Vor kurzem bin ich in den unsäglichen Weiten des Internets auf ein Bild gestoßen. Darauf abgebildet waren der amerikanische Präsident Donald Trump nebst Gattin Melania sowie der Präsident Kirgisistans Sooronbai Dscheenbekow mit seiner Ehefrau.
Interessant an dieser Aufnahme war allerdings, dass man der First Lady Kirgisistans eine blaue Plastiktüte mit der Aufschrift „Aygen“ in die Hand montiert hatte. Ein Staatsbesuch zwischen den USA und Kirgisistan ist allerdings bislang unbekannt, das Foto ohne Frage eine Bildmontage. Man könnte nun meinen, in einem politischen Akt der freien Meinungsäußerung unterstellt der Autor dem mächtigsten Mann der Welt den Intellekt einer blauen Plastiktüte. An dem Vergleich ist wohl was dran, besonders in Zeiten, in denen die Realität jede Satire übersteigt.
Eher vermute ich allerdings, dass man hier in bester Borat-Manie mal wieder das Klischee des zurückgebliebenen, bäuerlichen Zentralasiens ausgräbt, in dem der proletarische Chruschtschow-Chic mehr gilt als die Haute Couture aus Paris. Kurze Zeit später entdeckte ich jene blaue Plastiktüte mit der Aufschrift „Aygen“ aber tatsächlich auf der Straße und kam ins Grübeln. Seitdem sehe ich sie überall. Irgendetwas muss es auf sich haben mit dieser merkwürdigen blauen Tüte.
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Seit 2016 dürfen in Deutschland Plastiktüten nicht mehr unentgeltlich ausgegeben werden, manche Geschäfte haben sie bereits komplett verbannt. Ein sinnvoller und richtiger Schritt zum Umweltschutz. Allerdings ist Deutschland weit weg von hier. So wichtig solche Maßnahmen sind, so abwegig und realitätsfern erscheinen sie gelegentlich im zentralasiatischen Alltag. Insbesondere diese quadratische, karierte Plastiktasche, mit der Reisende seit Generationen ganze Hausstände transportieren, hat es zu gewisser Berühmtheit gebracht. Die PVC-Taschen sind im englischen Sprachraum als „China-Bag“ bekannt.
Auch in Deutschland kennt man sie, politisch leicht unkorrekt als „Türkentasche“ oder „Polenkoffer“. Selbst Afrika kennt diese Tasche als „Ghana-must-go-Bag“, ein Seitenhieb auf das Schicksal vieler Ghanaer, die in den 1990er Jahren an den Grenzen Europas aufgrund fehlender Papiere abgelehnt wurden. Nun, auch ich musste schon alten Mütterchen zu Hilfe eilen, die ihre viel zu großen, vollgepackten karierten Taschen durch die engen Flure sibirischer Nachtzüge zu quetschen versuchten. Diese Tasche ist ein Dauerbrenner, ein Klassiker unter den weltweiten Plastiktaschen.
Das zentralasiatische Äquivalent ist jene mysteriöse blaue Plastiktüte: „A&C Aygen Collection Styled In Italy“ lautet deren kryptische Inschrift. Nur wer bewusst danach Ausschau hält, wird sich nach einiger Zeit wundern: in jedem Laden, auf jedem Basar, in Bahnen und Bussen in ganz Zentralasien wird man sie finden, diese blaue „Aygen“-Tüte. Italien wiederum kennt keinerlei Unternehmen namens Aygen, für was „A&C“ stehen soll, bleibt offen. Die Herkunft und die Bedeutung der „Aygen“-Tasche ist ein Rätsel. Fest steht jedoch, dieser mysteriöse Plastikbeutel ist ein fester Bestandteil zentralasiatischen Alltags. Das Internet bringt, wenn auch keinerlei weiterführende Informationen, zahlreiche Fotos hervor, auf welchen man die blaue Tüte in allen erdenklichen Alltagssituationen entdecken kann. Es finden sich Fotos von Hochzeiten und Beerdigungen, auf denen die Tüten bereitliegen, damit sich die Gäste traditionell das übriggebliebene Essen einpacken können. Eine Dame hat sich sogar ein blaues Aygen-Abendkleid aus der Tüte geschneidert, schick!
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Eventuell handelt es sich bei der geheimnisvollen Wort- und Buchstabenkombination auf der blauen Tüte ja sogar um einen geheimen Code, um ein Erkennungszeichen eines zentralasiatischen Geheimbundes, der seine Fäden auf den Basaren und Märkten rund um das ehemalige Emirat Turkestan spannt.
Vielleicht ist es aber auch eine chinesische Fabrik, die den gesamten Plastiktütenmarkt mit seinen Plastiktüten zu unschlagbaren Preisen überschwemmt. Möglicherweise werde ich es nie herausfinden. Fest steht allerdings: „A&C Aygen Collection Styled In Italy“ ist die Tragetasche Zentralasiens.