Mit seinem Engagement für die Förderung, Gleichberechtigung und Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderung leistet das Sozialdorf Manas in Kirgisistan wertvolle Pionierarbeit.

Rund 60 Kilometer außerhalb von Bischkek, im idyllischen Murake gelegen, bietet das Sozialdorf Manas einen atemberaubenden Blick auf die verschneiten Gipfel des Tian-Shan Gebirges. Hier erhalten jugendliche und erwachsene Menschen mit Behinderung die Möglichkeit, ein würdevolles, selbstbestimmtes Leben zu führen und in therapeutischen Werkstätten zu arbeiten.

Stigmatisierung bekämpfen – für mehr Gleichberechtigung

Das Sozialdorf bietet derzeit Platz für 24 Jugendliche und Erwachsene mit Behinderung. Viele von ihnen seien in „staatlichen, geschlossenen psycho-neurologischen Kindereinrichtungen“ aufgewachsen, berichtet Gulbarschyn Takyrbaschewa, Leiterin des Sozialdorfes. Dort leben Kinder mit Behinderungen laut ihrer Aussage oft unter „unmenschlichen“ Bedingungen – häufig „ohne Zugang zu Bildung“.

Menschen, die nach jahrelangem Aufenthalt in solchen Einrichtungen ins Sozialdorf kommen, seien oftmals schwer traumatisiert. Es dauere vielfach mehrere Monate oder gar Jahre, bis sie sich öffnen und sich an ein selbstbestimmtes Leben gewöhnen, erzählt Taalay Ismaelbekow, Projektmanager des Sozialdorfes.

Mit seiner Arbeit kämpft das Sozialdorf Manas aktiv gegen die immer noch weit verbreitete Stigmatisierung von Menschen mit Behinderung. Taalay verweist insbesondere darauf, dass in Kirgistan noch das Vorurteil anzutreffen ist, wonach Menschen mit Behinderung nicht bildungs- oder arbeitsfähig seien. Leider präge diese Stigmatisierung auch das Selbstbild der Menschen mit Behinderung, so dass sie die Vorurteile anderer übernehmen und verinnerlichen.

Gulbarschyn, die Leiterin des Sozialdorfes, die im Alter von 40 Jahren ihr Augenlicht verlor, betont: „die Stigmatisierung von Menschen mit Behinderungen hat es in Kirgistan schon immer gegeben“. Bis heute seien Menschen mit Behinderung daher oft nur unzureichend in die Gesellschaft integriert und die Infrastruktur im Land sei weitgehend nicht barrierefrei.

Das Sozialdorf Manas: Leben und Arbeiten in der Gemeinschaft

Das Sozialdorf Manas in Murake umfasst mehrere Wohnhäuser, therapeutische Werkstätten, einen Stall mit Kühen, Schafen und Hühnern sowie ein Gewächshaus.

Zu Beginn besuchen Neuankömmlinge die verschiedenen therapeutischen Werkstätten, um herauszufinden, welche Tätigkeit ihnen am meisten zusagt. Derzeit bietet das Sozialdorf Arbeitsplätze in der Landwirtschaft, in der Milchverarbeitung, in einer Bäckerei sowie in der Filz-, Papier- und Holzwerkstatt. An Werktagen arbeiten die Bewohner:innen jeweils sechs Stunden in der Arbeitsstätte ihrer Wahl und werden dabei von den Mitarbeitenden des Sozialdorfs begleitet und unterstützt.

Das Leben im Sozialdorf Manas folgt einer klaren Tagesordnung und verbindlichen Verhaltensregeln. Wöchentlich kommen Bewohner:innen und Mitarbeitende zusammen, um eventuell auftretende Unstimmigkeiten zu klären, um Wünsche und Vorschläge zu besprechen und bevorstehende Aktivitäten zu planen. Im Mittelpunkt stehe stets das Ziel, dass „jeder Mensch einfach so weit wie möglich genau so leben kann, wie er es möchte und wie er glücklich ist“, betont Taalay.

Auch in ihrer Freizeit haben die Bewohner:innen vielfältige Entfaltungsmöglichkeiten – vom Musikunterricht bis hin zu spannenden Ausflügen. Zudem besucht das Sozialdorf regelmäßig kulturelle Veranstaltungen in Bischkek. Und jeden Sommer steht ein Erholungsurlaub am Issyk-Kul-See auf dem Programm.

Der Leiterin Gulbarschyn liegt besonders am Herzen, dass die Bewohner:innen die Möglichkeit haben, Festlichkeiten und Geburtstage „wie zu Hause“ feiern zu können – mit Geschenken, Musik, Tanz und festlicher Kleidung. Um dafür einen ansprechenden Rahmen zu schaffen, setzte sie sich für den Bau einer Jurte ein, die mit ihrer stimmungsvollen Atmosphäre den idealen Ort für fröhliche Feste bietet.

Zum Sozialdorf Manas gehört auch eine Außenwohngruppe im nahegelegenen Ort Belowodsk, der nur wenige Kilometer vom Hauptstandort entfernt ist. Dort finden derzeit fünf Personen mit Behinderung ein Zuhause, in dem sie weitgehend selbstständig zusammenleben. Tagsüber verarbeiten die Bewohner:innen der Außenwohngruppe unter der Aufsicht von Werkstattleiterin Nasgul die frische Milch aus dem Sozialdorf zu verschiedenen Milchprodukten. In der eigens dafür eingerichteten kleinen Backstube backen sie zudem auf Bestellung vielfältige Backwaren.

Im Jahr 2022 eröffnete das Sozialdorf Manas seinen ersten eigenen Laden in Bischkek und machte damit einen wichtigen ersten Schritt in Richtung größerer finanzieller Unabhängigkeit von Spenden. Dort werden die vielfältigen Produkte verkauft, die die Bewohner:innen in den therapeutischen Werkstätten herstellen. Das Sortiment reicht von verschiedenen Milchprodukten bis hin zu handgemachten Souvenirs wie traditionellen Shyrdaks (handgearbeiteten Boden- und Wandteppichen) und Hausschuhen. Besonders gefragt seien die Milchprodukte, da die Kundschaft die hohe Qualität der regionalen Erzeugnisse schätze.

Unterstützung und Spenden für das Sozialdorf

Der deutsche Förderverein Sozialdorf Manas e.V. vertritt das Sozialdorf in Deutschland und stellt dessen Arbeit vor. Dabei verkaufen die ehrenamtlichen Mitglieder die im Sozialdorf hergestellten Filzprodukte, um das Sozialdorf finanziell zu fördern. Darüber hinaus bietet der Förderverein durch Projektbetreuungsreisen sowie regelmäßige Online-Gespräche fachlichen Rat und Unterstützung.

Auch das Deutsche Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sowie die Deutsche Botschaft in Bischkek haben das Sozialdorf bereits bei mehreren Projekten unterstützt – etwa beim (Um-)Bau von Wohnhäusern oder der Einrichtung des Ladens in Bischkek. Neben der Förderung durch diverse weitere Institutionen nimmt das Sozialdorf auch private Spenden an. Langfristig strebt es jedoch an, unabhängiger von Spenden zu werden.

Zwischen Hürden und Erfolg: Herausforderungen meistern im Sozialdorf

Projektmanager Taalay schildert die vielfältigen Herausforderungen, denen sich das Sozialdorf täglich stellen muss. Besonders die unzureichende Infrastruktur erschwere den Alltag erheblich.

Ein zentrales Problem ist laut Taalay der auf durchschnittlich zwei Stunden begrenzte Wasserzufluss, der das Sozialdorf täglich herausfordere. Unterstützung erhielt das Sozialdorf durch eine vom deutschen Senioren Experten Service (SES) entsandte ehrenamtliche Fachkraft, die beim Bau von zwei Wassersammelreservoiren half.

Aufgrund finanzieller Unzulänglichkeiten könne das Sozialdorf seinen Mitarbeitenden keine hohen Löhne zahlen, so dass viele auf einen Nebenerwerb angewiesen sind. Zudem beschreibt Taalay die Schwierigkeit, geeignetes Personal für die emotional anspruchsvolle Arbeit im Sozialdorf zu finden. Dies werde zusätzlich dadurch erschwert, dass es in Kirgisistan keine passenden Ausbildungsmöglichkeiten im Bereich der Heilpädagogik gebe. Die Mitarbeitenden seien daher auf Weiterbildungen im Ausland oder auf Online-Kurse angewiesen. Darüber hinaus ermöglichte der Senioren Experten Service, dass ehrenamtliche, heilpädagogische Fachkräfte die Mitarbeitenden weiter schulten.

Trotz der Herausforderungen erhält das Sozialdorf immer wieder nationale und internationale Anerkennung. So hat der kirgisische Präsident der Leiterin des Sozialdorfes Manas, Gulbarschyn Takyrbaschewa, 2022 für ihre engagierte Arbeit den Titel „Verdiente Arbeiterin der Kirgisischen Republik im sozialen Bereich“ verliehen. 2023 folgte eine weitere Ehrung: Die Leiterin erhielt das Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland, das ihr feierlich von der deutschen Botschafterin überreicht wurde.

Träume und Zukunftspläne – Das Sozialdorf Manas wächst weiter

Das Team des Sozialdorfs Manas stellt sich unermüdlich den vielfältigen Hürden und engagiert sich konsequent für die Gleichberechtigung und Inklusion von Menschen mit Behinderung. Projektmanager Taalay gibt Einblicke in zukünftige Vorhaben: Angesichts der hohen Nachfrage nach Wohnplätzen sei der Bau weiterer Wohnhäuser geplant. Zudem sollen neue Projekte zur finanziellen Unabhängigkeit beitragen und ein stabiles Einkommen sichern.

Weitere Infos zur Tätigkeit und zu aktuellen Projekten des Sozialdorfes Manas finden Sie auf der Website https://sozialdorf.org/ und auf Instagram unter manas.socialvillage.

Alina Knobel

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