassen. Dieser kleine Erfolg endete jedoch mit einer großen Enttäuschung: Keine der sowjetischen Zeitungen wagte sich damals, seine Forschungsergebnisse zu veröffentlichen. Anscheinend war es noch zu früh. Die Zeit der grundlegenden Veränderungen ließ auf sich noch warten.
Seine erste bescheidene Publikation „Die Republik im Wolgagebiet“ in Form einer Informationsschrift erschien 1993. Seitdem hatten sich die Bedingungen für derartige Forschungen wesentlich verändert. Nach dem Zerfall der Sowjetunion öffneten die Archive, beliebige Themen und Materialien standen jetzt dem jungen Forscher der Geschichte der Russlanddeutschen zur Verfügung. Ihre Geschichte interessierte Alexander Spack immer mehr: das einstmals harmlose Hobby wurde am Ende zu seinem Schicksal.
Internet verändert alles
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts setzte sich allgegenwärtig das Internet als neues Recherche– und Kommunikationsmittel durch. Somit ergaben sich für Alexander neue Möglichkeiten für seine Forschungsarbeit.
Die ersten schlichten Schritte in der virtuellen Welt des Internets erwiesen sich als Erfolg. Alexander konstruierte eine eigene schlichte Webseite und veröffentlichte einige Materialien zur Geschichte der Wolgadeutschen.
Plötzlich schrieb ihn Wladimir Becker an und schlug vor, ihm einige Dokumente zum Thema sowie Fotos seines Großvaters für die Seite bereitzustellen. Einzigartiges Material, das der Autor des künftigen elektronischen Geschichtsbuches www.wolgadeutsche.net/ heute noch sehr wertschätzt.
Besonders erfolgreich war der Anfang nicht; um etwas wirklich Wirksames zu erreichen, fehlten Alexander tiefgreifende Kenntnisse für eine sichere Bewegung im elektronischen Raum. Anderthalb Jahre studierte er die Sprache des Internets und endlich war es so weit: Im Januar 2005 erschütterte er die Internetwelt mit der Geschichte der Wolgadeutschen auf seiner Seite „www.wolgadeutsche.net/“. Damals war er endlich an seinem langersehnten Ziel angelangt, der Welt die traurige und grausame Wahrheit eines ganzen Volkes zu enthüllen.
Zu dieser Zeit waren schon eine Menge Dokumente, Erinnerungen, Bücher zur Geschichte der Wolgadeutschen erschienen, und Alexander quälten immer öfters Gedanken über den Sinn seiner Seite.
Dokumentation wächst
Im April 2005 schrieb er für die amerikanische Zeitschrift „Northeast Kansas – Chapter of the Amerikan Historical Society of Germans from Russia“ folgende Sätze: „Mein Hauptanliegen, die Lücken in der Geschichte der Russlanddeutschen zu enthüllen, hat sich nicht geändert. Heute, wie vor zwölf Jahren, als meine Broschüre „Die Republik im Wolgagebiet“ veröffentlicht wurde, bin ich noch immer der Meinung, dass die Geschichte der Wolgadeutschen mehr Publik gemacht werden muss. Das möchte ich auch mit der Webseite „Wolgadeutsche“ bezwecken. Heute sind an diesem Projekt Historiker und Forscher aus Russland sowie aus Deutschland beteiligt. Ich bin angenehm überrascht darüber, dass es nach wie vor Menschen gibt, denen die Geschichte der Deutschen Autonomie an der Wolga nicht gleichgültig ist.“
Neun Jahre ist es bereits her. Heute nimmt die Arbeit an der Seite immer mehr Zeit in Anspruch. Es ist unmöglich, sie mit nur einer Person zu bewältigen. Freiwillige kommen Alexander Spack gern entgegen und bieten ihre Hilfe an. Durch einen glücklichen Zufall stieß eines Tages Iwan Gerber auf die Webseite. Er schickte Alexander auf Anhieb mehrere Dokumente zur Veröffentlichung zu. Von der Leidenschaft des Geschichtsaufklärers wurden später auch Viktor Krieger und Viktor Diesendorf hingerissen. Jetzt sind Texte der beiden bekannten russlanddeutschen Historiker auf den Seiten zu lesen.
Virtuelle Wolgarepublik
Einmal auf der Seite von Alexander Spack gelandet, will man sie sie nicht so schnell wieder verlassen. Es gibt immer einen neuen Titel, neue Bilder, neue Arbeiten, die man unbedingt sehen oder lesen möchte. Die vorgestellten Themen sind überwältigend: Man kann alte Zeitungen lesen, die über die Errungenschaften der deutschen Republik berichteten. Diese alten Zeitungen kaufte Alexander bei einem Altbuchhändler in Saratow, einige schickte ihm Andreas Raith zu. Ebenso bot Viktor Herdt seine Hilfe bei der Vorbereitung eines Lexikons an und schrieb dafür einige Artikel.
Die Seite informiert auch über Neuigkeiten unter den Russlanddeutschen, außerdem hilft sie, Menschen kennen zu lernen, die ihr Leben dem Gedeihen der autonomen Republik widmeten und später zum Opfer des sozialistischen Regimes geworden sind. Man erfährt ebenso über das Schicksal großer russlanddeutscher Persönlichkeiten. Von vielen freiwilligen Autoren wird heute diese Webseite gestaltet und kann so manch einen durch ihren reichlich präsentierten Inhalt zum Staunen bringen.
Geld für die Homepage ist knapp
Alexander steht im regen Briefwechsel, korrespondiert mit Autoren, Schriftstellern, Historikern und selbstverständlich auch mit Mitarbeitern von Bibliotheken in Moskau und Sankt Petersburg. Im Laufe der Zeit hat er über 15.000 Briefe geschrieben und verschickt. Man darf dabei auch nicht vergessen, dass die Gestaltung der Webseite Alexander kein Einkommen bringt.
Um die Seite zu führen braucht man nicht nur Geduld, Zeit, Kenntnisse und Fingerspitzengefühl, sondern auch Geld. Mittel für die Gestaltung des elektronischen Archivs, für die elektronische Bibliothek mit der großen Anzahl seltener Bücher, für die Internetkosten und noch vieles mehr. Früher ging alles auf eigene Rechnung. Heute kommen ihm Menschen entgegen, denen diese Seite viel bedeutet und übernehmen einige Rechnungen. Dafür ist ihnen Alexander sehr dankbar. Und nicht nur er, sondern auch alle, die dadurch die Gelegenheit bekommen, sich auf der Website zu informieren, zu lesen und sich im Webforum
zu unterhalten.
Rege Kommunikation im Forum
Das Forum spielt eine große Rolle bei der Entwicklung der Seite. Hier treffen sich Menschen aus allen Regionen der ehemaligen Sowjetunion und Deutschland. Aus langen Diskussionen entstehen Ideen, die dann gemeinsam umgesetzt werden.
Zurzeit arbeitet eine freiwillige Gruppe unter der Leitung von Andreas Raith an einem Almanach, in dem Erinnerungen an die Vergangenheit publiziert werden sollen.
Heute wird diese Webseite täglich von etwa 1.000 Gästen besucht. Alexander meint, es wäre nicht so viel, nur ein Tropfen im Meer, aber gleichzeitig freut er sich, wenn neue Ideen und frischer Wind auf die Seite gebracht werden. Er fühlt sich glücklich, wenn sich Menschen, die sich jahrelang nicht gesehen haben, sich im Internet auf seiner Seite wieder begegnen. Solche Begegnungen führen zu neuen Ergebnissen.
Aus allen Ecken treffen Briefe ein, in denen die Absender um Hilfe und Unterstützung bitten, weil sie allein nicht zurechtkommen. Es ist eine breite Palette verschiedener Fragen, die in diesen Briefen gestellt werden: Die Leute möchten wissen, woher ihr Name kommt, mit welchem Zug man ihre Verwandten 1941 in die unbekannte Ferne abtransportiert hat, was heute aus dem Heimatort ihrer Nächsten geworden ist. Ein Team von Forschern hat sich dazu bereit erklärt, sich um die Post zu kümmern.
Auf der Website von Alexander Spack sind Wissenschaftler, Schriftsteller, Historiker, Journalisten – bekannte und eher unbekannte, vorgestellt. Hugo Wormsbecher, Robert Korn, Albert Obholz, Arkadi German und viele andere bedeutende Persönlichkeiten unseres Volkes vertreten hier ihre Meinung und wecken das Interesse der Besucher für das Thema „Geschichte der Wolgadeutschen“.
Auf der Internetseite können wir uns auch mit Alexander Spack bekannt machen, der sich bescheiden als Verwalter der Seite vorstellt. Er wohnt in der kleinen Stadt Srednjaja Achtuba an der Wolga.