Im Zuge des Bevölkerungsanstiegs und der Industrialisierung hat sich die Wasserentnahme seit 50 Jahren weltweit verdreifacht. Es gibt 276 grenzüberschreitende Flüsse, 300 von jeweils mehreren Ländern genutzte Grundwasservorkommen – wie sollen da Konflikte nicht vorprogrammiert sein? Im Gespräch mit Thorsten Bonacker, Professor und Forscher an der Philipps-Universität Marburg im Fachgebiet „Friedens- und Konfliktforschung“.

Herr Bonacker, wann ereignete sich der letzte Krieg um Wasser?
In der Forschung zu Wasserkonflikten herrscht mittlerweile weitgehend Einigkeit, dass es keine Kriege um Wasser gab oder gibt. Der Begriff „water wars“ entstand in den 1990er Jahren, in denen sich die warnenden Stimmen mehrten, dass die Kriege der Zukunft vor allen Dingen um Wasser geführt werden könnten. Der frühere Vizepräsident der Weltbank Ismail Serageldin sagte etwa, dass die Kriege des 20. Jahrhundert um Öl, die des 21. um Wasser geführt werden. Dies ist nachweislich nicht der Fall. Das heißt natürlich nicht, dass Wasser nicht eine wichtige Rolle in Konflikten und kriegerischen Auseinandersetzungen spielen kann, aber Wasser allein scheint kein Grund zu sein, einen Krieg anzufangen.

Gab es Konflikte um Wasser schon immer oder ist es ein Phänomen des 21. Jahrhunderts?
Die globalen, aber auch verschiedenen regionalen Entwicklungen des 20. und 21. Jahrhunderts haben sicherlich dazu beigetragen, dass Konflikte um Ressourcen und auch um Wasser zunehmen und verstärkt in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rücken. Konflikte um Ressourcen hängen oft mit der Verteilung und dem Besitz von Land zusammen. Insofern spielen territoriale Grenzen und politische Machtverhältnisse eine wichtige Rolle. Zentralasien ist dafür ein sehr gutes Beispiel, denn nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hat ein vormals staatlich gesteuertes System des regionalen Wassermanagements nicht mehr lange funktioniert. Erst territoriale, staatliche Grenzen lassen ja das Problem entstehen, wie man vorhandenes Wasser zwischen Staaten verteilt. Insofern sind politische Machtverschiebungen und Grenzziehungen sehr wichtige Faktoren für die Entstehung von regionalen Wasserkonflikten.

Alltäglich nutzen wir den Begriff „Wasserkonflikte“, aber was genau bedeutet der Begriff?
In Wasserkonflikten stehen sich mindestens zwei Parteien gegenüber, die unterschiedliche und widerstreitende Positionen in Bezug auf die Nutzung von Wasser einnehmen. Auf den ersten Blick handelt es sich also um Verteilungskonflikte. Solche Konflikte um die Verteilung knapper Güter sind häufig im Gegensatz zu Konflikten zwischen kollektiven Identitäten einfacher lösbar, weil sich beide Seite auf Verteilungsregeln einigen können. Genau dies lässt sich auch bei den allermeisten Wasserkonflikten – vor allem bei regionalen – beobachten. Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass Wasserkonflikte oftmals keine reinen Verteilungskonflikte darstellen, sondern darüber hinaus mit Identitäten und politischer Macht verbunden sind. Erst dies macht sie politisch brisant und komplex und damit auch schwerer lösbar. Denn in solchen Fällen – und auch dafür sind die Wasserkonflikte in Zentralasien ein gutes Beispiel – geht es eben nicht einfach nur um die Verteilung von Wasser, sondern um Fragen der Souveränität, der Abhängigkeit voneinander, um politische Rivalitäten und ökonomische Ambitionen und um eine Reihe anderer Fragen in der Beziehung zwischen Staaten. Wasser kann dann schnell zu einem Spielball von Konflikten werden, die ganz andere Ursachen haben. Dies ist vor allem auch im Wasserkonflikt zwischen Usbekistan und Tadschikistan zu beobachten, der nicht isoliert von anderen Konfliktthemen betrachtet werden kann. Auch dieser Fall zeigt, dass es gerade zwischen Staaten eigentlich keine reinen Wasserkonflikte als Verteilungskonflikte gibt, sondern Wasser ein Konfliktgegenstand in einem komplexeren Beziehungsgefüge ist.

„Zugänglichkeit und Modernisierung als Konfliktvorbeugung“

In welcher Form können Wasserkonflikte ausgetragen werden?
Zu unterscheiden sind zunächst innerstaatliche von zwischenstaatlichen Wasserkonflikten. In innerstaatlichen Wasserkonflikten spielt die Fähigkeit politischer Institutionen, Konflikte zwischen Interessengruppen in einem geregelten Rahmen auszutragen, eine wichtige Rolle. Das sorgt für eine gewaltfreie Konfliktaustragung. Darüber hinaus ist es zur Vermeidung der Eskalation von Konflikten wichtig, die Bedürfnisse verschiedener Gruppen zu kennen und offenzulegen. Und natürlich muss im Grundsatz eine knappe Ressource so verteilt werden, dass diese Bedürfnisse möglichst weitgehend befriedigt werden. Dazu gehört auch eine entsprechende technische Infrastruktur, denn sehr oft kann der Knappheit an Wasser – vor allem auch an sauberem Trinkwasser – dadurch vorgebeugt werden, dass Verteilungssysteme technisch auf einem entsprechenden Stand sind. Die Modernisierung der Infrastruktur und der Zugang zu Wasser sind folglich innerstaatlich wichtige Faktoren der Vermeidung einer Konflikteskalation. Auch hier handelt es sich selten um reine Wasserkonflikte, sondern am Ende häufig um politische Konflikte. Wenn Regierungen nicht in der Lage sind, Wasser in einer ausreichenden Qualität zur Verfügung zu stellen, laufen sie Gefahr an Legitimität einzubüßen. Ein fehlender Zugang zu Wasser kann darüber hinaus schnell zur Instrumentalisierung und Mobilisierung genutzt werden und interethnische Spannungen anheizen.

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In zwischenstaatlichen Konflikten beobachten wir, dass Regierungen sehr häufig in der Lage sind, einvernehmliche Regelungen für Wasserkonflikte zu finden, so dass solche Konflikte nicht gewaltsam ausgetragen werden. Dies liegt an verschiedenen Faktoren. So sind Staaten oftmals durch vielfältige Beziehungen – etwa Handelsbeziehungen – miteinander verbunden. Oder sie sind auch in Bezug auf Wasser in gewisser Weise voneinander abhängig, so dass ein Krieg allen Seiten schaden würde. Dies ist ja auch in Zentralasien im Kern der Fall, wobei Veränderungen in Bezug auf solche Abhängigkeiten auch einen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit der Eskalation von Wasserkonflikten nehmen können – wenn etwa weitere Handelspartner ins Spiel kommen oder Regionalmächte aus eigenen Interessen eine Seite ökonomisch massiv unterstützen. Auch deshalb sind institutionelle und vertragliche Regelungen besonders wichtig, weil sie vor kurzfristigen negativen Einflüssen schützen. Darüber hinaus – und dies scheint mir die wichtigste Komponente zu sein – schaffen solche Regelungen Vertrauen. Und letztlich steht und fällt die Kooperation von Konfliktparteien sehr häufig mit einem solchen Vertrauen.

Thorsten Bonacker: „Es gibt keine Kriege um Wasser.” | Foto: privat

Hier stehen gerade auch Regierungen und insbesondere die Präsidenten der betroffenen Staaten in Zentralasien in der Verantwortung. Zugleich zeigen die Wasserkonflikte in Zentralasien aber auch, dass es auch unter schwierigen Bedingungen Staaten gelingen kann, solche Konflikte zumindest auf der zwischenstaatlichen Ebene nicht eskalieren zu lassen. Schwieriger ist es, lokale Konflikte etwa in Grenzregionen zu regeln – auch, weil es an der notwendigen politischen Aufmerksamkeit mangelt oder hier stellvertretend Konflikte angestachelt werden, in denen es eben um mehr als nur um Wasser geht.

Welche Faktoren verschärfen, dass ein latenter Konflikt in einen gewaltsamen Konflikt ausbricht?
Ganz grundsätzlich gilt, dass Konflikte dann gefährlich werden, wenn sich die Beziehung zwischen den Konfliktparteien ändert, also aus einem Interessen– und Sachkonflikt um einen konkreten Gegenstand ein Konflikt zwischen kollektiven Identitäten oder um Macht wird. Wir wissen, dass mit einer zunehmenden Konfrontation zwischen Konfliktparteien beide Seiten weniger in der Lage sind, sich auf konkrete Konfliktgegenstände zu konzentrieren und darüber zu verhandeln. Das gilt auch, wenn beide Seiten die Regeln der Austragung von Konflikten nicht mehr akzeptieren und sich grundsätzlich misstrauen. Hinzu müssen natürlich auch Fähigkeiten zur Ausübung von Gewalt kommen. Wenn Staaten beispielsweise ihre Militärausgaben stark steigern, ist dies als Warnhinweis zu verstehen, dass sie ihre Fähigkeiten zur Gewaltanwendung ausbauen. Für die tatsächliche Anwendung von Gewalt ist es darüber hinaus wichtig, dass Konfliktparteien den Eindruck haben müssen, dass sie ihre Ziele durch Gewalt leichter erreichen können als auf dem Weg von Verhandlungen.

Kooperationen durch Krisen?

Bewirken Wasserkrisen sogar das Gegenteil und führen weit öfter zu Kooperation anstatt zu Konfrontation?
Das hängt vermutlich letztlich von der Beziehung der Akteure ab. Wenn ein stabiles Vertrauensverhältnis existiert, können Krisen, die etwa durch plötzliche Entwicklungen wie Umweltkatastrophen ausgelöst werden, Kooperation fördern. Deshalb ist es wichtig, Institutionen zu schaffen, die regionale Kooperation grundsätzlich stärken, damit Krisen bearbeitbar erscheinen und Staaten gemeinsam nach Lösungen suchen. Sind Beziehungen hingegen durch Misstrauen und Konflikt geprägt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass Krisen Kooperation fördern, eher gering. Innerstaatlich können Initiativen zur gemeinsamen Wassernutzung unterschiedlicher gesellschaftlicher, religiöser oder ethnischer Gruppen Kooperationen über Zugehörigkeiten hinweg stärken. Auch ist natürlich der politische Wille entscheidend, solche Kooperationen zuzulassen.

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Wie schätzen Sie die Erfolge von Wasserkonferenzen ein? Bewirken Worte auch Taten?
Regionale und internationale Konferenzen sind ein wichtiges Instrument, um wechselseitiges Verständnis zu fördern und Vertrauen aufzubauen. Dabei geht es nicht nur darum, konkrete Vereinbarungen zu schließen, die Kooperationen auf– und ausbauen oder konkrete Lösungen für bestehende Probleme durch die Einbeziehung von Expertinnen und Experten zu finden. Obwohl dies natürlich immer im Mittelpunkt stehen sollte. Oftmals ist es aber auch wichtig, dass Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger in Kontakt zueinander stehen und darüber Vertrauen aufbauen. Gerade bei regionalen und zwischenstaatlichen Konflikten hat dies auch historisch betrachtet immer wieder eine wichtige Rolle dafür gespielt, dass Konflikte eben nicht gewaltsam eskalieren. Für Wasserkonflikte gilt insgesamt, dass Konferenzen ein geeignetes Mittel sind, um Regelungen vorzubereiten und Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Am Ende hängt es natürlich vom politischen Willen der Konfliktparteien ab, ob diese auch umgesetzt werden.

Bemüht sich die internationale Gemeinschaft aus Ihrer Sicht als Krisenforscher genügend, um nationale und lokale Wasserkonflikte einzudämmen?
Internationale Organisationen und Entwicklungsorganisationen haben in den letzten Jahren nicht zuletzt auch unter dem Eindruck, dass Wasser ein Konfliktstoff ist, zahlreiche Initiativen gestartet. Dabei ging es vor allem auch um die Steigerung der Effektivität der Wassernutzung, was dem Eindruck entgegenwirkt, es handele sich bei Wasser um ein knappes Gut. Letzteres ist in regionaler Perspektive nicht der Fall, sondern im Kern der Konflikte stehen immer wieder politische Aspekte der Verteilung von Wasser. An diesem Punkt gelangen internationale Organisationen aber auch an Grenzen, denn die regionale Integration Zentralasiens müssen letztlich die Regierungen selbst vorantreiben. Gleiches gilt natürlich auch für die Regelung lokaler Wasserkonflikte bzw. der Wasserversorgung.

Ein großes Problem besteht allerdings darin, dass internationale Organisationen und Geberorganisationen Wasserkonflikte gerne als isoliertes Thema betrachten und technische Lösungen anstreben. Das blendet die politische Dimension und die Tatsache aus, dass Wasserkonflikte in ein Netz von weiteren Konflikten eingebunden sind. Wer Wasserkonflikte wirklich lösen will, kommt um eine Bearbeitung der grundlegenden politischen Konflikte nicht herum. Dabei muss auch in den Blick genommen werden, dass Wasser weltweit zu einer Ware geworden ist, die global gehandelt wird. Das trägt nicht gerade zu einer Verteilung von Wasser bei, die an den Bedürfnissen der Bevölkerung orientiert ist.

Zugleich ist es enorm wichtig, dass ein Hauptproblem in der Diskussion um Wasserkonflikte häufig gar nicht thematisiert wird, nämlich die Frage nach dem Zugang zu sauberem Wasser. Die Diskussion bezieht sehr häufig nur auf die industrielle oder landwirtschaftliche Nutzung von Wasser, weil Wasser als wichtige Entwicklungsressource betrachtet wird. Das ist ohne Zweifel richtig. Aber zugleich muss im Blick behalten werden, dass viele Menschen in ihrem Alltag kein sauberes Wasser zur Verfügung haben, also ihre Grundbedürfnisse nicht befriedigen können. Die Diskussion um den Zusammenhang von Wasser und Konflikt scheint mir darüber zu schnell hinwegzugehen.

Wie schätzen Sie die Regelung der Wasserkonflikte in Zentralasien ein?
Eine Regelung der Wasserkonflikte vor allem zwischen Usbekistan, Tadschikistan und Kirgisistan steht und fällt mit einer Stärkung des wechselseitigen Vertrauens. Dass solche Regelungen möglich sind, bestreitet niemand ernsthaft. Im Kern sind alle Länder voneinander im Tausch von Wasser und Energie abhängig. Auch wirtschaftliche Entwicklung ist in Zentralasien nur unter der Bedingung von Kooperation denkbar. Das gilt auch in den jeweiligen Beziehungen zu Russland und China sowie den Nachbarstaaten Afghanistan und Pakistan. Die Bearbeitung anderer Konflikte, insbesondere natürlich die unklaren Grenzziehungen, sind von der Wasserproblematik letztlich nicht zu trennen. Das zeigt etwa die Situation in den Enklaven im Ferghanatal.

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Wasserkonflikte treten weltweit auf: Nil (Ägypten und Äthiopien), Jordan (Israel und Palästina), Euphrat, Tigris (Irak, Syrien, Türkei), Amu-Darjia und Sir-Darjia (Zentralasien). Sind Wasserkonflikte im Kern gleich oder differenzieren Sie die oben genannten Konfliktgebiete als Wissenschaftler?
Man kann sicherlich Parallelen zwischen Ober– und Unteranrainerkonflikten feststellen. Die Konfliktstruktur und auch die Interessen der Konfliktparteien sind im Kern dieselben. Das macht es sicherlich auch möglich, Fälle gelungener Bearbeitung solcher Konflikte als Vorbild zu nehmen. Der Vergleich zu Ägypten und Äthiopien zeigt auch, dass die Entwicklung solcher Konflikte und einmal gefundener Regelungen oftmals davon abhängen, wie sich die politischen Konstellationen in den Ländern und zwischen ihnen ändern. Und der Fall demonstriert natürlich auch, wie wichtig vermittelnde Dritte – hier der Sudan – sein können, wenn es darum geht, Eskalationen zurückzuschrauben. Die Konflikte in Zentralasien unterscheiden sich aber auch sehr stark von dem Konflikt zwischen Äthiopien und Ägypten. Es gibt hier ja eine gemeinsame Geschichte der Wassernutzung, die zugleich auch Ursache für die Konflikte heute ist. Und es existieren, wie gesagt, zahlreiche andere Konfliktgegenstände, die in die Wasserkonflikte hineinspielen. Insofern muss jeder Wasserkonflikt auch mit Blick auf seine Bedeutung für andere Konflikte einzeln betrachtet werden.

Stellen Sie sich vor, Sie müssen die Länder betroffener Wasserkonflikte in einer Rede davon überzeugen, warum ein Krieg um Wasser ihnen mehr schade als nütze. Was wären Ihre Argumente?
Kriege zerstören in erster Linie – sowohl die Beziehungen zwischen den Parteien, auch gegenüber Dritten wie auch Infrastruktur. Beides lässt sich nicht leicht wieder aufbauen. Wer seinen Zugang zu Wasser und dessen Nutzung verbessern will, sollte deshalb auf Verhandlungen und gemeinsame Lösungen setzen. Das bedeutet auch, dass andere Länder und internationale Organisationen solche Lösungen und die Suche nach ihnen unterstützen sollten.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Anne Grundig.

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