An einem sonnigen Herbstmorgen steht Erlan auf dem Balkon seiner Mietwohnung im Almatiner Stadtteil Zhetysu. Vor ihm ragen neue Hochhäuser in den Himmel, wo vor zwei Jahren noch Brachland war. Kräne drehen sich unermüdlich, Presslufthämmer dröhnen, und in den Fenstern der Rohbauten glitzert das erste Sonnenlicht. Für viele bedeuten diese Neubauten Hoffnung auf ein eigenes Zuhause. Für Erlan und seine Frau Aischan dagegen sind sie ein ständiger Reminder: Jede Etage, die dort wächst, treibt den Preis pro Quadratmeter weiter nach oben – und den Traum vom Eigenheim ein Stück weiter in die Ferne.

Auf den ersten Blick wirkt Almaty wie eine Stadt, in der längst alles gebaut ist: Hochhäuser im Zentrum, luxuriöse Wohnanlagen im Süden, dichte Bebauung im Osten. Doch die Realität ist eine andere – die Metropole wächst weiter, und zwar rasant. Sie verändert dabei nicht nur ihr Gesicht, sondern auch ihre soziale Struktur. Während in einigen Bezirken moderne Wohnviertel mit Schulen, Kindergärten und Einkaufszentren entstehen, bleiben andere Gegenden infrastrukturell abgehängt. Das Rennen um Quadratmeter wird härter, und nicht jeder kann mithalten.

Neue Projekte weit jenseits der Stadtgrenzen

Die geografische Lage gibt den Rahmen für dieses Wachstum vor: Im Süden vom mächtigen Transili-Alatau begrenzt, im Norden von weiten Ebenen, dehnt sich Almaty vor allem nach Westen und Osten aus. Besonders deutlich zeigt sich das im Alatau-Bezirk, der lange als Peripherie galt und heute eine der aktivsten Baustellen der Stadt ist. Wohnhäuser schießen hier ebenso in die Höhe wie soziale Einrichtungen – ein deutlicher Wandel für ein Gebiet, das noch vor wenigen Jahren nur locker bebaut war.

Früher galt die Sain-Straße inoffiziell als westliche Stadtgrenze. Heute liegen große Neubauprojekte weit jenseits dieser Linie. Auch der Osten erlebt eine ähnliche Entwicklung: Vom Raimbek-Prospekt bis zu den Vororten wächst die Stadt, manchmal jedoch ohne ausreichende Verkehrsplanung. Neue Wohnviertel entstehen, aber Buslinien, Straßenanbindungen oder U-Bahn-Erweiterungen hinken hinterher.

Trotz des Baubooms sind die Preise kaum gesunken – im Gegenteil. Der Quadratmeter in einem Neubau kostet je nach Lage zwischen 750.000 und 1.200.000 Tenge. Der Zweitmarkt liegt etwas darunter, bleibt aber ebenfalls für viele unerreichbar. Eine einfache Zweizimmerwohnung in einem Schlafviertel kostet heute zwischen 50 und 70 Millionen Tenge (zwischen 90 und 120 Tausend Euro).

Zu viele Zuzügler

Das können sich nur wenige leisten: wohlhabende Einheimische, die bereits Immobilien besitzen und weiter investieren; ausländische Investoren, insbesondere aus Russland, Kirgisistan und Usbekistan, aber auch Spekulanten, die Wohnungen in der Bauphase kaufen und diese nach deren Fertigstellung mit Gewinn weiterverkaufen.

Für die Mehrheit bleibt ein Hypothekendarlehen der einzige Weg ins eigene Zuhause – oder eine Illusion. Staatliche Programme wie „7-20-25“ oder „Baspana Hit“ versprechen Kredite zu günstigeren Zinsen, doch oft reicht der maximal angebotene Kreditbetrag nicht aus, um eine Wohnung in Almaty zu finanzieren.

Die Einkommensanforderungen sind hoch, viele erfüllen sie nicht, weil sie keinen offiziellen oder einen zu niedrigen Nachweis über ihre Einkünfte haben. Außerhalb der staatlichen Programme liegen Hypothekenzinsen bei 18 bis 25 Prozent im Jahr, was die monatlichen Raten in schwindelerregende Höhen treibt. Und selbst die Anzahlung von 20 bis 30 Prozent des Kaufpreises ist für junge Berufstätige häufig eine unüberwindbare Hürde.

Gleichzeitig strömen jedes Jahr bis zu 100.000 neue Menschen in die Stadt. Arbeit ist einer der Hauptgründe für ihr Kommen – hier befinden sich die größten Unternehmen, staatliche Strukturen und die besten Aufstiegschancen. Auch das Bildungsangebot zieht an: Die führenden Universitäten des Landes liegen in Almaty. Dazu kommt die vergleichsweise gute Infrastruktur – moderne Kliniken, Einkaufszentren, kulturelle Einrichtungen.

Doch der Zuzug verschärft den Druck auf den Wohnungsmarkt: Die Nachfrage übersteigt das Angebot, Zwischenhändler treiben die Preise in die Höhe, und die Mieten steigen stetig. Für eine Zweizimmerwohnung werden heute mindestens 250.000 Tenge (aktuell rund 400 Euro) verlangt. Viele Neuankömmlinge können sich das nicht leisten und weichen auf illegale Siedlungen am Stadtrand aus – ohne asphaltierte Straßen, ohne zuverlässige Busverbindungen, oft ohne Anschluss an grundlegende Versorgungseinrichtungen.

Persönliche Schicksale

Hinter diesen Zahlen stehen persönliche Geschichten. Aischan und Erlan sparen seit Jahren auf eine Anzahlung, doch jeder Preissprung macht ihre Bemühungen zunichte. „Wir haben angefangen, als der Quadratmeter 500.000 Tenge kostete. Jetzt sind es 900.000. Es fühlt sich an, als würden wir der Stadt hinterherrennen – alles wächst schneller als unser Einkommen“, sagt Erlan.

Der Student Damir aus Schymkent lebt in einem überfüllten Wohnheim für 100.000 Tenge im Monat. „Eine Einzimmerwohnung im Altbau kostet mindestens 150.000 – das ist mit Stipendium und Nebenjob nicht zu schaffen.“ Und Galiya Apa, eine 70-jährige Rentnerin aus einer baufälligen „Chruschtschowka“ im Zentrum, wartet auf den Abriss ihres Hauses. „Man sagt, es wird abgerissen und ein Luxusbau errichtet. Aber wohin bringt man uns? An den Stadtrand? Mit 70 noch einmal neu anfangen?“

Diese Einzelschicksale stehen exemplarisch für eine größere Entwicklung: Das Stadtzentrum und der wohlhabende Süden verwandeln sich in abgeschlossene Enklaven, während die Randgebiete verarmen. Gleichzeitig entstehen immer mehr Hybridprojekte – Wohnhäuser kombiniert mit Büros und Einkaufszentren. Viele Wohnungen werden nicht gebaut, um bewohnt zu werden, sondern um Kapital zu parken oder später mit Gewinn zu verkaufen. Die Folge ist eine zunehmende soziale Spaltung.

Ob Almaty in Zukunft eine Stadt für alle bleibt oder zu einer Festung für Reiche wird, hängt von den Entscheidungen ab, die jetzt getroffen werden. Eine Förderung bezahlbarer Mietwohnungen, eine Reform der Hypothekenpolitik mit niedrigeren Zinsen und höheren Kreditgrenzen, die Verpflichtung der Bauträger, auch günstige Wohnungen in ihre Projekte aufzunehmen, Investitionen in die Infrastruktur der Randbezirke und eine wirksame Besteuerung von leerstehenden Wohnungen könnten helfen, den Trend zu stoppen. Ohne solche Maßnahmen droht Almaty, eine Stadt zu werden, in der nur wenige komfortabel leben können – und viele auf der Strecke bleiben.

Ruslan Mussirep

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