Schawkat Mirsijojew ist seit über einem Jahr das Staatsoberhaupt der Republik Usbekistan. Nach dem Tod Islam Karimows im September des vergangenen Jahres übernahm er vorläufig die Amtsgeschäfte und führte erste Reformen durch, welche ihm das Vertrauen seiner Landsleute einbrachten. Am 6. Dezember 2016 wurde er schließlich mit 88,6 Prozent der Stimmen zum zweiten Präsidenten Usbekistans gewählt. Hatte er zunächst versprochen, die Politik seines Vorgängers fortzusetzen, kann man nun jedoch sehen, dass Mirsijojew einen eigenen Kurs verfolgt, der von Karimows Politik im Land abweicht.
Der seit 2003 als Premierminister amtierende Schawkat Mirsijojew hat im vergangenen Jahr die Präsidentschaft nach dem Tod Islam Karimows übernommen. Zur Amtsübernahme sagte er: „Wir werden die breiten politischen, ökonomischen und sozialen Reformen unseres verehrten ersten Präsidenten, Islam Karimow, ohne eine Abweichung entschlossen und intensiv fortsetzen. Dieser Weg ist die Grundlage für die Bildung eines freien, demokratischen, humanistischen und zivilgesellschaftlichen Staates sowie der Entwicklung der Wirtschaft in unserer Heimat.“ Mit der Abweichung von diesem Versprechen setzte er sich bald darauf scharfer Kritik aus.
Neue Offenheit in der Regierung
Der Präsident spricht Dinge an, die das Karimow-Regime zu verschweigen suchte. „Mit Mirsijojew kamen auch Tausend Probleme“, sagt ein Teil der Usbeken, die zu gern glaubten, dass es in Usbekistan unter Karimow wirklich keine Probleme gegeben hatte. Im Staatsfernsehen gibt es nun Live-Videosendungen, in denen Mirsijojew die Probleme des Landes vor der versammelten Regierung bespricht. Er kritisiert die Minister in diesen Sitzungen hart. Dies dient dazu, den Präsidenten stark erscheinen zu lassen, jedoch nicht das Kabinett.
Auch in anderen Medien gibt es nun offene Berichte und Reportagen, die sich mit den sozialen Problemen in der Gesellschaft befassen, zum Beispiel der Baumwollernte oder im Bereich der Religion. Zwar sind Presse- und Meinungsfreiheit in Usbekistan noch immer stark eingeschränkt, doch sieht es nach Verbesserungen in diesem Bereich aus. Zudem wird anscheinend die politische Bildung von Jugendlichen vorangetrieben; die „Union der Jugend“ („Yoshlar ittifoqi“) wird stärker gefördert.
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„Problemlösermaschine“ – das virtuelle Portal des Präsidenten
Bereits als Premierminister hatte Mirsijojew ein sogenanntes virtuelles Portal, wo Bürger Probleme, Bitten, Vorschläge und Ideen einreichen können, geschaffen. Die Meldungen werden tatsächlich gründlich bearbeitet und beantwortet. Dieses Portal hat ihn zu einer zentralen „Machtperson“ in der Regierung gemacht und ihm das Vertrauen der Bevölkerung gesichert. Einige der jetzigen Reformen spiegeln die Wünsche der Bevölkerung wieder, insbesondere beim Thema Korruption.
Diese wird zwar mit eiserner Faust bekämpft, doch ist noch nicht ganz klar, mit welchem Erfolg. Das virtuelle Portal und das Gefühl, dass endlich jemand zuhört, ist unter Usbeken sehr beliebt geworden. Es verbreiten sich sogar Witze, dass man sich bei jeder Kleinigkeit gegenseitig „erpressen“ kann, wenn man es nur ins Portal schreibe. Selbst fernere Regionen wurden durch das Portal und das Jahr „Dialog mit dem Volk“, bei dem es viele einzelne Gespräche mit der Bevölkerung gab, in die Politik einbezogen.
Öffnung der Türe für „Feinde“
Galt unter Karimow das Prinzip, dass ausländische Mächte die Freiheit und Kultur Usbekistans gefährden, nutzte Mirsijojew dieses bereits zu Beginn seiner Präsidentschaft nicht mehr. Die neuen diplomatischen Beziehungen mit seinen Nachbarländern zeigen, dass Usbekistan nicht nur eine Zusammenarbeit mit „Großmächten“ wie Russland oder Europa anstrebt, sondern sich auch auf regionale Kooperationen konzentriert. Auch die Beziehungen mit der EU erlebten unter Schawkat Mirsijojew einen Neuanfang. Am 10. November trafen sich die Außenminister der fünf zentralasiatischen Staaten mit der Hohen Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik und dem Kommissar für Entwicklungszusammenarbeit in Samarkand, um neue Strategien für die Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft, Umweltschutz, Menschenrechte und Sicherheit auszuarbeiten.
Dieses Treffen diente einer besseren Verständigung Usbekistans nicht nur mit seinen Nachbarn, sondern auch zwischen allen zentralasiatischen Staaten. Es wurden verschiedene Grenzabkommen unterzeichnet wie zum Beispiel mit Kasachstan und Turkmenistan. Auch die Beziehungen zu Krigisistan und Tadschikistan haben sich entspannt. Grenzübertritte für Bürger und Händler sind einfacher geworden und im April fand nach 25 Jahren zum ersten Mal ein regulärer Linienflug von Taschkent in die tadschikische Hauptstadt Duschanbe statt.
Für die Mehrheit der Usbeken war dies überraschend. Unter Karimow glaubten viele, dass alle Kriminalität in Usbekistan aus den Nachbarländern komme und man die Abschottung brauche, um „die nationale Solidarität zu stärken“. Auch Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch sind nach Usbekistan zurückgekehrt und begrüßten die Entwicklungen in Usbekistan seit dem Amtsantritt Mirsijojews.
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Ende des Schwarzmarktes
Während ein Dollar nach dem offiziellen Kurswechsel in den Banken etwa 4.200 Sum Wert war, konnten Privatpersonen und inländische Investoren auf dem Schwarzmarkt für doppelt so viel ihr Geld wechseln. Das hat ausländische Investoren oft abgeschreckt, welche als sehr wichtig für die Entwicklung der usbekischen Wirtschaft betrachtet werden. Im September wurde die schon längst erwartete Geldreform Realität. In- und Ausländer können ihr Geld zu den besseren Schwarzmarktkursen in den Banken sicher tauschen.
Die riskante Währungsreform öffnet die Wege für ausländische Investoren. In seinen Reden betont Mirsijojew, dass eine enge wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den Nachbarländern sehr wichtig für die Entwicklung der Wirtschaft ist. Investitionen aus Russland, China und Türkei soll diese Reform rechtfertigen. Gefördert werden damit auch Kleinunternehmen und private Unternehmer. Die usbekischen Banken fördern die usbekischen Geschäftsmänner im In- und Ausland mit Krediten, eigene Geschäfte zu machen.
Neue Wege für Migranten
In einer seiner Reden sprach Mirsijojew über die in der Türkei lebenden usbekischen Migranten. Er sagte, dass seine Regierung jetzt jedes einzelne Problem in seinem Land kenne, an denen sich Reformen und Gesetze orientieren müssen. Während unter Karimow Arbeitsmigranten als „Heimatverräter“ betrachtet wurden, gibt es nun Erleichterungen für Bürger, die im Ausland arbeiten wollen. Ein Beispiel hierfür ist die Abschaffung des Ausreisevisums, das innerhalb der GUS nur noch in Usbekistan erforderlich war.
Wer schon lange im Ausland arbeitet und sich gut mit Geschäften dort auskennt, kann nun Beratung und Kredite für Öffnung der Kleinunternehmen in den usbekischen Banken bekommen und mit ausländischen Firmen kooperieren. Neue Grenzabkommen und Zollregelungen sollen dies in Zukunft noch mehr erleichtern. Solche Reformen und offene Problemdarstellungen der Migranten zeigen, dass sich das Verhältnis zu ehemaligen „Heimatverrätern“ geändert hat.
Diese Reformen haben jedoch auch Nachteile: Die Preise von Lebensmitteln in Usbekistan haben sich in einem Jahr fast verdoppelt. Usbekische Produkte werden ins Ausland, hauptsächlich nach Russland, exportiert und mehr ausländische Produkte importiert. Der Preissteigerung soll die Reform für die Erhöhung von Gehältern ab dem 1. Dezember entgegenwirken.
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Tourismus anstatt Baumwolle
Gleich zu Beginn seiner Präsidentschaft kündigte Mirsijojew an, dass künftig kein Touristenvisum mehr für die Einreise nach Usbekistan notwendig sei. Ab dem 1. Januar 2021 soll das Touristenvisum aus 27 Ländern, darunter Deutschland, Österreich und Schweiz abgeschafft werden. Dieser Erlass vom 9. Januar 2017 ist ein wichtiger Schritt für die Entwicklung des Tourismussektors. Das Mirsijojew-Regime sieht Tourismus als Möglichkeit für Wirtschaftswachstum und die Schaffung neuer Arbeitsplätze an. Die neuen Zugverbindungen von Usbekistan nach Turkmenistan und Kasachstan sowie die Eröffnung der Flugverbindung nach Tadschikistan sollen dazu dienen, dass mehr Touristen entlang der Seidenstraße reisen und somit auch mehr Menschen nach Usbekistan kommen.
Allein die bei Touristen sehr beliebte Stadt Samarkand hat in diesem Jahr 480 Milliarden Sum Gewinn gemacht. Während einer Rede in Samarkand sagte Mirsijojew, dass Tourismus einen viel höheren Gewinn als Baumwolle für Usbekistan bringe: „Der Gewinn von der Baumwolle, die alle Farmer in der Region in einem Jahr geerntet hat, beträgt 52 Milliarden Sum. An diesen zwei Zahlen sieht man, dass man bisher nicht die touristischen Möglichkeiten unseres Landes genutzt hat, obwohl sie viel mehr Gewinn als die Baumwolle bringt, die unser Volk zwölf Monate lang anbaut.“
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Was bringt 2018?
Beobachter bewerten das erste Jahr Mirsijojews eher positiv. Zwar sind die Reformen nur kleine Schritte in Richtung einer Öffnung des Landes, doch scheint sich etwas zu tun im Staate Usbekistan. Für das kommende Jahr werden Reformen in den Bereichen Bildung und Religion erwartet. Außerdem rechnet man mit einer weiteren wirtschaftlichen Liberalisierung des Landes.
Ebenfalls auf der Agenda sollte die Ausweitung der regionalen Zusammenarbeit bei den Themen Afghanistan, Terrorismusbekämpfung und Wasserversorgung stehen. Eine Einigung über das Wasserreservoir Kasan-sai, das zwar in Kirgisistan liegt, aber hauptsächlich zur Wasserversorgung Usbekistans genutzt wird und bereits des Öfteren zu Konflikten führte, scheint bereits in Sicht zu sein.