Marianna Gurowa stammt ursprünglich aus Kasachstan, zog aber 1999 nach Deutschland und lebte dort in Bayreuth. Heute studiert sie in Passau. Mit der DAZ sprach die 23-Jährige über ihr studentisches Engagement, Sprachmischmasch und die Rückkehr in ihre Heimat.

/Bild: Russia Research Group. ‚Marianna (zweite von rechts) organisiert mit ihrer Hochschulgruppe Vorträge.’/

Marianna, was verschlug dich nach Niederbayern? Bayreuth-Passau ist ja nicht der nächste Weg.

Die Stadt Passau habe ich ausgesucht, weil es eine der wenigen Universitäten ist, die den Studiengang European Studies auf Bachelor mit dem Schwerpunkt Ostmitteleuropastudien und Politikwissenschaften anbietet. Außerdem konnte man zum Sommersemester anfangen, was mir wunderbar passte.

Wie kamst du gerade dazu, den ostmitteleuropäischen Schwerpunkt zu wählen?

Diese Wahl traf ich vor allem aufgrund meiner Herkunft. Da ich mit zwölf Jahren nach Deutschland gekommen bin, kam ich in Kasachstan nur bis zur fünften Klasse und habe deswegen nicht viel aus dem Schulprogramm an Geschichte, Literatur und Kultur mitnehmen können. Dies wollte ich nun mit meinem Studiengang nachholen. Der zweite Grund ist das spätere Berufsleben: Ich könnte mir durchaus vorstellen, im ostmitteleuropäischen Raum zu arbeiten.

Das Studium in Passau läuft ja auf Deutsch ab. Aber in welcher Sprache sprichst du mit deiner Familie?

In meiner Kindheit haben wir in der Familie überwiegend russisch gesprochen. Nur die deutsche Oma sprach mit uns Enkeln auf Deutsch, was aber schwierig war, weil wir nicht alles verstehen, geschweige denn antworten konnten. Meine Mutter verstand die altdeutsche Sprache der Oma und konnte auch antworten. Heute ist es so, dass wir die Sprachen mischen; überwiegend sprechen wir jedoch russisch miteinander, es sei denn, jemand ohne Russischkenntnisse ist mit dabei.

Du warst im Oktober dieses Jahres das erste Mal seit deiner Ausreise wieder in Kasachstan. Wie war es für dich, mit deiner Vergangenheit und Herkunft konfrontiert zu werden?

Ich habe meinen Vater und meine Oma besucht. Es war ganz interessant, die Kindheitserinnerungen nun mit Augen eines Erwachsenen zu sehen. Dabei muss ich sagen, dass sich die Situation in Kasachstan seit unserer Ausreise nicht stark verändert hat. Der Unterschied ist nur, dass wir jetzt ein „anderes“ Leben kennen und vergleichen können. Für die Menschen dort gibt es nach wie vor die gleichen Probleme, und der Lebensstandard ist nicht gewachsen. Obwohl man auch behaupten könnte, dass wir mit unseren europäisch verwöhnten Vorstellungen zu streng urteilen und die dortigen, wenn auch kleinen, Verbesserungen des Lebensstandards nicht erkennen können.

Gibt es an der Uni Passau viele Studierende mit einem ähnlichen Hintergrund wie deinem?

In meinem Freundeskreis kenne ich einige, die ebenfalls aus Kasachstan kommen und an der Uni Passau studieren, beziehungsweise studiert haben. Die meisten kommen aber aus verschiedenen Ländern der ehemaligen UdSSR und besonders viele aus Russland. Wir haben einen sehr guten Kontakt, sowohl bei offiziellen Veranstaltungen als auch privat außerhalb der Vorlesungszeit.

Bist du außerhalb der Vorlesungszeit aktiv oder engagiert, zum Beispiel in einer Hochschulgruppe?

Ich bin der Hochschulgruppe „Russia Research Group“ in meinem zweiten Semester an der Uni beigetreten und habe auch viele Freunde kennengelernt. Wir wollen der Uni Passau Russland und die aktuellen Themen, die dieses Land berühren, näher bringen. Dies geschieht im Rahmen von Gastvorträgen bekannter Persönlichkeiten. Im Sommersemester 2010 hielt zum Beispiel der ehemalige Wirtschaftsberater Putins, Andrej Allarionow, einen Vortrag über die Weltwirtschaftskrise und deren Folgen in Russland. Außer dieser Hochschulgruppe gibt es eine inoffizielle Versammlung unter russischen und deutschen Studenten. Hier besprechen wir in Form von Referaten für uns politisch, kulturell und ökonomisch interessante Themen. Dieses Semester möchten wir uns auf russische beziehungsweise ostmitteleuropäische Literatur konzentrieren und die Veranstaltung wie einen Lesezirkel gestalten.

Was ist deiner Meinung nach typisch für deutsche Unis? Wo liegt der Unterschied zu Kasachstan?

Das deutsche Hochschulsystem zeichnet sich vor allem durch Selbstorganisation und Selbststudium aus. Für die Universitätskultur ist vor allem soziales Engagement und ein sorgenloses Miteinander typisch. Freunde von mir, die in Kasachstan studieren, sagen, dass es hier verschulter ist. Zudem sei ein insgesamt viel stärkerer studentischer Gemeinschaftsgeist zu spüren, was höchstwahrscheinlich auf die historische Entwicklung zurückzuführen ist.

Was sind die nächsten Etappen in deinem (Studenten-)Leben?

Zur nächsten Etappe meines Studentenlebens gehören ein Auslandssemester in den USA und ein Masterstudium. Dazwischen hoffe ich, ein Praktikum zu absolvieren.

Interview: Vinzenz Greiner

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2009 wurde die Uni Passau zum schönsten Campus Deutschlands gekürt.

Studieren in Passau
Die Universität Passau wurde 1978 eröffnet und ist somit die jüngste Universität Bayerns. Die meisten Gebäude erstrecken sich entlang des Inn-Ufers und bilden somit einen länglichen Campus. Dieser wurde 2009 in einem Wettbewerb von der Studentenzeitschrift „Unicum“ zum schönsten Campus Deutschlands gewählt, worauf die Passauer Studenten natürlich stolz sind. Die Universität besticht aber nicht nur durch ihre Architektur und zahlreiche Freizeitangebote wie Rudern, Golfen oder Fechten, sondern auch durch ihr Studienangebot. So finden sich Jura und Betriebswirtschaftslehre in den deutschen Universitätsrankings grundsätzlich unter den Spitzenreitern wieder. Die niederbayerische Stadt, in der Inn und Donau zusammenfließen, will auch international mithalten. So bieten mittlerweile 190 Universitätspartnerschaften den rund 9.000 Studierenden an der Uni Passau die Möglichkeit, in Santiago de Chile, Warschau oder auch in Almaty an der Kasachischen Ablai Khan Universität für internationale Beziehungen und Weltsprachen ein Auslandssemester zu verbringen.

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