Vor 50 Jahren sandte die Bundesregierung einen Botschafter nach Moskau  im Tausch gegen Kriegsgefangene. Über zehn Millionen deutsche Soldaten waren im Zweiten Weltkrieg in Gefangenschaft geraten. 10.000 mussten bis in die 1950er in Sibirien ausharren. Heute ist der russisch-deutsche Dialog so gut wie selten zuvor.

Vor 50 Jahren sandte die Bundesregierung einen Botschafter nach Moskau  im Tausch gegen Kriegsgefangene. Über zehn Millionen deutsche Soldaten waren im Zweiten Weltkrieg in Gefangenschaft geraten. 10.000 mussten bis in die 1950er in Sibirien ausharren. Heute ist der russisch-deutsche Dialog so gut wie selten zuvor.

In dieser Woche jährt sich die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Westdeutschland und der Sowjetunion zum fünfzigsten Mal. Am Beginn der deutsch-russischen Aussöhnung stand ein diplomatischer Tauschhandel in schwieriger Konstellation.

Im Mai 1949 wurde die BRD gegründet; im Oktober die DDR. Die erste Bundesregierung unter Konrad Adenauer verweigerte der DDR die Anerkennung. Mit dem Alleinvertretungsanspruch für ganz Deutschland provozierte Adenauer ein unterkühltes Verhältnis zum Kreml. Diplomatische Beziehungen zwischen Bonn und Moskau gab es so de jure und de facto nicht, denn die DDR war schon diplomatisch in Moskau vertreten. Das störte Adenauer.

Prägend für die Außenpolitik unter dem bundesdeutschen Gründungskanzler waren Westintegration und Betonung der ideologischen Gegnerschaft zur Sowjetunion. Das frostige Verhältnis zum Kreml wurde für ihn indes zum innenpolitischen Problem. Bis in die 1950er mussten 10.000 westdeutsche Kriegsgefangene in Sibirien ausharren, obwohl Adenauer in seiner Regierungserklärung vom 20. September 1949 die Heimkehr aller Kriegsgefangenen und Verschleppten aus der Sowjetunion als sein Ziel betonte.

Moskau sah die deutschen Inhaftierten zunächst als Aufbauhelfer und billige Arbeitskräfte. Die Haftbedingungen waren katastrophal, die Versorgung meist noch schlechter als die der  hungernden Einheimischen. Später taugten sie ebenso als politischer Faustpfand im innerdeutschen und internationalen Anerkennungsstreit. In die DDR entließ der Kreml mit der Intention politischer Stabilisierung schon 1953 rund 12.000 Internierte; die 10.000 aus dem Westen Deutschlands mussten bleiben.

Vor genau fünfzig Jahren erreichte Adenauer den Durchbruch, obgleich Moskau zuvor bestritt, deutsche Kriegsgefangene festzuhalten. Die 10.000 seien rechtmäßig veruteilt. Die Prozesse gegen sie waren jedoch strittig. Alle waren in Massen- und Schauprozessen ohne gerichtliche Ermittlungen zu Kriegsverbrechern verurteilt – nur wenige von ihnen waren NS-Protagonisten.

Am 8. September 1955 flog Adenauer zu einer einwöchigen Reise nach Moskau. Es war das erste Treffen von politischen Spitzen der BRD und der Führungsmacht des Ostblocks überhaupt. Zunächst blieben die Verhandlungen tagelang ohne Ergebnis. Der „Große Vaterländische Krieg“ wirkte nach. Jede deutsche oder russische Familie kannte damals Kriegsleid und -elend. Der Kreml beschwor das unendliche Leid der Völker der Sowjetunion unter Nazideutschland. Adenauer thematisierte Greueltaten der Roten Armee bei Vormarsch, Flucht und Vertreibung.

Beidseitige Trinkfestigkeit, russische Literaturkenntnisse und das Interesse aller Beteiligten an einer Einigung sorgen am Abend des 12. Septembers 1955 für den Durchbruch. In einem Verhandlungsmarathon verhalf Adenauer den tausenden Kriegsgefangenen in die Heimat und nahm im Gegenzug diplomatische Beziehungen mit Russland auf. Der Faustpfand des Kreml entfaltete Wirkung. Dieser gern vertuschte Schachzug tat der Popularität Adenauers keinen Abbruch. Die Heimkehr der 10.000 wird noch heute als eine seiner großen Leistungen eingestuft. Der Mythos „Befreier der Spätheimkehrer“ wirkt nach. Es ist eines der großen Bilder deutscher Zeitgeschichte wie Adenauer bei der Rückkehr auf dem Flugfeld Köln-Bonn von einem Mütterchen ein Handkuss der Dankbarkeit entgegennimmt. In einer ZDF-Zuschauerbefragung mit dem Titel „Unsere Besten“ des 20. Jahrhunderts landete Adenauer noch heute auf Platz 1; vor Größen wie Martin Luther, Karl Marx, Sophie und Hans Scholl, Willy Brandt, Johann Sebastian Bach, Wolfgang von Goethe, Johannes Gutenberg, Bismarck oder Einstein.

Kurz vor seiner Abreise überreichte Adenauer der Sowjetregierung damals noch einen Brief, der klarmachte, dass der Botschaftertausch nicht die Anerkennung der deutschen Teilung bedeutete. Der Kreml nahm den Text förmlich, jedoch nicht inhaltlich an. Der Tauschhandel vor genau 50 Jahren legte dennoch einen ersten Grundstein zur späteren Strategie „Wandel durch Annäherung“ der deutschen Außenpolitik. Zugleich brachte er Tausenden elf Jahre nach Kriegsende das Familienglück des Wiedersehens.

Seit dem holprigen Botschaftertausch haben sich die bilateralen Beziehungen verbessert. Heute kann man nicht mehr von Gegnerschaft sprechen. Seit den 1990ern finden auf politischer Ebene regelmäßig Konsultationen statt; auch Fragen die deutsche Minderheit in Russland betreffend. Die letzten beiden Jahre waren deutsch-russische Kulturjahre. Deutschland ist bedeutendster Handelspartner Russlands und größter Investor.

Seit 2001 findet der Petersburger Dialog statt. Ein Zeichen, dass die deutsch-russische Aussöhnung sich genauso wie die Aussöhnung Deutschlands mit West-europa entwickeln soll. Hoffnungsträger ist die Jugend, denn „wirkliche Völkerfreundschaft wird nicht von Regierungen befohlen, sondern von Menschen gelebt und erlebt“, wie Peter Boenisch trefflich formulierte. Der Weg in eine gemeinsame Zukunft sei unumkehrbar, so Michail Gorbatschow und Richard von Weizsäcker bei einem Forum im Rahmen des Petersburger Dialogs.

Zum 50. Jahrestag sind die deutsch-russischen Beziehungen so stabil, dass sie auch kritische Worte vertragen. Dennoch verfolgt das offizielle Russland den deutschen Wahlkampf aufmerksam, obwohl man davon ausgehe, „dass unabhängig von den Ergebnissen der demokratischen Willensäußerung der Kurs Berlins auf Entwicklung der strategischen Partnerschaft mit Russland zu den höchsten außenpolitischen Prioritäten gehören wird“, so Michail Kamynin vom russischen Außenministerium. Die Union kritisierte Gerhard Schröder bislang beständig für sein enges Verhältnis zu Putin und warf ihm eine zu unkritische Haltung vor.

09/09/05

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