Jörg Hetsch ist seit zehn Jahren Delegierter der Deutschen Wirtschaft für Zentralasien und seit 2012 Vorsitzender des Verbandes der Deutschen Wirtschaft in der Republik Kasachstan. Ende März wird er sich in den vorzeitigen Ruhestand verabschieden. Im Interview spricht er über die Entwicklungen in Zentralasien, die Möglichkeiten der deutschen Wirtschaft und Konkurrenz für Kasachstans Vorreiterrolle.
Herr Hetsch, Sie leben und arbeiten seit vielen Jahren in Zentralasien. Wie lange genau sind Sie bereits hier und mit welchen Eindrücken blicken Sie auf diese Jahre zurück?
Ich bin seit 1995 in Zentralasien. Bis 2004 war ich in Usbekistan, dann folgte ein kurzes Intermezzo in Moskau und seit 2008 bin ich in Kasachstan. Es hat sich in den 23 Jahren viel verändert. Die Länder sind moderner und teilweise offener geworden. Die Entwicklung ist jedoch in jedem Land unterschiedlich. Aus meiner Sicht hat Kasachstan den größten Sprung getan: Es ist vergleichsweise das wirtschaftlich liberalste Land der Region und das Land mit den meisten Aktivitäten deutscher Unternehmen.
Wenn Sie sich die Außenhandelszahlen anschauen, ist Kasachstan unangefochten auf Platz 1, dann folgen Usbekistan und Turkmenistan. Erst mit gewissem Abstand kommen Kirgisistan und Tadschikistan. Die früheren zentralasiatischen Sowjetrepubliken haben sich allein schon durch ihre Rohstoffvorkommen sehr unterschiedlich entwickelt. So waren Kirgisistan und Tadschikistan bereits zu Sowjetzeiten bedeutend ärmer als Kasachstan, Usbekistan und Turkmenistan.
Kasachstan ist der Platzhirsch, der Ende der 1990er Jahre Usbekistan in seiner Vorreiterrolle abgelöst hat. Wobei ich sagen muss, dass die Entwicklungen der vergangenen anderthalb Jahre in Usbekistan Anlass zu Optimismus geben. Es gibt nach dem Wechsel des Präsidenten eine generelle Liberalisierung, aber auch Erleichterungen für die Wirtschaft, zum Beispiel die Einführung der Konvertibilität der lokalen Währung und damit die Möglichkeit, mehr nach Usbekistan zu exportieren.
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Können Sie kurz schildern, wie und warum sie damals nach Zentralasien gekommen sind?
Durch einen Zufall: Meine Frau erhielt das Angebot, als Kurzzeitexpertin für ein GTZ-Projekt in Taschkent zu arbeiten und nach 14 Tagen hatte man ihr angeboten, das Projekt zu leiten. Das war für zwei Jahre angedacht und so sind wir mit der Familie nach Usbekistan gezogen.
Ich bin von der Ausbildung her Journalist und hatte die Idee, als freier Journalist für deutsche Medien zu arbeiten. Das war im Jahre 1995 jedoch ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen, weil sich leider niemand großartig für Usbekistan interessierte. Das hat sich erst ein paar Jahre später geändert. In der ersten Zeit habe ich viel für die GTZ, die Europäische Union – TACIS und andere Projekte – gearbeitet. 1998 habe ich dann das Büro der Deutschen Wirtschaft in Usbekistan übernommen.
Machen Sie eine kurze Zeitreise mit uns: Wie haben Sie Kasachstan Mitte der 1990er wahrgenommen und wie würden Sie es heute, 2018, beschreiben?
Kasachstan Mitte der 1990er kenne ich nur von sporadischen Besuchen. Ich weiß, dass es eine ausgesprochen schwierige Periode für das Land und seine Bevölkerung war, mit hohen Inflationsraten und einer großen Kriminalität. Wir waren oft froh, in dieser Zeit in Usbekistan zu sein. Das hat sich dann, wie gesagt, Ende der 1990er Jahre gedreht. Zum einen konnte Kasachstan von den steigenden Rohstoffpreisen profitieren. Zum anderen war die Wirtschaftspolitik darauf angelegt, das Unternehmertum zu fördern. Bereits Anfang der 2000er gab es hier in Kasachstan mehr deutsche Unternehmen als in Usbekistan.
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Deutschland ist ein wichtiger Handelspartner in Zentralasien. Welche Meilensteine haben Sie in den vergangenen Jahren der kasachisch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen miterlebt?
Einer war bestimmt das deutsch-kasachische „Abkommen über eine Partnerschaft im Rohstoff-, Industrie– und Technologiebereich“, das 2012 in Berlin unterschrieben wurde. Das verknappt sogenannte Rohstoffabkommen kommt aber nur langsam in die Gänge, weil auf beiden Seiten unterschiedliche Erwartungshaltungen vorhanden sind.
Ansonsten sind die deutsch-kasachischen Wirtschaftsbeziehungen einer sehr stetigen Entwicklung unterlegen – mit allen Höhen und Tiefen, wie zum Beispiel diversen Devaluierungen des Kasachischen Tenge. Deutschland ist sehr hoch angesehen, Wunschpartner Nummer 1, wichtigster Handelspartner in der EU, der drittwichtigste Handelspartner Kasachstans überhaupt – und das seit vielen Jahren.
Insofern hat die deutsche Wirtschaft hier ein leichteres Spiel als in anderen Ländern. Made in Germany ist ein Label, das sich überall gut verkauft, wenn man es sich leisten kann. In Kasachstan kommt hinzu, dass man durch die Kasachstandeutschen ein anderes Verhältnis zu Deutschland hat. Es ist nicht nur das Land, dessen Einwohner angeblich durch die Bank weg pünktlich, sauber und ordentlich sind, sondern Deutschland ist auch das Land, wohin über 800.000 Kasachstaner in den 1990ern gegangen sind. Das strahlt zurück. Man hat hier ein ausgesprochen persönliches Verhältnis zu Deutschland.
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2015 ist Kasachstan als 162. Mitglied der WTO beigetreten, womit sich das Land verpflichtet hat, Handelshemmnisse abzubauen. Wie sieht es mit der Umsetzung aus?
Das ist im Gange, ist aber ein Prozess, der nie ein Ende haben wird. Die Hausaufgaben, die Kasachstan mit dem WTO-Beitritt bekommen hat, werden nun Punkt für Punkt abgearbeitet. Ein WTO-Beitritt heißt nicht automatisch, dass man sich sofort sämtlichen WTO-Regeln unterordnet und sich daran hält. Das sehen wir gerade am Beispiel der USA. In Kasachstan kommt zudem erschwerend hinzu, dass es auch Mitglied der Eurasischen Wirtschaftsunion (EEU) und damit auch deren Regularien unterworfen ist.
Kasachstan ist daran interessiert, ausländische Investitionen ins Land zu holen, ein völlig legitimes Anliegen. Allerdings führen Regelungen, die dazu angetan sein sollen, Ausländer zu einer Produktion in Kasachstan zu bewegen, in Fällen wie beispielsweise des bei vielen Projekten geforderten local content dazu, dass ausländische Firmen nicht zum Zuge kommen, weil sie eben keine Produktionsstätte im Land haben. Eine Produktion in Kasachstan ist für viele Firmen nicht automatisch profitabel und so kommen einheimische Unternehmen zum Zuge, deren Produkte in einigen Fällen nicht mit denen des ausländischen Anbieters Schritt halten können. Hier wünsche ich mir mehr Flexibilität der Entscheider, sich nicht zwingend für ein lokales Produkt, sondern eben für das hochwertigere Produkt zu entscheiden.
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Der deutsche Botschafter in Kasachstan, Rolf Mafael, sagte kürzlich im Interview mit der DAZ, dass er großes Potenzial in der Landwirtschaft für die deutsch-kasachischen Beziehungen sehe. Wie beurteilen Sie das?
Da bin ich ganz bei Herrn Mafael. Ich sehe in der Tat in der Landwirtschaft ein großes Potenzial. Doch auch da muss sich Kasachstan weiter bewegen. Zum einen wünscht man sich auch im Bereich Landwirtschaft Investitionen, hat aber andererseits eine Gesetzgebung, die es Ausländern unmöglich macht, landwirtschaftliche Nutzflächen zu pachten. Das ist eine politisch und historisch sicher verständliche, aber trotzdem kurzsichtige Entscheidung. Wer sich Investitionen wünscht, muss Investoren auch entsprechende Sicherheiten und Perspektiven bieten.
Ein anderer Punkt ist die Veredelung der landwirtschaftlichen Produkte. Da ist Kasachstan auf einem guten Weg. Als ich 2008 nach Almaty gekommen bin, habe ich völlig verzweifelt kasachische Äpfel in den Supermärkten gesucht. Es gab sie einfach nicht. Es gab chinesische, polnische, amerikanische, usbekische Äpfel, aber keine kasachischen – und das in Almaty, der Apfelstadt. Das hängt zum einen damit zusammen, dass in den wilden Wendejahren die Apfelplantagen hier großflächig abgeholzt wurden, um Bauland zu schaffen. Es hing aber auch damit zusammen, dass es kaum Kapazitäten für die Lagerung gab. Da hat sich viel verbessert, aber ich sehe immer noch großes Potenzial für deutsche Firmen. Auch heute finden Sie in einem kasachischen Supermarkt noch vergleichsweise wenige Lebensmittel aus rein kasachischer Produktion. Das Angebot ist sehr russisch dominiert. In höherpreisigen Läden kommen Lebensmittel aus Deutschland und Europa hinzu. Dabei könnte man hier viele Lebensmittel selbst herstellen.
Vor zwei Jahren haben wir ein Logistikzentrum für Obst und Gemüse eingeweiht, das mit deutscher Technik ausgestattet ist und durch die kasachische Seite vollfinanziert wurde. Man hat verstanden, dass es möglich ist, Gewinn zu machen, wenn man in der Lage ist, Obst und Gemüse das ganze Jahr über zu verkaufen.
Das kann auch auf die Landwirtschaft an sich abstrahlen. In diesem Fall hat der kasachische Partner auch Anbauflächen bewirtschaftet, um die Lieferkette sicherzustellen. Wenn es gelingt, potentielle Lieferanten davon zu überzeugen, fristgemäß zu liefern, verringert das den Aufwand für den Betreiber eines solchen Logistikzentrums, sichert Arbeitsplätze und das entsprechende Einkommen auch in den kleineren Betrieben.
Ein anderes wichtiges Feld ist der Bereich Energieeffizienz. Die erneuerbaren Energien sind ein Thema, das hier präsent ist. Bis zum Jahr 2050 sollen 50 Prozent aller benötigten Energien in Kasachstan aus erneuerbaren Energiequellen kommen. Ich persönlich bin leicht skeptisch, ob dies in vollem Maße möglich sein wird, wenn man sich den derzeitigen Anteil der erneuerbaren Energien an der Energieerzeugung anschaut. Aber es ist ein gutes Ziel und das sollte man weiterentwickeln.
Ein größeres Potenzial sehe ich im Bereich Energieeffizienz und Energienutzung der traditionell erzeugten Energien. Beispiele hierfür gibt es genug: Die Verluste bei der Übertragung der Wärmeenergie zum Endkunden sind enorm hoch, in vielen – auch neugebauten Wohnungen – kann man im Winter die Temperatur in der Wohnung nur durch Öffnen und Schließen der Fenster regeln, weil entsprechende Regler an den Heizkörpern fehlen usw. usf.
Es gibt die „Exportinitiative Energie“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, in deren Rahmen Delegationsreisen deutscher Unternehmen u.a. nach Kasachstan organisiert werden. Deutsche Unternehmen aus den Bereichen Energieeffizienz und Erneuerbare Energien haben auf einer Fachkonferenz Gelegenheit, ihre Produkte vorzustellen und in organisierten Einzelgesprächen potentielle Geschäfts– und Vertriebspartner kennenzulernen. Wenn ich Zeit habe, nehme ich an solchen Gesprächen sukzessive teil und stelle immer wieder fest, dass großes Interesse der potenziellen kasachischen Partner an den entsprechenden deutschen Produkten und Lösungen besteht.
Wenn sich der Umweltgedanke in Kasachstan weiter durchsetzt, öffnet das weitere Türen. Ich finde, dass sich das Umweltbewusstsein der kasachischen Bevölkerung in den vergangenen zehn Jahren verbessert hat. Vor zehn Jahren lag in Almaty bedeutend mehr Müll auf der Straße als es heute der Fall ist. Müllentsorgung, Weiterverarbeitung, Nutzung des Mülls als Energieträger und eine die Umwelt nichtschädigende Entsorgung sind übrigens ebenfalls Felder, wo deutsche Unternehmen aktiv sind und denen Kasachstan offen gegenübersteht. Auch hier sehe ich für deutsche Unternehmen Potenzial.
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Welche weitere wirtschaftliche Entwicklung prognostizieren Sie für die nächsten zehn Jahre der kasachischen Wirtschaft?
Das ist natürlich schwer vorherzusagen. Kasachstan hatte aufgrund seines Rohstoffreichtums einen klaren Wettbewerbsvorteil, doch das Land hat verstanden, dass man sich nicht allein darauf verlassen kann. Kasachstan hat ehrgeizige Programme aufgelegt, um die eigene Wirtschaft zu diversifizieren. Ob es Kasachstan gelingen wird, bis 2050 zu den 30 führenden Industrienationen der Welt zu gehören, muss man sich im Jahre 2050 anschauen. Aber die Anstrengung mehr im Lande zu veredeln, zu verarbeiten und exportfähige Güter zu schaffen, die sehe ich immer verstärkter. Ich denke, Kasachstan wird seine führende Rolle in der Region behaupten können, doch man sollte die Entwicklung in den Nachbarländern, vor allem in Usbekistan nicht aus den Augen lassen.
Meine Prognose ist: Wenn sich die Entwicklung in Usbekistan weiter so vollzieht, wächst dort wieder ein Wettbewerber für Kasachstan heran. Usbekistan ist mit fast doppelt so vielen Einwohnern wie Kasachstan einfach der größte Markt Zentralasiens und ein Land mit langen landwirtschaftlichen, handwerklichen und industriellen Traditionen. Da könnte es durchaus sein, dass eine gewisse Parität hergestellt wird.
Wohin geht es für Sie als nächstes?
Meine Frau und ich werden nach Thailand ziehen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Othmara Glas.