Klaus Hurrelmann war Redakteur der DDR-Illustrierten „FREIE WELT”, die von der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft herausgegeben wurde. Er publizierte 2001 das Buch “Meine irreparablen Kindheitsschäden oder: Der erste darf kein Schwein sein”, in dem er auch über seine Erinnerungen an Kasachstanaufenthalte schreibt. Es gab seinerzeit einen Reporteraustausch zwischen den Redaktionen in Ostberlin und Zelinograd. Heute ist er Rentner und lebt in Berlin. Auf Initiative von Nelly Frank, der Frau eines Freundes des Autors, und der Erlaubnis von Klaus Hurrelmann lesen Sie im Folgenden die Fortsetzung des Buchauszugs, der die Zeit in der „Freundschaft“ betrifft.

[…] Wir fahren ein Stückchen neben dem Flüßchen Selety her. An seinen Ufern das einzige Strauchwerk weit und breit. Das sieht aus wie ein ausgefranster Riß in diesem Riesenteppich Steppe… Warum die Steppenwege nicht schnurgerade zum Ziel führen, weiß der Teufel. Generationen, die hier geritten, gelaufen, gefahren sind, schliffen ihre Spuren in den Boden, den die Sonne so keramikhart brannte, daß man Nägel darauf geradeklopfen kann…“ Und als ich einmal in den Aul Urkendeu kam, um eine verehrungswerte Persönlichkeit jener Zeit journalistisch zu porträtieren, die junge Traktoristin Natalie Gellert, malte ich mit meinen Worten auch ein Bild von ihrer Wohngegend: „Bonsai – viel Mühe wendet mancher bei uns auf, um durch klug dosierte Diät und spezielle Pflege Bäumchen von Miniaturwuchs zu züchten. Wir aber waren in einem Land, wo jahrzehntealte und doch nur knie– bis hüfthohe Pappeln, Birken, Akazien von Bonsai-Statur die Chausseen säumen. Schutzwaldstreifen hätten das werden sollen, doch die Verhältnisse, die sind nicht so in Kasachstan.“ Der Artikel titelte „Im Land der Bonsai-Chausseen“.

Mystisches Wetterleuchten: Semipalatinsk

Vorn Schreibtisch im siebten Stock des „Dom Sowjetow“ blickte ich zur Erntezeit jeden Morgen gespannt zum Zelinograder Hotel „Moskwa“, auf dessen Dach weithin sichtbar mit riesigen Leuchtbuchstaben der neueste Stand der Weizenernte bekanntgegeben wurde. Die „Kasachstaner Milliarde“ – ich fieberte mit um dieses anspruchsvolle Ernteziel. Eine Milliarde Pud Weizen vom Neuland! Die Arbeit des Landvolkes dort war mit der Agrokultur in unseren gemäßigten Breiten überhaupt nicht vergleichbar. Eine Milliarde Pud hochwertigen Weizens –
unter Bedingungen angebaut, gereift und geerntet, von denen sich ein Bauer in Brandenburg keine Vorstellung macht. Achdumeinegüte, die Leute, die sich bei der Getreideernte auf dem Weizenneuland im Wettlauf mit dem stets unberechenbar eintreffenden Winter abhetzten, die hielt ich wahrhaftigen Gotts für Helden, für friedliche Helden unseres zum Sozialismus marschierenden Jahrhunderts. Mit Eifer studierte ich die absonderlichen Bodenbearbeitungsmethoden, vonnöten, um dort überhaupt etwas anbauen und ernten zu können. Eine der besonders wertvollen Begegnungen mit Kasachstaner Menschen hatte ich 1980 in der Person des berühmten sowjetischen Agrarwissenschaftlers Alexander lwanowitsch Barajew. Unser Treffen nenne ich einen persönlichen Glückstag. Dieser freundliche alte Herr war maßgeblich beteiligt an der Entwicklung einer speziellen sowjetischen Bodenbearbeitungsmethode samt spezieller Technologie für die „Zone des riskanten Weizenanbaus“. Von ihm erhielt ich die theoretische Begründung für meine Hochachtung vor den Kasachstaner Getreidebauern. Barajew, ein sympathischer Gesprächspartner, Leninpreisträger. Er gehört zu denen, von denen ich sage: Besser, daß sie rechtzeitig starben, den Zerfall dessen, was sie ihr Lebenswerk nannten, nicht erlebten. 1989, nach Barajews Tod, hatte ich auch ein Interview mit seinem Nachfolger, dem Kasachen Meslich Sulejmenow. Ein Mann, den ich hart an die Grenze zum Universalgenie einordnete. Allein seine Sprachkenntnisse! Er brauchte zum Verstehen meiner Reporterfragen keinen Dolmetscher. Wir plauderten ohne Mittler miteinander – der (damalige?) Direktor des (damaligen?) Staatlichen Getreidebauinstituts Schortandy beherrscht fließend Deutsch. Nebenbei erfuhr ich, daß er auch Englisch, Französisch, Spanisch und Italienisch redet. Dieser eingeborene kasachische Bergarbeitersohn galt mir als leuchtendes Beispiel, wie die von zaristischer Knechtschaft befreiten Völker Mittelasiens unter der Sowjetmacht ihre Talente entfalten konnten. Daß da ein Kasache den Staffelstab von einem Russen übernommen hatte, registrierte ich völlig arglos… Es gilt, auch dies vor dem Vergessen zu bewahren. Zitat aus einem Brief vom 12. Oktober 1980: „Vorgestern abend war hier, bei Dunkelheit, eine ganz seltsame Erscheinung zu beobachten. Plötzlich, so schien es, schob sich eine hell leuchtende, durchsichtige Scheibe über den Horizont. Wie ein aufgehender Mond, aber beträchtlich größer. Zuerst waren die Sterne dahinter noch zu erkennen, dann wurde die Erscheinung immer lichtstärker. Sie blieb exakt kreisrund, jedenfalls für das bloße Auge.[…]
>> Die Fortsetzung dieses Buchauszugs lesen Sie in den nachfolgenden Ausgaben

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