</Eine geteerte Hauptstraße, ein paar Plattenbauten, eine Moschee: In Scharkent, einer Stadt an der chinesisch-kasachstanischen Grenze im Siedlungsgebiet der Uighuren, gehen die Uhren etwas langsamer als in der 300 Kilometer entfernt liegenden Metropole Almaty. Dafür tritt man auf neugierig gelassene Einwohner, die immer zum Plaudern aufgelegt sind.

Eine geteerte Hauptstraße, ein paar Plattenbauten, eine Moschee: In Scharkent, einer Stadt an der chinesisch-kasachstanischen Grenze im Siedlungsgebiet der Uighuren, gehen die Uhren etwas langsamer als in der 300 Kilometer entfernt liegenden Metropole Almaty. Dafür tritt man auf neugierig gelassene Einwohner, die immer zum Plaudern aufgelegt sind.

Durch den endlosen PKW-Strom auf den Boulevards von Almaty drängen sich jedes Wochenende hupend rasende Hochzeitsparaden. Autokarawanen, angeführt von Hollywood-Limousinen mit rosa Schleifchen und verdunkelten Scheiben, drängen sich durch Schlangen von Westkarossen zum Platz der Republik, um sich dort mit Nasarbajews nationalen Reliqiuen ablichten zu lassen. Krachende Feuerwerke nähren die Idee, für ein ruhiges Wochenende der Metropole den Rücken zu kehren – auch wenn das Leben abseits der Abai-Straße schon nicht mehr das der Hochzeitsparaden ist.

Die Aussicht auf Ruhe abseits Almatiner Boulevards bietet nicht nur die Bergwelt im Umland, sondern auch die Gegend an der chinesischen Grenze. In Scharkent – dem ehemaligen Panfilow – der letzten wirklichen Stadt Kasachstans kurz vor der Grenzstadt Chorgos, geht alles gemütlicher und bescheidener zu. Schon die Busreise lässt den Reisenden ahnen, dass er sich direkt in ruhigere Gefilde begibt. Während der ersten 100 der rund 350 Kilometer ziehen noch zahlreiche Siedlungen und kleine Städtchen entlang der A 351 am Fenster vorbei. Dann wird die Landschaft karger. Nach einem Stop in Tschilik und mancher Tabakplantage muss man die Häuser in den Weiten der Landschaft mit Adleraugen suchen.

Beeindruckend wird die halbtägliche Fahrt besonders durch den Übergang von grünen Ebenen, zu steinigen Hügellandschaften, sandigen Canyons in mehr oder weniger fruchtbare, fast endlos erscheinende Weiten der rauhen Steppe mit Gras- und Halbstrauchbewuchs.

Wenige Kilometer vor Scharkent erscheinen wieder Dörfer und Städtchen am Horizont, man passiert muslimische Nekropole, und bei guter Sicht kann man gar bis zum Alataugebirge blicken. Die Straßen sind meist mit einer Vielzahl kleiner bunter Fahnen gesäumt. Das wehende Orange, Gelb, Blau, Grün und Rot lockert das Straßenbild auf und die Hauseingänge sind mit chinesisch anmutenden Ornamenten verziert. Man ist noch nicht in China, aber eindeutig im Siedlungsgebiet der Uighuren angekommen, dieser großen ethnischen Minderheit im Lande. Die Uighuren sind schon lange hier ansässig ist. Sie verließen ihre Heimat in Xinjiang schon Ende des 19. Jahrhunderts, noch bevor der Kommunismus nach Zentralasien kam, da sie in ihrer Heimat verfolgt wurden.

Die Ankunft in Scharkent lässt vermuten, dass das Leben hier ruhiger zugeht. Ein kleiner gemütlicher Kleinstadtbusbahnhof begrüßt den Reisenden. Nur eine wirklich durchgehend geteerte Hauptstraße durchzieht die Stadt, die von wenigen vier- bis fünfstöckigen Plattenbauten gesäumt wird. Prunkvolle post-sowjetische Prachtbauten des neuen Kasachstan sucht man vergeblich, ebenso wie glitzernde Leuchtfasaden und Casinos, die man von Almaty her kennt. Vielmehr zeugt die Kleidung der Menschen vom Stolz auf die Wiedergeburt des Islam im ehemals sowjetischen Orient.

Ein Stadtrundgang führt durch zahlose Schotterstraßen, die fast so quadratisch angelegt sind wie das Zentrum der ehemaligen Garnisionstadt Alma-Ata und von ebenso viel Grün gesäumt sind – jedoch auch mit unzähligen Schlaglöchern. Staub liegt in der Luft, rechts und links stehen kleine gemütliche Häuser, an den Straßenecken gibt es die Pumpen der Wasserversorgung. Ein älterer Mann mit europäischen Gesichtszügen fällt auf. Fast entschuldigend und ein wenig verärgert erklärt er gegenüber dem Reisenden, dass es in Russland nicht so schmuddelig aussehe – ob man ihm glauben mag? Der mehr als offensichtliche Wodkakonsum lässt dieses Statement eher als Schwank erscheinen.

Auf den ersten Blick erinnert vieles an das Straßenbild und einfachere Leben in Alamty abseits der Abai-Straße. Dennoch: Ornamentverzierungen chinesisch-asiatischen Stils an manchem Hauseingang muten exotisch an. Zwischen grauen, maroden Häusern steht ein blitzend renoviertes blau-grünes Haus – vielleicht das schönste Scharkents – mit goldenem Halbmond auf dem Dach. Es ist eine Koranschule, lachende Kinder toben um das Haus herum. Ein Zeichen, dass man bei den muslimischen, turkmongolischen Uighuren aus dem östlichen Tienschan-Gebirge ist – erst auf den zweiten Blick erkennt man die leichten Unterschiede zu den Gesichtszügen der Kasachen.

Das Verkehrsaufkommen in Scharkent ist bescheiden, die Luft weniger von stechendem Benzingeruch durchsetzt und die großen Westkarossen in modernen Trendfarben der Alamatiner Boulevards sind rar. Stattdessen sieht man um Schlaglöcher kurvende Ladas und Wolga-PKW im Sozialismus-Design der 70er Jahre und Esel, die Zweispännerkarren ziehen. Karawanen gibt es ebenso – nur mit bescheideneren Vehikeln und schlicht geschmückt. Das eigentlichere Ziel auf den Scharkenter Paraden ist die Juldaschew-Moschee, benannt nach einem uighurischen Emigranten.

Wie die Senkow-Kathedrale Almatys ist die Moschee ohne Nägel gebaut. Das architektonische Gesamtbild der Scharkenter Moschee ist Ausdruck der lebhaften zentralasiastischen Kulturmischung und Zeichen der ethnischen Vielfalt Kasachstans. Die dekorativen, holzgeschnitzten und grüngefärbten Minarette der Juldaschew-Moschee sehen aus wie eine chinesische Pagode oder eine buddistische Stupa. Das prunkvolle Eingangstor mit blau-goldenen muselmanischen Ornamentverzierungen als Ausdruck der Größe Allahs überragt das Gesamtbauwerk und erinnert an die große neue zentrale Moschee in Almaty. Die Fenster des eher wie ein chinesischer Tempel aussehenden Hauptbaus aus Holz und weißem Beton könnten die einer russisch-orthodoxen Kirche sein.

Die Einheimischen sind stolz auf ihren islamischen Kultbau. Hier ist er das Ziel der Hochzeitskarawanen. Man posiert vor dem Bauwerk und lässt sich von allen Verwandten ablichten – wandelt dabei dennoch genau wie in Almaty ein wenig auf den Spuren Nursultan Nasarbajews. Mit etwas Stolz erzählt der Taxifahrer Ali, dass der kasachstanische Präsident am 22. Juli hier gewesen sei und Moschee und Stadt einen Besuch abstattete. Stolz auf das Bauwerk und auf den Besuch Nasarbajews ist Ali zwar, doch findet er, dass in seiner Heimatstadt vieles zu langsam vorangehe. Eigentlich habe sich in den letzten Jahren kaum was verändert. Nur die Hauptstraße sei neu geteert worden, so Ali – obwohl auch hier die landesüblichen Plakate der Regierung Fortschritt und Modernisierung verheißen.

Das abendliche Staatsfernsehen, dass ein modernes Land vorführt, wirkt auf den müden Reisenden in Scharkent noch weiter weg als es dies in Almaty schon tut. Dafür findet man an den Abenden Ruhe in Scharkent. Krachende Hochzeitsfeuerwerke gibt es keine – nur der Muezzin ruft und sprich vom Dar al Islam. Der Hadit-Vers aus den wichtigen Maßregeln Mohammeds „Wer eine Moschee baut, dem baut Gott ein Haus im Paradies“ scheint hier mehr Gewicht zu haben als Nasarbajews Regierungsprogramm „Kasachstan 2030“.

Die Uhren gehen hier langsamer. Atmosphäre und Stadtbild in Scharkent strahlen Gelassenheit und Freundlichkeit aus – zumal man für einen Besuch keine Sondergenehmigung braucht, wie für andere Orte in Grenznähe. Dem Reisenden begegnet man mit Interesse, man ist zum Plaudern aufgelegt. Bei dem Kioskbesitzer Jerlan, der einst Pädagogik studierte und dabei auch ein paar Brocken verschiedener Fremdsprachen aufschnappte, hinterlässt ein DAZ-Geschenkexemplar ein breites Lächeln. Es folgen eine Tasse Tee, Ausführungen über die Besonderheit der Scharkenter Moschee und viele Fragen an den Reisenden.

Die Ruhe hat auch ihre Kehrseite. Auf der Rückfahrt erzählt der 21-jährige Nuri, dass es in seiner Heimatstadt kaum Arbeit und Perspektiven für die Jugend gebe. Deswegen fahre er auch nach Almaty – ohne wirklich einer festen Arbeit nachzugehen. Genauso wie seine drei älteren Brüder. Der Uighure Nuri weiß, dass es neben der Zeitung seiner eigenen Minderheit drei weitere Zeitungen ethnischer Minderheiten in Kasachstan gibt und freut sich über eine Ausgabe der DAZ. Im Gegenzug erhält man Riesenmengen Sonnenblumenkörner zum Knabbern, die die Busfahrt verkürzen. Neben den Eindrücken aus Scharkenkt ein gern willkommener Proviant, denn die etwa 300 Kilometer lange Fahrt zurück nach Almaty dauert fast sechs Stunden.

In unserer Serie „Abseits Almatiner Boulevards“ bieten wir ihnen zukünftig Geschichten und Porträts von Orten, die an der Peripherie der großen Städte Kasachstans liegen.

26/08/05

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