Am Frühstückstisch stehen plötzlich Maja und ihre Tochter, die wir bereits im Mohnfeld getroffen hatten. Anscheinend haben die beiden im selben Hotel übernachtet. Maia wirkt etwas verzweifelt. Ihre Bekannten, mit denen sie eigentlich nach Merw fahren wollte, haben gestern zu viel getrunken. Ob sie denn nicht bei uns mitfahren könne? Warum nicht, denken wir uns. Könnte interessant werden. Nick und Artjom haben auch nichts dagegen und so fahren uns die beiden hinterher.
Merw war einst eine der wichtigsten Städte der Seidenstraße, und neben Bagdad, Damaskus und Kairo ein Zentrum der islamischen Welt. Die Bauweise aus Lehm, die generelle Abnahme der Bedeutung der Seidenstraße und verschiedene kriegerische Auseinandersetzungen haben von der Stadt allerdings nur noch Ruinen übriggelassen. Zuvor war Merw über Jahrhunderte gewachsen. Die älteste Siedlungseinheit „Erk Kala“ stammt aus dem 6. Jahrhundert vor Christus. Einst lebten hier Christen, Juden, Buddhisten und Moslems friedlich zusammen.
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Während wir durch die antike Stadt laufen, vorbei an Mausoleen und Grabstätten, erfahren wir etwas mehr von Maja. Sie und ihre Tochter seien sehr geschichtsinte-ressiert, erzählt sie. Es ist Montag und die beiden wollen drei Tage unterwegs sein. Da gerade weder Feiertage noch Ferien sind, wundern wir uns ein bisschen darüber, dass ihre Tochter so lange von der Schule fernbleiben darf. „Das ist gar kein Problem“, wiegelt Maja ab. „Ich rufe einfach dort an und sage Bescheid, dass wir unterwegs sind. Sie hat sonst sehr gute Noten, da darf sie auch mal fehlen.“ Die 13-Jährige geht auf einer russischsprachige Schule und lernt nebenbei noch auf eine Musikschule Klavier spielen. Obwohl beide turkmenische Züge haben, sprechen sie nur Russisch zu Hause, sagen sie.
Am frühen Nachmittag kehren wir nach Mary zurück. Wir wollen uns schon von den beiden verabschieden, doch als sie hören, dass wir Mittagessen gehen wollen, schließen sie sich spontan an. Maja empfiehlt uns turkmenische Gerichte, die wir „unbedingt probieren müssen“. Dazu gehören Susma (Joghurt), Dograma (getrocknetes Brot, Fleisch und Zwiebeln) und Gowurdak (gebratenes Fleisch).
Während wir auf das Essen warten, erzählt uns Maja von der Lebensmittelknappheit in Turkmenistan. So sei es vor einigen Monaten nicht mehr möglich gewesen, Mehl aus Aschgabat auszuführen. „Die Schwester einer Kollegin lebt auf dem Land. Sie hat acht Kinder und rief meine Kollegin an, ob sie ihr nicht Mehl bringen könne. In ihrem Dorf waren die Regale in den Läden leer. Nicht einmal Brot backen konnte sie noch, und wusste nicht mehr, wie sie die Familie ernähren soll. In Aschgabat gibt es alles, uns geht es gut in der Hauptstadt. Meine Kollegin machte sich also mit ein paar Tüten Mehl auf den Weg zu ihrer Schwester. An der Stadtgrenze wurde sie kontrolliert. Die Polizisten verboten ihr, mit dem Mehl die Stadt zu verlassen.“ Am 29. April berichteten mehrere Medien, dass die staatlichen Geschäfte in Turkmenistan die Quoten für Mehl geändert haben. Konnte eine Familie bis dato jeden Monat einen 50-Kilogramm-Sack für 50 Manat kaufen, ist das jetzt nur noch alle zwei Monate möglich. Einige Tage nach dem Gespräch beobachte ich, wie Frauen auf dem Russischen Basar in Aschgabat nach Bananen suchen. Der junge Mann am Saftstand hat noch welche, will sie aber partout nicht hergeben. „Bitte, wenigstens für die Kinder. In der ganzen Stadt gibt es keine Banane!“, rufen sie verzweifelt. Bisher hat man uns das schöne, gute, reiche Turkmenistan zeigen wollen. Menschen, die in den USA lernen, in Thailand Urlaub machen, in schicken Eigentumswohnungen leben. Doch nicht nur Majas Geschichte beschreibt ein anderes Land. Mehrere regierungskritische turkmenische Medien, die sich allesamt im Ausland befinden, berichten, dass es immer schwieriger wird, das Land zu verlassen.
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Dass die allgemeine wirtschaftliche Situation in Turkmenistan schwieriger geworden ist, zeigt auch die Entscheidung des Präsidenten, in diesem Jahr die kostenlose Grundversorgung mit Strom, Gas, Wasser und Salz einzustellen. Die auf Ressourcen basierende Wirtschaft strauchelt. Prestigeprojekte wie der Olympiapark in Aschgabat oder Awaza am Kaspischen Meer verschlingen Milliarden Dollar. Die fehlen jetzt im Land. Turkmenistan braucht dringend Devisen. Offiziell entspricht ein Dollar knapp 3,5 turkmenischen Manat. Auf dem Schwarzmarkt sind es 18. Bei unserem Reiseveranstalter können wir für sieben Manat tauschen.
Turkmenistans Wirtschaft hängt vor allem am Erdgas. Doch gab es seit 2016 einen Importstopp nach Russland, der erst am 15. April dieses Jahres aufgehoben worden ist. 2017 beschloss der Iran kein Gas mehr aus dem Nachbarland zu kaufen. China ist der größte Wirtschaftspartner Turkmenistans, das vom Reich der Mitte extrem abhängig geworden ist. Das Nabucco-Pipeline-Projekt, das Gas von Aserbaidschan nach Europa transportieren sollte, scheiterte. Die Turkmenistan-Afghanistan-Pakistan-Indien-Pipeline (TAPI) ist noch nicht fertig gestellt.
Aufgrund des Devisenmangels müssen Ausländer bei offiziellen Geschäften, sei es eine Flugbuchung oder der Kauf einer Sim-Karte, in Dollar zahlen. Meistens findet man aber einen hilfsbereiten Turkmenen. Unser Guide Nick, der selbst erstaunt ist, dass ich beim einzigen Telekommunikationsanbieter TM Cell, nicht in der Landeswährung zahlen kann, überlässt mir für die Zeit unseres Aufenthaltes seine zweite SIM-Karte. Touristen müssen zudem in jedem Hotel pro Nacht eine Kurtaxe von zwei US-Dollar löhnen. Das Problem: Bankautomaten und Wechselstuben geben eher selten Zwei-Dollar-Noten aus, und in den meisten Hotels gibt es kein Wechselgeld, was für Unmut auf beiden Seiten sorgt.
Am Ende unseres Trips nach Mary steht noch ein Besuch des örtlichen Museums an. Obwohl wir nur noch 40 Minuten Zeit haben, hängt sich Maia erneut an unsere Fersen. „Wir können ja morgen noch einmal in Ruhe gehen“, erklärt sie. Das Museum enthält einige Exponate zur Geschichte und Kultur der Turkmenen sowie archäologische Exponate. Der vielleicht interessanteste Teil ist eine Ausstellung zu Präsident Berdimuhamedow. Auf Fotos kann man bewundern, wie er reitet, Auto fährt, Golf spielt oder eine Jacht steuert. Natürlich dürfen auch Fotos von Staatsbesuchen nicht fehlen: Berdimuhamedow mit Putin, Nasarbajew und Lukaschenko.
Wir verabschieden uns endgültig von Maja und ihrer Tochter und machen uns auf dem Weg zum Flughafen. Welche Rolle ihr tatsächlich zukam, werden wir wohl nie erfahren. Reiner Zufall war die Begegnung wahrscheinlich nicht. Uns einen ihrer angeblichen Auftritte als Sängerin anzuschauen, schaffen wir leider nicht mehr.
Wir fliegen zurück in die Hauptstadt. Auf der Suche nach Abendessen halten wir noch an der größten Shopping-Mall Aschgabats. Westliche Marken finden sich kaum, trotzdem sieht alles sehr schick und teuer aus. Turkmeninnen in den traditionellen langen Kleidern finden sich hier eher nicht, dafür viele westlich gekleidete junge Menschen. Als wir endlich am Hochzeitspalast ankommen, wo sich unser Hotel befindet, fühlt es sich schon fast so an, als ob wir nach Hause kämen.