Durch den Anspruch, den Koran lesbar und attraktiv aufzubereiten, entstand im siebten Jahrhundert eine neue islamische Kunst. Den Maler der arabischen Schönschrift nennt man in der islamischen Welt dementsprechend „Khattot“. Diese Schriftkunst war von hoher Bedeutung, weil nur die anerkannten Kalligraphen das Gotteswort schreiben durften. Über den heutigen Zustand der islamischen Kalligraphie in Usbekistan erzählt Jalil Khattot (Kalligraph) aus Samarkand.
Das Arabische wird von rechts nach links geschrieben – wo die Bücher mit lateinischen Buchstaben enden, beginnen die arabischen Bücher. Im Arabischen gibt es keine Großbuchstaben und Interpunktionen. Zudem sollen die Wörter am Zeilenende nicht getrennt geschrieben werden, weshalb diese Sprache über eine ästhetische Verlängerung verfügt. Das heißt, die Wörter werden extra langgezogen ausgeschrieben, damit keine Silbentrennung eintritt. Die Leute, die die Kunst dieser Sprache beherrschten, waren sehr begehrt.
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Der einzige Kalligraph in Samarkand
In den Schriftschulen in Samarkand, Buchara und Kokan lernten die jungen Leute das arabische Schönschreiben. Die letzte dieser Schulen in Samarkand ist im Jahre 2008 in ein Hadith Zentrum verwandelt worden.
Die Kalligraphen haben in der modernen Zeit immer weniger Chancen in der Arbeitswelt, denn heutzutage werden sie meistens durch Kopiergeräte ersetzt. Sie werden weder von der Moschee bezahlt, noch können sie von den Spenden der Bevölkerung leben, wie es im Mittelalter der Fall war. Oftmals müssen sie andere Berufe ausüben.
Der Kalligraph, zu finden auf dem Registan Platz, ist der einzige in der Großstadt Samarkand sowie einer der wenigen in Usbekistan. Er beherrscht die arabische Kalligraphie so gut, dass seine Berufsbezeichnung schlicht zu seinem Namen wurde. „Dieser Beruf ist ein Erbe meiner Familie. Mein Großvater unterrichtete das arabische Schönschreiben in den Jahren 1924-1927 in der Ulugbek Medrese in Samarkand. Ich selbst studierte in den Jahren 1988-1992 in der Medrese in Buchara“ erzählt Jalil Khattot.
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In der Medrese – einer Hochschule für islamische Wissenschaften – war er selbst bis 2008 als Lehrer tätig. Jetzt betreibt er mit seiner Familie durch arabisches Schönschreiben ein kleines Geschäft, indem er auf dem Registan Platz in Samarkand auf Leder, welches zu Hause von seiner Frau und seinen Schwiegertöchtern angefertigt wird, die Namen der Touristen und Sätze aus dem Koran schreibt.
„Jetzt wollen auch seine Kinder und Enkel seinen Beruf übernehmen.“
Für dieses kleine familiäre Geschäft muss er bei drei staatlichen Institutionen Steuern zahlen. Ungeachtet dessen kann er sich dank dieses Kunstberufs um die Familie kümmern, die Studiengebühren für seine Söhne bezahlen sowie die Hochzeiten der Töchter finanzieren. Jetzt wollen auch seine Kinder und Enkel seinen Beruf übernehmen.
Eine Postkarte aus Leder mit arabischer Kalligraphie
„Es wird eine Woche gebraucht, um das Leder zum Schreiben fertig zu machen. Zunächst kaufe ich auf dem Basar das Fell einer Ziege ein. Dieses muss unbedingt von der Ziege sein, denn es ist gut, dünn und fest. Außerdem sollte es eine weiße Ziege sein, denn auf dunklem Leder würde man nicht die Farben sehen.“ Der Khattot benutzt natürliche Farben, die er nach Geheimrezepten aus Pflanzen herstellt. „Danach wird es gegerbt – die Haare werden von der Haut entfernt. Daraufhin wird die Ziegenhaut drei Tage im gekalkten Wasser getränkt. Als nächster Schritt muss das nasse Leder gespannt werden und wird dann trocknen gelassen. Nachdem es getrocknet ist, schneiden die Frauen es in die jeweils benötigten Größen“, erklärt der Kalligraph über die notwendige Vorbereitung des Leders zum Schreiben.
Seine Frau und Schwiegertöchter präparieren das Leder in historischem Stil. Für das fertige Leder werden zehn verschiedene Hilfsmittel, wie zum Beispiel natürliche Farbe, Holz, Lack usw. benötigt. Im Sommer kostet ein Ziegenfell ungefähr drei Dollar. Im Winter ist es doppelt so teuer. Der Selbstkostenpreis eines kleinen Rahmens liegt bei einem Dollar, der Kalligraph verkauft es für zwei oder drei Dollar weiter.
Die Touristen, die aus den unterschiedlichsten Ecken Usbekistans zum Registan Platz kommen, bestellen meist Hadithe aus dem Koran für ihre Eltern, während ausländische Touristen Wörter und Wünsche auf Arabisch wollen. Für Muslime sind die Khadite sehr wichtig, weil der Koran ein Rechtsbuch für sie darstellt. Deshalb wollen sie zu Hause oder auf der Arbeit ein Zeichen vom Koran präsent haben, was an Verpflichtung und Fürsorge für die Eltern erinnert.
Die Aufgabe der Wörter
„Ich schreibe nicht nur auf Arabisch, sondern auch auf Englisch, Russisch, Koreanisch und Deutsch. Die Kalligraphie ist nicht nur eine Schönschrift – sie hat auch eine Bedeutung. Die Sehenswürdigkeiten der islamischen Welt sind nicht mit einfachem Schnitzwerk geschmückt, sondern mit Gottesworten und Erzählungen aus der Geschichte beschrieben. Diese Gebäude sind deshalb auch ein Buch unter freiem Himmel. Das Wort Mensch bedeutet im Arabischen ‚Vergessender‘, weshalb diese Gebäude die Menschen an Geschichte, Kultur und Religion erinnern sollen. In den Medresen gibt es zum Beispiel Wörter, die zur Bildung aufrufen, während sie in Moscheen zum Gebet auffordern.“ So beschreibt der Kalligraph die Aufgabe der Wörter und den Sinn seines Berufs.
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Neben seinem Beruf als Kalligraph ist Jalil Khattot in der Stadt als Bibliothekar tätig. Denn die alten Bücher sind nicht nur auf Arabisch, sondern auch in verschiedenen historischen Schriftarten geschrieben. Nur wenige Experten können diese Bücher lesen und abschreiben. Deshalb besteht seine Aufgabe darin, solche Bücher zunächst zu transkribieren und daraufhin zu erklären. Zudem ist seine Kunstfertigkeit bei der Restauration dieser Bücher von hoher Bedeutung. Jalil Khattot behauptet, weder Wirtschaft noch Politik Usbekistans könnten seine Kultur und somit seinen Beruf beeinflussen.
Dennoch erzählt er von einem internationalen Forum für Künstler in China, zu welchem er im Jahr 2015 eingeladen worden war. Aufgrund der starken Kontrolle der Ausreisenden habe er seinen Pass und sein usbekisches Ausreisevisum nicht rechtzeitig bekommen können und konnte deshalb nicht an dem Treffen teilnehmen. „Ich habe den Leiter des Projekts in Samarkand kennengelernt. Er war fasziniert von meiner Arbeit und wollte sie unbedingt im internationalen Forum in China vorstellen. Er sagte, dass sich dort Kalligraphen aus 36 Ländern treffen würden. Leider hat es mit meinen Unterlagen nicht geklappt. Ich hoffe, dass er mich noch einmal einlädt.“
In drei Jahren feiert er seinen 60. Geburtstag. Er hat damit begonnen, den Koran mit eigener Schriftart auf Samarkander Papier abzuschreiben. Das Samarkander Papier ist 2000 Jahre alt und war im Mittelalter sehr berühmt. Der Koran ist noch nie auf dieses Papier geschrieben worden. Sobald sie fertig ist, will er diese einzige Abschrift dem örtlichen Museum schenken.