Tausende Menschen sind seit 2013 in den Nahen Osten gereist, um sich dem sogenannten Islamischen Staat anzuschließen. Die Terrororganisation hat im Frühjahr dieses Jahres ihre letzten Territorien verloren. Viele der ehemaligen Anhänger befinden sich nun in Flüchtlingslagern oder in Haft. Doch wie weiter mit ihnen verfahren? Diese Frage müssen sich derzeit viele Staaten stellen.
In Deutschland wie in Kasachstan diskutiert man derzeit über die Aberkennung der Staatsangehörigkeit von ehemaligen IS-Kämpfern. Ein entsprechender Gesetzentwurf ist im April durch das Bundeskabinett verabschiedet worden. Der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit soll demnach möglich sein, wenn die betroffene Person im Ausland an Kampfhandlungen für eine Dschihadistenmiliz teilgenommen hat und mindestens eine weitere Staatsangehörigkeit besitzt. Rückwirkend gilt das Gesetz allerdings nicht, sodass der Passentzug nur bei künftiger Beteiligung an Kampfhandlungen im Ausland droht.
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Auch in Kasachstan ist der Entzug der Staatsangehörigkeit grundsätzlich möglich. Dieser droht, wenn sich Personen in einem bewaffneten Konflikt, der sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet, der Tötung von Menschen schuldig machen. Aber auch hierzulande kommt eine Aberkennung der Staatsangehörigkeit für bereits Zurückgekehrte nicht mehr in Frage: Sie hätten sich nach offiziellen Angaben freiwillig mit der Bitte um eine Wiedereinreise gemeldet und würden gegebenenfalls in Kasachstan vor Gericht gestellt.
Syrien im Januar 2019: Soldaten mit kasachischen Abzeichen begleiten Frauen und Kinder in ein Flugzeug der „Kazakhstan Air Force“. Zu sehen sind auch einige Männer in Handschellen und mit verbundenen Augen. Die Szenen stammen aus einem Video, das die Operation „Schusan“ dokumentiert – offiziell eine Rettungsaktion kasachstanischer Staatsangehöriger aus Syrien und dem Irak.
Etwa 800 Personen sollen nach Angaben des Nationalen Sicherheitskomitees der Republik Kasachstan (KNB) seit 2011 nach Syrien und in den Irak ausgereist sein, um sich dem sogenannten Islamischen Staat anzuschließen. Seitdem sind auch dort Kinder zur Welt gekommen. Im Juli 2018 zählte der KNB etwa 120 Männer, 250 Frauen und 500 Minderjährige, die sich in den damaligen Gebieten des IS aufhielten. Im Jahr 2019 hat die Regierung Kasachstans Operation „Schusan“ zur Rückholung ihrer Staatsbürger gestartet. Bei der Aktion, die Anfang Januar stattfand, wurden laut Medienberichten insgesamt 47 Personen – 30 Kinder, 11 Frauen und sechs Männer – aus Syrien ausgeflogen. Alle Männer und eine der Frauen sitzen in Untersuchungshaft.
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Anfang Mai veröffentlichten Medien ein zweites Video über eine Rückholaktion von 231 Kasachstanern aus dem syrisch-irakischen Grenzgebiet. Bei der Operation „Schusan-2“ sind offiziellen Angaben zufolge 156 Kinder und 59 Frauen zurückgebracht worden. 16 weitere zurückgekehrte Personen werden als Mitglieder internationaler Terrororganisationen bezeichnet. Bei allen Personen soll zuvor geprüft worden sein, inwiefern sie an Kampfhandlungen teilgenommen haben.
Die Kinder und Frauen werden in ein Rehabilitationszentrum in Aqtau gebracht, wo sie in der Regel für einen Monat bleiben und medizinisch sowie psychologisch versorgt werden. Auch Sozialarbeiter sind vor Ort. Das Zentrum wird von der gesellschaftlichen Stiftung „Recht“ betrieben. Deren Zielgruppe sind vor allem nicht volljährige Jugendliche in schwierigen Lebenslagen. Anschließend sollen die Frauen und Kinder möglichst zu ihren Familien und Verwandten zurückkehren. Für Kinder, die ohne Eltern zurück nach Kasachstan gekommen sind, werden Verwandte ausfindig gemacht. Teilweise werden DNA-Tests durchgeführt, um die Verwandtschaft nachzuweisen.
Offenbar stellen die Operationen, die laut Regierung weitergehen sollen, einen Versuch dar, die Rückkehr aus den ehemaligen Gebieten des IS zu regulieren. Denn: Zurückgekommen sind Kasachstaner aus diesen Gebieten schon zuvor. Im März 2018 sprach der KNB von 125 zurückgekehrten Kasachstanern, von denen 57 verurteilt seien und der Rest unter Beobachtung stehe. Die Hilfsorganisation „Recht“ zählt im Dezember 2018 die Rückkehr von 91 Kindern und 39 Familien aus dem syrisch-irakischen Grenzgebiet.
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Deutschland geht hingegen einen anderen Weg: Großangelegte Rückholaktionen wie von kasachischer Seite, gibt es nicht. Vielmehr wird auf die Einzelfallprüfung bestanden. Denn grundsätzlich haben alle deutschen Staatsbürger ein Recht auf Rückkehr, auf das sie sich berufen können. Dafür muss zunächst einmal die Staatsangehörigkeit geprüft werden. Hier kommt es vor allem darauf an, wie sehr sich die deutschen Behörden bemühen – aber auch inwiefern es überhaupt möglich ist – die entsprechenden Personen in den Lagern und Gefängnissen zu erreichen und zu betreuen.
Nach aktuellen Zahlen des Verfassungsschutzes sind seit 2013 mehr als 1050 Personen aus Deutschland ausgereist, um sich dem IS anzuschließen. Bei mehr als einem Fünftel soll es sich um Frauen handeln. Die meisten sind außerdem jünger als 30. Die Anzahl der ums Leben gekommenen Personen wird auf 200 geschätzt.
Zu etwa der Hälfte der Ausgereisten sollen konkrete Hinweise für die Unterstützung einer terroristischen Gruppierung oder gar der Teilnahme an Kampfhandlungen vorliegen. Das ist entscheidend, weil nur dafür nach deutschem Recht bisher Ermittlungsverfahren aufgenommen werden können. Nachweisbar sind diese Straftaten beispielsweise, wenn Personen in Propagandavideos des IS zu sehen sind oder selbst Propaganda verbreitet haben, nachweislich bei der „Sittenpolizei“ des IS gearbeitet oder sich an der Waffe ausbilden lassen haben.
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Anfang Februar drohte US-Präsident Donald Trump auf Twitter, dass die von kurdischen Milizen in Syrien gefangen genommenen Europäer freigelassen würden, sollten ihre Heimatstaaten sie nicht zurücknehmen. Darunter sollen sich 66 deutsche Gefangene befinden, 48 von ihnen Frauen. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums liegen gegen 21 Menschen mittlerweile in Deutschland Haftbefehle vor. 12 von ihnen werden von den Behörden als „islamistische Gefährder“ eingestuft. Gegen sieben weitere als „islamistische Gefährder“ eingestuften Personen, liegen allerdings noch keine Haftbefehle vor. Diese werden im Falle einer Rückkehr von den deutschen Sicherheitsbehörden überwacht.
Etwa ein Drittel der Ausgereisten soll wieder in Deutschland sein. Die Anzahl der rechtskräftig Verurteilten bemisst sich auf einen mittleren zweistelligen Bereich. Im Falle einer Verurteilung kann die Teilnahme an einem Deradikalisierungsprogramm zur Auflage gemacht werden. In der Regel wird hier jedoch auf Freiwilligkeit gesetzt. Neben der Beratungsstelle Radikalisierung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gibt es in Deutschland eine Reihe von Organisationen, die Beratung und Deradikalisierungsarbeit leisten. Das Angebot reicht von Angehörigenberatung bis zu Deradikalisierungsangeboten für Gefängnisinsassen durch Psychologen oder Sozialpädagogen.