„Der Ehrliche ist der Dumme“ lautet der Titel eines Buches, das unser beliebtester Nachrichtensprecher vor einigen Jahren schrieb.

Als anerkannter Moralapostel der Nation fand er sofort Gehör. „Ja, genau!“ befand das Volk, ohne mit der Wimper zu zucken, und zum Teil auch, ohne das Buch zu lesen. Und sofort fühlten sich alle bestätigt, dass man gar nicht anders kann als zu mauscheln, klüngeln, betuppen, schummeln, schwindeln, mogeln, weil man sonst nicht nur betrogen wäre, sondern auch noch dumm, dann zahle man doppelt und dreifach drauf. Drum muss man sich selbst zurückholen, was einem genommen oder gar nicht erst gegeben wurde. Und weil auch Zeit Geld ist, holt man sich davon eben auch noch was und lässt sich einfach krank schreiben, weil man ja sowieso immer zu viel schuftet und es einem keiner dankt. Und wer den Betrug nicht mit Ziffern belegen kann, dem reicht der gefühlte Zustand, wie einem täglich, fast stündlich das Geld aus der Tasche gezogen wird. Aber das wirklich Dumme daran ist, dass man ja eigentlich redlich und ehrlich sein soll, so steht es zumindest in der Bibel, und auch wer da nicht mehr reinschaut, weiß, dass das darin steht. Das Betrügen braucht eine moralische Absicherung, die meist darin liegt, dass wir ja eh alle ständig gerupft, betrogen und ausgebeutet werden – vom Staat und der Wirtschaft sowieso – dass das Leben ungerecht ist und das Geld ja eigentlich sowieso uns Steuerzahlern gehört. Wir freuen uns diebisch, wenn wir etwas von unserem Geld am Finanzamt vorbeischleusen; das Schwarzfahren und Nichtzahlen von öffentlichen Gebühren gilt als Volkssport. Die Schwarzbrennerei von Medien ist wichtig und richtig, weil die Musikindustrie sowieso immer zu viel verdient und die reichen Musiker eh zu reich sind und damit haben wir sie wieder bewiesen – die Ungerechtigkeit, unter der wir leiden. Und weil wir trotz der Betrügerei immer noch zu wenig Geld haben, müssen wir uns illegale Nischen schaffen – Schwarzhandel, Schwarzarbeit – die schon längst keine Nischen mehr sind, sondern fester Bestandteil der Volkswirtschaft. Auch ganz beliebt – kleinere und größere Gegenstände aus Hotels klauen. Wer es nicht macht, fällt auf. Nicht umsonst heißen die Notlügen Notlügen, haben wir die Bagatell – und Kavaliersdelikte. Zwar fehlt es uns heutzutage an Kavalieren, aber der Begriff beweist immer noch, dass Delikte auch ehrenhaft sein können. Wir üben das schon von klein auf – übertreiben, vertuschen und hochstapeln, das wird schon im Sandkasten geübt, ist aber noch harmlos. In der Schule landen wir mit den gefälschten Unterschriften der Eltern schon inmitten der Urkundenfälschung. Und knallharter Betrug ist, was in der Universität auf dem Schwarzmarkt mit Noten und Diplomarbeiten passiert. Wer ehrlich ist, ist doof. Streber, Petze, Verräter. Weil wir nun aber alle so und nicht besser sind, kann man ja nicht mal mehr seinen Nächsten trauen, den Nachbarn sowieso nicht, diese Gauner lassen mutwillig die Bäume über den Zaun wachsen. Die eigene Frau betrügt einen mit dem Postboten, die Kinder stibitzen einem das Kleingeld aus dem Portemonnaie und die Freunde pfuschen beim Kartenspiel. Ein bisschen tricksen hier und da, jeder macht es. Und wer es gut mit sich meint, ist ein Filou, ein Schlawiner. Ob das die Botschaft ist, die unser Nachrichtensprecher uns vermitteln wollte? Wohl kaum, aber es reicht ja, nur den Titel eines Buches zu lesen. Und damit hat er uns für die nächsten Jahrzehnte eine Legitimation zum Unehrlichsein gegeben. Nur schade, dass wir uns bei alldem vor allem selbst betrügen. Oder trauen Sie sich über den Weg?

Julia Siebert

29/06/07

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