Als im Jahre 1650 die erste Tageszeitung aus der Presse einer Leipziger Druckereiwerkstatt kam und damit das Nachrichtenwesen erfunden wurde, gab es noch keinen Meinungsjournalismus. Statt der Textform des Kommentars dominierten meist kurze Berichte mit einer sachlichen Beschreibung, von dem, was war und ist. Ausgewogen und neutral. Genau das ist es, was heute oftmals fehlt. Wenn wir aber unsere derzeitige Medienkrise in Deutschland erfolgreich überwinden wollen, müssen wir uns ein Beispiel an den Kollegen des 17. Jahrhunderts nehmen. Wir müssen nicht nur mehr Sachlichkeit zulassen, sondern auch den Medienkonsumenten dazu ermuntern, eine eigene Meinung zu entwickeln.
Nicht erst Blogs und soziale Netzwerke, allen voran Twitter, haben unter Medienmachern zu einem veränderten Verständnis von modernem Journalismus geführt: Es gilt heute, nicht mehr nur in schneller Weise aktuelle Informationen bereitzustellen, sondern am besten auch gleich eine verständliche Einordnung mitzuliefern. Was meist etwas verklausuliert Haltung genannt wird, ist jedoch häufig mehr als nur eine (wohl)meinende Einordnung. Journalisten drücken oft allerhand Überzeugungen aus, manchmal gespickt mit Unschärfen und Spekulationen, gerade wenn die Nachricht noch „frisch“ ist. Das lässt bei Lesern, Hören und Zuschauern den Verdacht aufkommen, Journalisten seien parteiisch oder zumindest unseriös.
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Ein trauriges Beispiel für diesen Umgang mit Informationen ist die von Teilen der Gesellschaft wohl nicht zu Unrecht als journalistische Kampagne wahrgenommene Demontage Christian Wulffs als Bundespräsident. Auch hier mischten sich belegbare Fakten mit unhaltbaren Vorwürfen. Der fragwürdige Umgang mit Christian Wulff hat das Vertrauen in den Journalismus in Deutschland tief erschüttert, insbesondere nachdem gerichtlich entschieden worden war, dass der vermeintliche Amtsmissbrauch jeglicher Grundlage entbehrte. Der Fall Wulff hat viele Menschen in dem Gefühl bestärkt, nur unzureichend oder gar falsch informiert zu werden. Dieser Moment könnte möglicherweise die Geburtsstunde des modernen „Lügenpresse“-Vorwurfs gewesen sein.
Keine Frage, unsere parlamentarische Demokratie lebt von Pluralismus, von Positionierung und von Debatte – gerade auch weil das politische Spektrum in Deutschland über viele Jahre hinweg an den Rändern erodierte und die Stimmung gen Mitte wanderte. In so einem Moment braucht es Politiker mit klaren Positionen. Dennoch: Das Erstarken von nationalkonservativen Bewegungen wie der AFD mit ihren kernigen und tendenziösen Positionen zeigt, dass es mit Meinungsjournalismus allein nicht getan ist. Wir benötigen eine sachliche Auseinandersetzung mit Themen, in der auch die Widerlegung von abstrusen Thesen möglich sein muss. Daher sollten Journalisten ihren Auftrag, ausgewogen zu informieren, sehr ernst nehmen.
Dies gilt insbesondere für Medienschaffende, die für öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten arbeiten. Sie sind einem Dauerverdacht ausgesetzt: Erstens wird ihnen häufig vorgeworfen, aus Abhängigkeit zu den Rundfunkgremien regierungstreu zu berichten und zweitens dafür auch noch bezahlt zu werden – auch von jenen, die dieses Medienangebot nicht nutzen. Öffentlich-rechtliche Journalisten sollten diese Befürchtungen nicht einfach abtun und sie stattdessen zum Anlass nehmen, redlich zu arbeiten. Dies kann nur gelingen durch eine Versachlichung der Berichterstattung. In internationalen Rankings nimmt die Qualität der deutschen Medienlandschaft eine gute Position ein. Tun wir bitte alles, damit das auch so bleibt.
Unser Autor Holger Lühmann meint die Deutschen Medien hätten ein Glaubwürdigkeitsproblem. Um das zu ändern, sei ein Mentalitätswandel nötig.