Im Werk des weltgrößten Stahlproduzenten ArcelorMittal in Temirtau werden vier Prozent des kasachischen Bruttoinlandsproduktes erwirtschaftet – allerdings auf Kosten der Umwelt und der Menschen, die in der Region leben. Jetzt zwingt zu nehmender öffentlicher Druck ArcelorMittal, die Umwelt- und Sicherheitsstandards zu erhöhen.
/Bild: Friedemann Ebelt. ‚Umweltverträglichkeit sieht anders aus: Die ArcelorMittal-Werke in Temirtau verschlangen Millionenkredite, die eigentlich auch für den Schutz der Umwelt gedacht waren.’/
Temirtau ist für den grauen Rauch, der den Himmel der 170.000-Einwohnerstadt verdunkelt, in ganz Kasachstan bekannt. Bereits von Weitem ist der giftige Qualm zu sehen, dem die Region über 50.000 Arbeitsplätze, aber auch eine Reihe von Problemen verdankt. Der größte Teil davon stammt aus den Werken des weltweit führenden Stahlunternehmers und gleichzeitig viertreichsten Mannes der Welt: Lakshmi Mittal. Seine Firma übernahm 1995 die Werke von der kasachischen Regierung. Heute produziert ArcelorMittal hier auf 5.000 Hektar etwa 5,5 Millionen Tonnen Stahl im Jahr. Davon werden etwa 90 Prozent in alle Welt exportiert, aber der graue Rauch und seine Folgen bleiben zurück.
Finanzkrise erreicht Temirtau
ArcelorMittal Temirtau erwirtschaftet etwa vier Prozent des kasachischen Bruttoinlandsprodukts. Im Juni verkündete das Unternehmen noch, dass es die Produktion verdoppeln werde. Mittlerweile soll allerdings im dritten Quartal dieses Jahres in der Ukraine und in Kasachstan die Produktion um 15 bis 30 Prozent gesenkt werden. Schuld daran seien die Finanzkrise und die gesunkene Nachfrage auf dem Weltmarkt, erklärt das Unternehmen. ArcelorMittal’s Direktor in Temirtau, Frank Pannier, gab am 1. Oktober bekannt, dass 4.200 Arbeiter für zwei Wochen bei halber Entlohnung in Zwangsurlaub geschickt würden. Er bedauerte die negativen sozialen Konsequenzen für Temirtau.
Der Konzern erhielt in den letzten 12 Jahren über 350 Millionen US-Dollar an Entwicklungshilfekrediten von internationalen Finanzinstituten, um die Arbeit im Unternehmen umweltfreundlicher, produktiver, sicherer und gesundheitsbewusster zu organisieren. Langfristig sollen internationale Standards erreicht werden. Diesen Zielen steht eine Reihe zu lange vernachlässigter Probleme gegenüber. In den vergangenen fünf Jahren starben in ArcelorMittals Kohlenminen über 90 Bergbauarbeiter. Auch Luftqualität und medizinische Versorgung haben sich in Temirtau nicht spürbar verbessert. Laut Informationen des kasachischen Ministeriums für Umweltschutz vom Juni 2006 verschlechterte sich die Umweltsituation vor Ort innerhalb der letzten 15 Jahre. Das Unternehmen widerspricht dem.
„Ungeachtet der Versprechen von ArcelorMittal wurden das Gesundheitssystem und die Lebensbedingungen der Arbeiter und ihrer Familien nicht wirksam verbessert. Es mangelt an nachhaltigen Investitionen in die Region. Erst nach Streiks und dem Eingreifen von Nichtregierungsorganisationen lenkte das Unternehmen ein. Trotz mehrerer öffentlicher Kredite zur Verbesserung der Situation bleibt die Verschmutzung durch die ArcelorMittal-Anlagen in Temirtau ein ernsthaftes Problem“, erklärt die Projektkoordinatorin des EcoMuseums Dana Sadykowa in Karaganda.
Öffentlicher Druck zeigt Wirkung
Als Reaktion auf den Druck der Öffentlichkeit erneuerte ArcelorMittal schließlich seine Firmenphilosophie. Beispielsweise wurde das Lohnsystem geändert. Die Firma unterstützt die Region, indem sie Stipendien für Studenten und Sportler finanziert und verschiedene soziale Projekte fördert.
ArcelorMittal gründete eine neue Abteilung, um internationale Umwelt-, Sicherheits- und Gesundheitsstandards zu erreichen. Geplant sind die Modernisierung der Anlagen und weitere Investitionen in Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz.
Ob die von ArcelorMittal gemachten Versprechen trotz der veränderten wirtschaftlichen Situation eingehalten werden, wird sich zeigen. Dazu wären langfristige Planungen unter Beteiligung der Stadt und ihrer Bevölkerung nötig. Die tatsächliche Situation muss transparent gemacht werden, um das erklärte Ziel des Unternehmens und die Forderungen der Nichtregierungsorganisationen in Temirtau und Karaganda zu erfüllen: ein frei atmendes Temirtau mit weniger giftigem Rauch, gesünderer Luft und sicheren Arbeitsplätzen.
Von Friedemann Ebelt
24/10/08