Der 28. August ging als trauriger Gedenktag in die Kalender vieler Russlanddeutschen ein. Der Dokumentarspielfilm „Schön ist die Jugend. Das vergessene Schicksal der Wolgadeutschen“, der am vergangenen Freitag im Deutschen Theater in Almaty vorgeführt wurde, erzählt eines der dunkelsten Kapitel russlanddeutscher Geschichte entlang diesen Datums.

Rund 50 Zuschauerinnen und Zuschauer trafen am vergangenen Freitag im Deutschen Theater zusammen, um sich den Dokumentarspielfilm über die Deportation der Wolgadeutschen anzuschauen. Nachdem der Erlass des Zentralkomitees der UdSSR am 28. August 1941 in Kraft trat, wurden Wolgadeutsche in Richtung Osten deportiert – in den meisten Fällen nach Sibirien oder Kasachstan. Der Dokumentarspielfilm ist diesem Ereignis und den damit verbundenen Erinnerungen gewidmet. Die Geschichte ist dabei in zwei Erzählstränge aufgeteilt. Drei Wolgadeutsche, die heute im Ural leben, erzählen eindrücklich von ihren Erinnerungen, ihrer Familiengeschichte, aber auch ihren beruflichen Tätigkeiten als Künstler, Musiker und Regisseur. Immer wieder werden ihre Erzählungen unterbrochen von Szenen, in denen ein Kind während seiner Deportation zu sehen ist.

„Sie alle sind dieses Kind. Es sind Teile der Erinnerung und wir sehen diese. Das Kind zieht sich durch den ganzen Film und bleibt im selben Alter, obwohl der Film ja eine längere Zeitspanne behandelt. Es wächst nicht, weil wir in der Seele dieses kleine Kind bleiben. Das verbindet die drei Hauptcharaktere“, so der Regisseur Boris Schwarzmann. Er und die Produzentin Katja Beil waren bei der Vorführung ebenfalls anwesend. Im Anschluss an die Vorführung gab es mehrere Wortmeldungen aus dem Publikum. Da ein Großteil der Anwesenden auf eine ähnliche Familiengeschichte zurückblickte, berichteten viele von Schicksalen ihrer Familienmitglieder. Es war ein Film, der unter die Haut geht, die Atmosphäre war emotional und bedrückt.

Ein verschlossenes Thema

Der Film ist Teil eines Projekts, das vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen unterstützt wird, um die Erinnerungskultur zu fördern. Die beiden Beteiligten Schwarzmann und Beil arbeiten im Theater A Parte in Witten, das Theaterstücke auf Russisch und auf Deutsch vorführt. Dass der gelernte Regisseur im Rahmen des Projekts die Deportation der Russlanddeutschen künstlerisch aufarbeiten möchte, stand für Schwarzmann außer Frage: „Das Thema war eine Zeit lang wirklich wie verschlossen, die Menschen haben darüber nicht gesprochen oder wussten gar nicht davon. Und in Deutschland sowieso. Die Menschen dort wussten weder von der tragischen Geschichte, noch davon, dass es überhaupt Russlanddeutsche gibt.“

Um dies zu ändern, wollte Schwarzmann die Geschichte der Wolgadeutschen dokumentieren, die mittlerweile nur noch aus Erinnerungen wiederherstellbar ist. Das soll sich auch in dem Film widerspiegeln: „Dort sind nur unscharfe Erinnerungen geblieben von dieser Atmosphäre, von der Angst der Deportation, dem anschließenden Leben in den Baracken. Davor hatten sie doch ein gutes Leben an der Wolga, seit über 200 Jahren haben sie dort gelebt. Es ist also wichtig, dass der Film dich auch emotional und visuell berührt. Er soll dich einnehmen, ob du willst oder nicht.“ Auch Schwarzmann selbst wollte die Geschichte nachfühlen und sich vorstellen können. Er hat den Eindruck, dass die Erinnerungen dieser Gemeinschaft über Generationen an Nachfahren weitergegeben wurden.

Auch für die seitdem im Uralgebiet lebenden Russlanddeutschen ist diese Geschichte eine emotionale Angelegenheit. Während der Dreharbeiten in Nischni Tagil boten viele Einwohnerinnen und Einwohner ungefragt ihre Hilfe an. So stellten sie zum Beispiel ein Haus als Drehschauplatz kostenlos zur Verfügung. Die Filmemacherinnen und Filmemacher verfügten für die Produktion über nur wenige Ressourcen und waren daher umso dankbarer für die großzügige Unterstützung.

Einen Monat lang drehten sie jeden Tag vor Ort in Nischni Tagil. Schwarzmann wollte dabei auch die russlanddeutsche Kultur auffangen: „Die drei Protagonisten sprachen Russisch, hatten im Verlauf ihres Lebens aber auch Deutsch gelernt und pflegten nach wie vor die russlanddeutsche Kultur. Das war sehr interessant zu sehen.“ Der Regisseur möchte durch die Arbeit auch die Kultur der Russlanddeutschen vermitteln und konservieren. Er erzählt von einer vielfältigen Kultur, die in Teilen vor langer Zeit aus Deutschland mitgebracht wurde und dort schon längst vergessen war. Aber auch davon, was für eine eigene Kultur sich an der Wolga entwickelt hatte.

Die Geschichte kennen, um für die Zukunft zu lernen

Dort, wo Beil und Schwarzmann ihren Film in Russland und Kasachstan zeigten, war dieser ein voller Erfolg. Das Publikum reagierte meist sehr emotional, die Atmosphäre war angespannt. In Deutschland hingegen nahm Schwarzmann die Reaktion etwas distanzierter wahr. Er führt das auf Verwunderung und Unwissen über diese Geschichte zurück. Der Dokumentarspielfilm soll daher eine Anregung sein, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen, insbesondere, weil viele Russlanddeutsche heute in Deutschland leben.

Doch es ist auch wichtig, über die Geschichte der Russlanddeutschen zu wissen, um für die Gegenwart und Zukunft zu lernen: „Ihre Geschichte ist sehr wertvoll, dieses Datum“, so Boris Schwarzmann. „Kommende Generationen sollten etwas darüber wissen. Denn wenn man diese Geschichte nicht kennt, dann riskiert man umso mehr, dass sie sich wiederholt. Und nicht nur Deutsche in der Sowjetunion, sondern auch andere Gruppen waren betroffen. Und auch nicht nur in der Sowjetunion, unter diesem Regime. Solche Ereignisse gab und gibt es schon immer. Und wenn es sie in der Geschichte gegeben hat, dann gibt es natürlich die Möglichkeit, dass sich solche Ereignisse in irgendeiner Art und Weise wiederholen. Daher muss jede Erinnerung gespeichert werden“, so Schwarzmann. Das Werk lässt sich also auch als eine Art Warnung verstehen, sich um Harmonie zu bemühen, Menschen zu achten und Diskriminierung zu verhindern. Die Geschichte der Wolgadeutschen ist dabei nur ein Teil der russlanddeutschen Geschichte. Auch beispielsweise Bessarabien- oder Schwarzmeerdeutsche traf ein ähnliches Schicksal in der Sowjetunion.

Sasha Borgardt

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