Mit der Kindererziehung ist das heutzutage gar nicht so einfach. Früher bekam man sie einfach, eins, zwei, drei. Sie hatten Masern, Röteln, Mumps, fielen hin und wieder vom Baum, brachen sich dabei einen Arm oder auch nicht, lernten Blockflöte und gingen zum Turnunterricht.

Wie nebenbei wurden sie irgendwie größer, gingen zur Schule, nach der Grundschule auf irgendeine andere Schule, quälten sich durch die Pubertät, hatten ihren ersten Liebeskummer, machten ihren Führerschein, gingen zur Uni oder machten eine Lehre, und schon war man durch mit dem Thema.

Heute ist das anders. Heute haben die Kinder ADS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung), sind hochbegabt, Vegetarier und gehen zum Osteopathen und zur Therapie. Kinder muss man fördern, von früh auf, damit man all ihre Talente und Potenziale ausschöpft – bis zur Erschöpfung, des Kindes, aber auch der Eltern. Am besten, man fördert das Kind schon, während es noch im Mutterleib vor sich hin wabert. Da gibt es so ein Gerät, mit dem man die Embryos mit klassischer Musik beschallen kann. Klassische Musik soll ja gemeinhin beruhigen und alles Mögliche fördern. Aber niemand weiß wirklich, wie das das werdende Kind empfindet, wenn es, noch bevor es die Welt erblickt, mit Mozart und Bach konfrontiert wird. Im Mutterbauch ist das ein Höllenkrach, wie kürzlich eine Studie bewies. Ist das Kind auf der Welt, geht der Stress weiter. Als erstes bekommt der Sprössling einen möglichst exotischen Namen, den kein Mensch aussprechen kann, geschweige denn das Kind selbst. Dann fängt es nicht einfach an zu krabbeln, wie es die Natur befiehlt. Nein, gekrabbelt wird in der fachlich angeleiteten Krabbelgruppe. Und damit beginnt der Marathon durch den Früh-Förderungs-Trallala. Das Kind bleibt unter ständiger Beobachtung, damit den sorgenden Eltern auch ja nicht die Talente, Potenziale und Defizite entgehen. Drum darf es auch nicht irgendein Kindergarten sein, sondern die Erziehungs- und Förderkonzepte werden von den gutmeinenden Eltern ausgewertet und im Gegenzug die Kinder mitsamt den Müttern von den Gruppen ausgewählt. Richtige Vorstellungsgespräche sind das, damit auch alles zueinander passt. Da mischt sich die moderne Mutter von heute auch gern mal in das Betreuungskonzept ein – zur Freude der Erzieherinnen. Und so setzt sich der Wahn fort.

Bei alldem gilt es, erhöhte Aufmerksamkeit walten zu lassen, damit einem ja keine Auffälligkeit des Kindes entgeht. Wenn sich ein Kind viel bewegt, nennt man das heutzutage auf der kleinsten Stufe Bewegungsdrang, nur zu schnell ist man beim ADS. Das gab es zu meiner Zeit noch nicht, sonst hätte ich das bestimmt auch gehabt. Puh, Glück gehabt, gerade noch mal davongekommen! Die Nebenwirkungen und Spätfolgen dieser umfassenden Frühförderung werden erst später zu Tage treten. Ich für meinen Teil bin froh, dass ich einfach nur spielen durfte.

Julia Siebert

07/12/07

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