Grüne Energie aus Zentralasien

Tadschikistan ist nicht nur ein Land der Gebirge, sondern auch der Flüsse. Mit dem Amudarya und dem Syrdarya fließen die zwei größten und wichtigsten Ströme Zentralasiens durch die junge Republik. Der Amudarya wird durch den Zusammenfluss der Flüsse Pandsch, Wachsch, Kofarnihon sowie Surchob gebildet. Über 60 Prozent aller Süßwasserressourcen in Zentralasien formieren sich somit auf dem Territorium Tadschikistans.

Das „blaue Gold“ spielt eine enorm wichtige Rolle für die nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Denn seine Wasserressourcen sind die Hauptquelle der Energieerzeugung. Etwa 95 Prozent der Elektrizität in Tadschikistan werden von mehr als 350 Wasserkraftwerken erzeugt, die durchschnittliche jährliche Stromerzeugung beträgt laut statistischen Angaben etwa 17 Milliarden kWh. Insgesamt werden die Wasserkraftressourcen auf 527 Milliarden KWh im Jahr geschätzt, wobei 95 Prozent des wirtschaftlich verwertbaren Wasserkraftpotentials noch gar nicht erschlossen sind.

Eingang zum Staudamm Nurek

Die Nutzung der enormen Wasserkraftkapazität Tadschikistans, um die Länder der Region mit sauberem Strom zu versorgen, ist eine der Grundlagen für die Entwicklung der „Grünen Wirtschaft“. Derzeit liegt Tadschikistan laut Schätzungen internationaler Organisationen bei der Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien weltweit auf Platz 6. Nicht um sonst ist es auch als Pilotland im UN-Programm „Nachhaltige Energie für alle“ anerkannt.

Der herausfordernde Bau des Nurek-Stausees

70 Kilometer südöstlich von Tadschikistans Hauptstadt Duschanbe entfernt liegt die Stadt Nurek. Bis 2014 war der dortige Staudamm mit 300 Metern der zweithöchste der Welt. In Zentralasien ist er bis heute das leistungsstärkste und größte Wasserkraftwerk unter den Steinschüttdämmen. Bemerkenswert ist, dass beim Bau des Wasserkraftwerks in den 1960er und 1970er Jahren sämtliche Baumaterialien ausschließlich per Straßentransport geliefert wurden.

Die Bauarbeiten begannen 1961. Am 26. März 1966 wurde der Kanal des Flusses Wachsch gesperrt. Der erste und zweite Block des Kraftwerks mit einer Leistung von 300 MW wurden am 15. November 1972 in Betrieb genommen.

Das Kraftwerk besteht aus neun Blöcken und ist seit 1979 mit einer vollen Leistung von 2700 MW in Betrieb. Im Jahr 1988 wurde durch den Umbau der Blöcke die Auslegungsleistung des Kraftwerks bei acht Blöcken zu 335 MW und einem Block zu 320 MW auf insgesamt 3000 MW hochgeschraubt.

Der Bau des Kraftwerks Nurek an einem der größten Flüsse der Region ist deshalb eine besondere Leistung, weil der Staudamm in einem erdbebengefährdeten Gebiet liegt und es daher unmöglich war, einen gewöhnlichen Betondamm zu errichten. Stattdessen beschloss man, das Flussbett des Wachsch mit demselben Gestein aufzufüllen, aus dem auch die umliegenden Berge entstanden sind – in Analogie zu natürlichem Schutt.

Anlieferung nur mit Kraftfahrzeug

Die Vorbereitungen dauerten bis 1969. Diese lange Zeitspanne war auf die schwierigen Bedingungen des Baugebiets zurückzuführen – eine enge Bergschlucht ohne Zufahrtsstraßen. Um alles Notwendige bereitzustellen, wurde eine spezielle Straße zur Baustelle gebaut. Die Anlieferung der Güter erfolgte ausschließlich mit dem Kraftfahrzeug.

Zu diesem Zweck wurden anfangs MAZ-525-Kipper eingesetzt. Später wurde die Produktion von BelAZ-540 Kippern aufgenommen, die die erforderliche Arbeitsproduktivität gewährleisten konnten. Mit etwa 100 LKWs pro Tag, manchmal auch mehr, wurden die Dammfüllarbeiten ohne Unterbrechung durchgeführt.

Während des Baus wurden 8,2 Millionen Kubikmeter offener Aushub, 1,2 Millionen Kubikmeter unterirdischer Aushub, 56 Millionen Kubikmeter Erddamm, 1,6 Millionen Kubikmeter Beton verlegt und 62.500 Tonnen Stahlkonstruktionen eingebaut. In großem Umfang wurden verschiedene Tunnel, Baugruben und Schächte mit einer Länge von 38 Kilometer aufgefahren sowie Zementierungsarbeiten im Umfang von 393.000 Laufmetern durchgeführt.

Wirtschaftlich effizientes Projekt

Der Staudamm ist mit einem inneren Kern aus Lehm und Ton abgedichtet, der 16 Meter unter die Flusssohle reicht. Viele bauliche Lösungen sind in der Praxis weltweit einmalig – darunter die Verstärkung des oberen Druckprismas und der 704 Meter langen Dammkrone mit erdbebensicheren Gurten, oder der Bau und die Anbringung von Beobachtungsgalerien im Kern und in der Dammkrone.

Zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme des letzten Blocks im Jahr 1979 waren die Baukosten bereits vollständig amortisiert, was nicht nur auf das hohe Niveau der technischen und organisatorischen Unterstützung des Projekts, sondern auch auf seine wirtschaftliche Effizienz hinweist. Alle für den Bau verwendeten Maschinen, Baumaterialien und die wichtigsten Prozessausrüstungen wurden im Inland hergestellt.

Stausee in Nurek

Heute arbeiten ca. 700 Menschen im Kraftwerk Nurek, darunter 160 Frauen. Die Zahl der Ingenieure und Techniker beträgt 204.

Der Nurek-Stausee gilt als Jahresregulierungsstausee und befindet sich 70 Kilometer vom Beginn des Staudamms entfernt. Das Volumen des Stausees beträgt 10,5 Kubikkilometer, wovon 4,5 Kubikkilometer für die Stromerzeugung im Herbst und Winter genutzt werden.

„Rogun“ – der nächste Gigant am Wachsch

Aktuell im Bau befindet sich das Wasserkraftwerk Rogun am Wachsch. Es ist Teil der sogenannten „Wachsch-Kaskade“ und mit einer installierten Leistung von 3.600 Megawatt das größte Kraftwerk in Zentralasien.

Die sechs 600-Megawatt-Hydroaggregate des Wasserkraftwerkes werden mit Radialturbinen ausgestattet. Die durchschnittliche jährliche Stromerzeugung in Rogun wird mehr als 17 Milliarden Kilowattstunden pro Jahr betragen.

Der 335 Meter hohe Wasserkraftdamm wird somit der höchste Steinschüttdamm der Welt sein, der Wasser mit einem Gesamtvolumen von 13,3 Kubikkilometern und einem nutzbaren Wasservolumen von 10,3 Kubikkilometern staut. Das Kraftwerk Rogun ist als Mehrzweck-Wasserkraftwerk geplant, das neben der Stromerzeugung auch der Wasserregulierung, der Verringerung des Hochwasserrisikos und der Bekämpfung von Dürren dienen wird.

Regionale Ambitionen

Mit dem Bau war zunächst bereits in den 1970er Jahren begonnen worden, aus verschiedensten Gründen wurden die Tätigkeiten jedoch Anfang der 1990er Jahre eingestellt. Wenn das Kraftwerk Rogun schließlich doch mit voller Kapazität in Betrieb geht, werden eine Reihe bestehender Probleme gelöst sein.

Es wird die Stromknappheit im Winter vollständig ausgleichen und die Exportkapazität des tadschikischen Energiesystems erhöhen. Außerdem wird es die Laufzeit aller Wasserkraftwerke der Wachsch-Kaskade verlängern und technische Möglichkeiten für die Kaskadensteuerung von Wasserkraftwerken bieten, um so den Betrieb des Energiesystems zu optimieren und die Stromerzeugung in den flussabwärts gelegenen Anlagen zu steigern.

Tadschikistan beabsichtigt gemäß der nationalen Entwicklungsstrategie, seine Energiekapazität bis zum Jahr 2030 auf 10.000 Megawatt zu erhöhen. Diese Maßnahmen zielen nicht nur auf die kurzfristige Entwicklung des Landes ab, sondern auch auf die regionale Verbesserung der Energieversorgung.

Präsident Rahmon und seine Initiativen

Neben der Tatsache, dass die Flüsse Tadschikistans die Grundlage für die Wasserkraftkapazität des Landes bilden, besteht eine ihrer Besonderheiten darin, dass das Wasser aller Flüsse gemäß den weltweiten Standards als Trinkwasser anerkannt wurde.

Aus diesem Grund hatte Tadschikistans Präsident Emomali Rahmon bereits in der Vergangenheit zahlreiche symbolische Initiativen rund um das „blaue Gold“ verabschiedet. So wurden bei der UN-Generalversammlung Jahr 2003 zum „Internationalen Jahr des sauberen Wassers“, die Periode 2005 bis 2015 zur Internationalen Aktionsdekade „Wasser für das Leben“, 2013 zum „Internationalen Jahr der Zusammenarbeit im Wasserssektor“ und schließlich der Zeitraum 2018 bis 2028 zur Internationalen Aktionsdekade „Wasser für nachhaltige Entwicklung“ erklärt.

In seiner jährlichen Botschaft an das Parlament des Landes präsentierte Rahmon kürzlich die Vision, dass Tadschikistan bis 2037 in „ein grünes Land verwandelt“ werden solle. Die Voraussetzungen dafür sind günstig, jedoch auch mit vielen Herausforderungen verbunden.

Christian Grosse

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