Elvira Bakyt Kyzy interviewt ihre Oma Samar, die ihr von der kirgisischen Tradition des Brautraubs berichtet – und das gleich zweimal.
Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, musste Kalyk Rajimkulow trotz Frau und Kinder in den Krieg. „In unserer Familie waren wir vier Mädchen und ich war die Jüngste. Wir sind bei der Mutter geblieben. Sie arbeitete viel. Es war eine schwierige Zeit. Wegen der Arbeit ist sie krank gewesen. Nach drei Jahren ist unsere Mutter gestorben. Wir kamen dann zu anderen Verwandten“, erinnert sich Samar Samidinowa.
Für die Kinder war es schwer, ohne Mutter und Vater zu leben. Sie blieben bei Verwandten. Nach dem Krieg kam endlich Kalyk Rajimkulow nach Hause und nahm die Kinder zurück. Er heiratete wieder und wurde noch Vater von elf weiteren Kindern. „Wir lebten alle einig und glücklich. Unser Haus befand sich im Dorf Atschy im Gebiet Dschalalabat“, sagt Samar. Heute trägt eine Straße in Atschy den Namen „Kalyk Rajimkulow“.
Die Zeit ging vorbei. Samar war 19 Jahre alt. Sie heiratete nach kirgisischer Tradition, indemsie von einem Jungen ‚geraubt‘ wurde. Danach lebte sie eineinhalb Jahre in der Ehe und bekam ein Kind. Ihr Mann und sie lebten mit seinen Eltern zusammen.
Allerdings kam nach zwei Jahren Dscholmamat aus der Armee zurück. Er und Samar kannten sich schon sehr lange. Nun sah er Samar in einer anderen Familie wieder. Er wusste, dass sie schon ein Kind hatte. Trotzdem wollte Dscholmamat Samar heiraten: Er kam eines Tages zu ihr und nahm sie mit, als sie Brote backte. So wurde Samar ein zweites Mal gestohlen – es war wieder kirgisische Tradition. Zunächst flüchteten die beiden nach Taschkent, um keine Rache fürchten zu müssen. Doch nach der Rückkehr versuchte der erste Mann, Dscholmamat umzubringen. Er stach mit dem Messer drei Mal zu. Dscholmamat überlebte.
Alle Verwandten waren gegen diese Ehe, da Samar schon ein Kind hatte. Außerdem hatten die Eltern Samars erste Ehe zugestimmt. Aber die Liebe hat in dieser Situation gewonnen. So begann das neue Leben von Dscholmamat und Samar. „Danach begann ich in der Kolchose zu arbeiten. Alle achteten mich. Ich arbeitete im Dorfamt, und habe viele Auszeichnungen bekommen“, erzählt Samar. Sie bekam zehn Kinder – drei Söhne und sieben Töchter sowie eine Medaille als „Heldenmutter“. Heute wohnt sie in Dschalalabat. Sie hat 41 Enkel und 14 Urenkel.
„Ich bereue nichts!“, sagt sie stolz.