Manchmal kommt es eben doch auf die Verpackung an und nicht auf die inneren Werte. Wenn ich mich mit meinem Koffer auf die Reise begebe, werde ich auf Schritt und Tritt angesprochen und brauche nur noch zu entscheiden, bei wem ich den Gesprächsfaden aufgreife und bei wem ich ihn fallen lasse.

Heute reist man ja im Sauseschritt durch die Welt und in seinem Koffer führt man eine Zeitung, ein Laptop, eine Bluse und das Handyaufladegerät mit sich. Heutzutage ist alles praktisch, ultraleicht, atmungsaktiv, ergodynamisch, schnittig und stoßfest. Da fällt mein Koffer aus der Rolle. Er ist alles andere als handlich. Er ist nicht stoßfest, nicht regenfest, kantig, sperrig und ziemlich schwer. Dafür ist er stilvoll, nostalgisch und erinnert an alte Zeiten, als man noch im Schneckentempo durch die weite Welt gereist ist, mit der Postkutsche oder auf dem Dampfer. Als man nach vielen Wochen und ausgestandenen Abenteuern am anderen Ufer im Staub stand, erwartungsvoll dem neuen Leben entgegenblickend, in der Hand nur den Koffer mit dem wenigen Hab und Gut, ein wenig Spitzenwäsche, ein Familienfoto und die Bibel.

Die meisten Leute schauen verzückt drein, wenn sie meinen Koffer ansehen, als sehnten sie sich nach einer Welt, in der es noch langsam und schön zuging, in Erinnerung an erlebte oder verpasste Zeiten. „Schöner Koffer!“ heißt es dann. Zuletzt stimmte ein Arbeiter das Lied an: „Ich hab noch einen Koffer in Berlin …“ Da es noch sehr früh in der Früh war, verpasste ich leider meinen Einsatz. Sonst hätte ich die Strophe vervollständigt: „… und darum muss ich nächstens wieder hin.“ Was für eine schöne Situation hätte das ergeben: zwei Menschen, die sich als Fremde begegnen und so ganz verschieden sind, singen zusammen ein Lied, immer im Wechsel eine Strophe, in tiefem Einverständnis, gehen nach Verhallen der letzten Note auseinander, lächelnd und ein jeder noch leise die Melodie nachsummend. Filmreif!

A propos, ich könnte immer dort, wo Dreharbeiten stattfinden, wie zufällig, mit meinem Koffer durch die Kulisse laufen. Oder ich eröffne einen Kofferverleih und renne nicht selbst durch das Bild, sondern an meiner Stelle Brad Bitt, für eine beträchtliche Leihgebühr, versteht sich, die ich anschließend im Koffer mit heim nehme. Und dann werden alle Leute raunen: „Moment … ist das nicht der Koffer, den Brad Pitt in dem Film …“ Und ich werde nur souverän lächeln, meinen Koffer greifen und stolzen Schrittes in den Sonnenuntergang schreiten.

Zuletzt hatte ich in einem Regierungsgebäude mit der Security viel Spaß. Wir spielten das Spiel, dass ich in meinem Koffer eine Bombe schmuggeln würde. Weniger witzig war allerdings die Security am Bahnhof. „Sollen wir die da überprüfen? Die ist verdächtig, der Koffer und so …“ Doch der witzlose Security Mann hatte GottseiDank einen vernünftigen Kollegen dabei, der ihn überzeugte, die Langeweile anderweitig zu vertreiben. Letztlich würde sich niemand wundern, wenn ich allerhand krudes Zeug daraus hervorkramen würde, neben den üblichen Dingen wie Geld oder einem Maschinengewehr ein Akkordeon, einen großen Hut, Feuerkeulen oder ein Kaninchen. Was man eben so in einem solchen Koffer mit sich führt. Wenn ich mit einem lauten Klack-Klack den Verschluss aufschnappen lasse, entsteht stets gespannte Stille. In jedem Fall steckt in meinem Koffer ein noch großes Potenzial. Wir sind noch längst nicht am Ende unserer Reise, mein Koffer und ich.

Julia Siebert

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