Nach dem Tod des langjährigen Präsidenten Islam Karimow im September 2016 wurde der damalige Premierminister Schawkat Mirsijojew zu seinem Nachfolger gewählt. Sein Amtsantritt war juristisch ebenso umstritten wie die Reformen, die er bald darauf einleitete. Wie sieht es heute nach zwei Jahren Amtszeit des neuen Präsidenten in dem Land aus?

Es war der erste offizielle Besuch eines usbekischen Präsidenten in Deutschland nach 18 Jahren. Am 21. Januar wurde Schawkat Mirsijojew von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit militärischen Ehren begrüßt. Nach einem Gespräch und der Unterschrift im Gästebuch des Schlosses Bellevue ging es zu Bundeskanzlerin Angela Merkel. Gleich zu Beginn der Pressekonferenz betonte sie, dass durch politische Reformen die Menschenrechte in Usbekistan verbessert worden seien. Deutschland werde diese Fortschritte weiterhin unterstützen, sagte sie und bedankte sich für die 30-tägige Visumsfreiheit, die seit dem 15. Januar für Deutsche in Usbekistan gilt.

Vom sowjetischen Ingenieurswesen zur usbekischen Präsidentschaft

Schawkat Mirsijojew studierte in der Sowjetunion Maschinenbau am Institut für landwirtschaftliche Mechanisierung und Bewässerungstechnik in Taschkent. Nach dem Abschluss begann er seinen Werdegang als Sekretär des Komsomol (kommunistische Jugendorganisation in der früheren UdSSR) und arbeitete sich bis zum Vizerektor an der Hochschule hoch. 1990 wurde Mirsijojew Abgeordneter im Obersten Rat Usbekistans. 2003 ernannte ihn der damalige Präsident Islam Karimow zum Premierminister.

In seiner gesamten politischen Laufbahn war er vor allem für den planwirtschaftlichen Anbau von Getreide und Baumwolle verantwortlich. Usbekistan ist nach den USA und Indien der weltweit drittgrößte Baumwollexporteur. Zwei Drittel der landwirtschaftlichen Flächen werden schon seit Sowjetzeiten hierfür genutzt. Eine Folge des extensiven Baumwollanbaus ist die Austrocknung des Aralsees – eine der größten ökologischen Katastrophen unserer Zeit. Bis 2008 wurde die Kinderarbeit an den Baumwollfeldern staatlich gefordert und gefördert, über zwei Millionen Kinder waren beim manuellen Pflücken der Baumwolle im Einsatz. 2017 schließlich äußerte sich Mirsijojew am Internationalen Kindertag kritisch zu dieser Praxis: „Die ganze Welt ist gegen Kinderarbeit, und wir sehen wie Narren aus. Wohin du auch schaust: Kinderarbeit. Was ist uns wichtiger – 2 bis 3 Milliarden mehr Geld oder unser politischer Ruf?“ Bei der vergangenen Baumwollernte waren zwar aufgrund verstärkter Kontrollen kaum Kinder anzutreffen, aber dafür wurden erneut Mitarbeiter von staatlichen Unternehmen wie Lehrkräfte, Ärzte, Buchhalter und auch Studierende zur Baumwollernte zwangsverpflichtet.

Nach dem plötzlichen Tod des ersten Präsidenten im September 2016 hatte die Bevölkerung kaum Vorstellungen von einer möglichen Nachfolge. Laut Verfassung hätte eigentlich der Senatspräsident Nigmatulla Juldaschow drei Monate lang als Übergangspräsident regieren sollen. Nach einer Woche gaben die offiziellen Medien jedoch bekannt, dass der Senatspräsident seine präsidialen Machtbefugnisse freiwillig an Mirsijojew übertrage, was von Experten als verfassungswidrig betrachtet wird. In den folgenden Monaten wurde seine Persönlichkeit als künftiger Regierungschef in den Massenmedien intensiv beworben. Bei den anschließenden Präsidentschaftswahlen wurde er mit knapp 88 Prozent der Stimmen gewählt.

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Erste Monate der Präsidentschaft

180-Grad-Wende

Bei seiner ersten Rede als Staatspräsident betonte Mirsijojew, dass er das politische Erbe von Karimow als Ausgangspunkt und Orientierung für die weitere Entwicklung des Landes versteht. Es folgten wesentliche Änderungen im sozialen und wirtschaftlichen Bereich. So wurde noch im September 2016 ein „Präsidenten-Onlineportal“ eingerichtet, auf dem jeder Bürger Beschwerden oder Vorschläge direkt an Schawkat Mirsijojew richten kann, welche auch tatsächlich bearbeitet werden. Bis Anfang 2019 sind Beschwerden von fast drei Millionen Menschen verzeichnet.

Sein erstes präsidentielles Jahr erklärte Mirsijojew zum „Jahr des Dialogs mit der Bevölkerung und des Interesses jeden Bürgers“. Im Fokus der Regierung stand die Entwicklung der Beziehungen zwischen Beamten und Bürgern. Dafür wurde Anfang Januar 2017 eine Entwicklungsstrategie des Präsidenten in allen Massenmedien zur öffentlichen Stellungnahme veröffentlicht. Die Bevölkerung konnte die Strategie für den Zeitraum 2017-2021 auf einem Onlineportal, das zu diesem Zweck erstellt wurde, kritisieren oder ergänzen. Laut den Mitarbeitern des Portals wurden die gesammelten Stellungnahmen in die Entwicklungsstrategie aufgenommen. So wurden folgende Aufgaben „Modernisierung der öffentlichen Verwaltung“, „Liberalisierung der Wirtschaft“ und „Reformierung des sozialen Sektors sowie der Außenpolitik“ als prioritär angesehen.

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Alles beim Alten oder usbekische Perestroika?

Es fällt schwer, die Politik Mirsijojews als neue „usbekische Perestroika“ oder als „Fortsetzung der Ära Karimows“ zu bezeichnen: Die aktuellen Entwicklungen in Usbekistan deuten in beide Richtungen. Die Liberalisierung der Wirtschaft ist ein gutes Beispiel für den Umbau des Landes. Seit der sowjetischen Zeit existierte eine ausgeprägte Schattenwirtschaft. Im September 2017 setzte Mirsijojew eine Geldreform durch. Infolge einer Devaluation der Währung näherte die usbekische Nationalbank den offiziellen Wechselkurs weitgehend dem Marktpreis an. Des Weiteren können nun auf jeder Bank Währungstransaktionen durchgeführt werden. Der Schwarzmarkt ist noch nicht ganz verschwunden, aber seine Bedeutung ist deutlich geschrumpft.

Auf die alltäglichen Lebenshaltungskosten hatte die Devisenpolitik nur geringen Einfluss. Aber der Kauf von Autos beispielsweise wurde durch die Devaluation erleichtert, da der einzige Automobilkonzern des Landes, GM Chevrolet, begann, die Autos nicht wie früher in US-Dollar, sondern in usbekischen Som zu verkaufen. Dank der Liberalisierung soll die usbekische Wirtschaft offener und für ausländische Investoren attraktiver werden. Einen Hinweis auf den Erfolg dieser Reformen liefert das Deutsch-Usbekische Business-Forum, dass Mitte Januar in Berlin stattfand.

Immer noch unterdrückt

Ob diese wirtschaftlichen Reformen nur der politischen Elite dienen oder auch die einfache Bevölkerung Usbekistans davon profitiert, ist fraglich. Die Intelligenzija ist davon überzeugt, dass der neue Präsident die diktatorische Ära Karimows fortsetzt. Diesen Standpunk vertritt auch Umida Achmedowa. Die usbekische Fotografin wurde vom Goethe-Institut in Taschkent eingeladen, ihre Werke in der Ausstellung „Die Grenze“ Anfang dieses Jahres zu zeigen. „Die Organisatoren wollten das Werk mit den Namen ‚Geiseln der Ewigkeit‘ vorstellen. Wir haben eine alte Frau gefilmt, die bei Regenwetter einen halben Tag lang die Präsidentenstraße fegt. Mit diesen Aufnahmen waren wir schon auf verschiedenen Festivals weltweit. Im eigenen Land aber wollten die Kuratoren aus dem Justizministerium unsere Arbeit verbieten, da der Titel der Arbeit wie eine Anspielung an ‚Karimows Geisel‘ klingt.“

Alle internationalen Organisationen, darunter auch das Goethe-Institut, werden vom Justizministerium gesetzlich beaufsichtigt und brauchen für die Durchführung von Veranstaltungen vorher eine Genehmigung. Wegen Achmedowas Aufnahmen wollte das Justizministerium die gesamte Ausstellung verbieten. „Ich habe erneut gemerkt, dass sich in unserem Land nichts verändert hat; dass es nicht demokratisch geworden ist, sondern noch genauso wie vor neun Jahren dasteht“, sagt sie. 2010 wurde die Künstlerin wegen „Verleumdung der usbekischen Nation“ verurteilt. In einem Fotoband zeigte sie die ländlichen Regionen und Traditionen Usbekistan mit einem Fokus auf Gleichberechtigung der Geschlechter.

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Laut Achmedowa haben sich die Mitarbeiter des Justizministeriums direkt bei der Deutschen Botschaft beschwert. „Sie sahen durch unsere Arbeit den Ruf des ‚Vaters der Nation‘ in Gefahr“, so die Künstlerin. Der Botschafter habe mit Blick auf den bevorstehenden Deutschlandbesuchs Mirsijojews geantwortet, dass solche Repressionen den Ruf des Präsidenten viel eher beeinträchtigen, erzählt sie. „Am ersten Tag der Ausstellung war dann auch unser Werk dabei. Aber wie es weitergeht, weiß ich nicht.“

In westlichen Ländern finden kritische Stimmen wie die von Umida Achmedowa meistens nur im Vorfeld der seltenen Staatsbesuche Gehör. Die Reformen des neuen Präsidenten konzentrieren sich vorerst nur auf die Wirtschaft. Der Rest existiert nach wie vor nur auf dem Papier.

Bilder und Video: Turonbek Kozokov

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