In der 101 Dump Gallery zeigt sich die volle Schönheit des Stadtbilds. Eine Ode an die Gebäude Almatys, die mehr hergeben als man sieht. (#cityisfacealmaty)
In einem unscheinbaren Hinterhof an der Ecke Nasarbajew/Gogol in Almaty befindet sich die 101 Dump Gallery. Von außen unscheinbar, steht der schlichte, rostfarbige Schriftzug an einer staubigen Tür. Darunter ein Plakat, das einem als Instagram-Nutzer versichern kann, dass man an der richtigen Stelle ist. Die urige Atmosphäre im engen Treppenhaus gibt einen ersten Hinweis darauf, was auf einen zukommt.
Zur Öffnungszeit um 14 Uhr ist noch niemand da, doch verlaufen sich nach und nach einzelne Menschen in den Eingangsbereich der Galerie. Links ein einladendes Sofa, mehrere Tische und viele warme Tischlampen, die mit ihrer gemütlichen Atmosphäre zum Verweilen einladen. Die entspannte Schallplatten-Musik und viele Teppiche tragen maßgeblich dazu bei, sich, ausgestattet mit einem frischen Kaffee, die feinen Details der Inneneinrichtung vertraut zu machen.
Tritt man jedoch weiter, so trifft man auf das Herzstück der 101 Dump Gallery: den Kunstsaal. Maya Kolosowa ist laut eigenen Angaben eine „Grafik-Enthusiastin“; sie arbeitet als Illustratorin mit besonderem Fokus auf expressionistische Architektur im naiven Stil. Ihre Interpretation von Bauwerken im Stadtbild Almatys ist schlicht, doch fantasievoll und kindlich-spielerisch. Ihre Perspektive auf alte, häufig schon ihrem ursprünglichen Sinn enteigneten Gebäude, ist erquickend und lehrreich zugleich.
Ein Beispiel: Das alte Gebäude des Kinotheaters „Kasachstan”, erbaut 1955 im neoklassizistischen Stil. Als erstes Kino in der Kasachischen Sozialistischen Sowjetrepublik und fünftes in der gesamten Sowjetunion galt seine kinematografische Ausstattung als höchst fortschrittlich und war eines der Prestigeprojekte der Sowjet-Obrigkeit. In den 2000er Jahren wurde es zum Antiquariats-Zentrum der Stadt und heute ist es zu einem üblichen Wettbüro mit Café umgemünzt.
Hinter der Fassade
Eindrucksvoll an der Kunst Kolosowas ist ihr Ziel, jedem gemalten Gebäude eine Seele einzuhauchen. Nicht allein die knackigen Farben und Cartoon-ähnliche Außenfassade sind dafür sinnbildlich. Über dem Dach ragt meist ein Frauenkopf, der die ganze Einrichtung vereinnahmt. Ihre markanten Gesichtszüge, die vollen Lippen und intensiv dreinblickenden Augen verleiten den Betrachter dazu, seine Gedanken schweifen zu lassen. Raum für Interpretation gibt es allemal. Die vielen kleinen Details motivieren dazu, sich mit der Geschichte der Architektur Kasachstans näher zu beschäftigen. Kleine Risse in der Fassade geben dem Gebäude einen gewissen Wiedererkennungswert und lebendige Züge.
Zwar findet man die Bauten auf den Straßen Almatys nicht so wieder, wie sie Kolosowa dargestellt. Das ist jedoch genau der Charme, den ihre Kunst versprüht. Dem Augenschein nach ist die Architektur Almatys während der Sowjet-Zeit oll, farblos und austauschbar, wenn man sie mit den Bauten anderer Städte wie Paris, Rom oder Wien vergleicht.
Sowjetischer Modernismus
Doch der Schein trügt. Gerade das alte Kinotheater brachte Farbe in das trübe Stadtbild Alma-Atas, wie die Stadt 1921 bis 1993 hieß. Auch wenn es nicht das eindrucksvollste Gebäude der Stadt war, so muss man „hinter die Fassade“ blicken und die unglaubliche Erzählung der Kulturhauptstadt Zentralasiens mit einbeziehen.
Der sowjetische Modernismus ist in die Zeit nach Stalins Tod im Jahr 1953 zu verordnen. Der „Beschluss über die Bekämpfung von Extravaganzen in Projektplanung und Bau“ erschütterte die damalige Architektur wie ein Erdbeben. Chruschtschow rechnete mit der Stalin-Zeit ab und zunächst waren individuelle Projekte zur Gestaltung von prunkvollen Bauten selten, denn der Kampf gegen die Wohnungsnot nahm höchste Priorität ein. Das Ende der 1950er Jahre war von der rasanten Entwicklung von Wissenschaft und Technik geprägt – eine Reihe von unikalen Gebäudekomplexen musste her. Auch die Kunst entwickelte sich und mit ihr wurden die Methoden der Architekten und Künstler verfeinert, um ihre Botschaften an die Nachwelt gekonnt vor den sowjetischen Machthabern zu verstecken.
So gibt das Stadtbild Almatys mehr her, als es auf den ersten Blick erscheint. Kolosowa leistet mit ihrer Ausstellung wichtige Arbeit, die uns daran erinnern soll, innezuhalten und das große Ganze zu sehen. Die ihr gewidmete temporäre Ausstellung ist noch bis zum 02.März in der 101 Dump Gallery kostenlos für alle Besucher offen.