Lange Zeit galt die EU als großes Vorbild gelungener Integration. Trotz der Krise verfügt die Gemeinschaft nach Ansicht von Kolumnist Bodo Lochmann immer noch über mehrere Stärken.


Lange Zeit galt die Europäische Union als das große Beispiel und Vorbild einer gelungenen wirtschaftlichen, menschlichen und auch politischen Integration. Nicht weniger als 27 Staaten, die sich in einer sehr langen Zeit ihrer gemeinsamen Geschichte eher feindlich gegenüberstanden, haben aus einer Region der Konflikte und Kriege eine Region der Stabilität und des Wohlstands gemacht. Bei allen aktuellen Problemen der Eurozone und teilweise auch der EU darf das keinesfalls vergessen werden. Insgesamt ist die europäische Integration kaum noch umkehrbar, die jüngere Generation beispielsweise kann sich nur schwer einen anderen Zustand vorstellen, als nicht mehr vorhandene Grenzen und das Fehlen dumpfen Hasses zwischen Völkern, die auf engstem Raum zusammenleben.

Infolge der aktuellen Finanzprobleme der meisten europäischen Staatshaushalte und der dadurch mit ausgelösten Turbulenzen auf den internationalen Finanzmärkten fragt man sich heute in vielen Ländern, ob denn die EU überhaupt noch als Integrationsvorbild tauge, nun nicht gleich unbedingt für die ganze Welt, aber doch regional.

Natürlich hat jede Region ihre spezifischen Bedingungen des Zusammenlebens und auch des potentiellen wirtschaftlichen Zusammenwachsens. Schaut man sich erst mal die Statistik der vergangenen Jahrzehnte an, kann man uneingeschränkt feststellen, dass es außer der EU nirgends in der Welt gelungen ist, eine vergleichbare tiefgehende Integration praktisch zustande zu bringen. Es hat eine wahre Flut von Deklarationen und Versuchen gegeben, manches an Teillösungen ist auch wirksam, jedoch nirgendwo das EU- und Euroniveau. Das Sekretariat der Mercosurgruppe (Südamerika) oder der ASEAN-Gemeinschaft (Südostasien) zum Beispiel haben keine mit der EU-Kommission vergleichbaren Kompetenzen. Sie sind eine Art Koordinierungs-, jedoch keine Handlungsstellen und werden es auf absehbare Zeit wohl auch bleiben.

Trotz der nicht enden wollenden Eurokrise darf man nicht übersehen, dass die EU weiter über enorme Stärken, globale Ausstrahlungskraft und umfassende Erfahrungen in einem so komplizierten Prozess, wie die Integration von 27 unterschiedlichen Ländern besitzt.
Eine neue Studie der Weltbank bescheinigt der EU insbesondere drei Stärken:Erstens hat Europa eine Art Konvergenzmaschine geschaffen, die sicher keinesfalls ideal ist, aber generell funktioniert. In jüngster Zeit erst wurden acht osteuropäische Staaten auf einmal integriert und konnten seither deutliche Fortschritte in vielen Entwicklungsfragen, vor allem in der Steigerung des Lebensniveaus erreichen. Das ist ziemlich schnell vonstattengegangen, andere Regionen haben für Vergleichbares ein Mehrfaches an Zeit benötigt.

Zweitens besitzt Europa nach wie vor international hervorragend aufgestellte und wettbewerbsfähige Unternehmen, die einen exzellenten Weltruf besitzen und die Basis des europäischen Wohlstands bilden. Europäische Markenprodukte sind innovativ, exportstark und schaffen so attraktive Arbeitsplätze. Der gemeinsame europäische Markt hat es ihnen oft erst ermöglicht, sich international auszurichten und von Europa aus den Sprung in die Welt, vor allem nach Asien, zu wagen.

Drittens besitzt Europa nach wie vor den höchsten Lebensstandard, wenn man seine nichtmonetären Aspekte berücksichtigt. Die soziale Marktwirtschaft als gesamteuropäische Leitidee hat es geschafft, eine Balance zwischen den unterschiedlichsten Aspekten des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens herzustellen. In den meisten europäischen Ländern ist sozialer Friede ein Wert an sich geworden, von dem man in manch anderen Regionen nur träumt.

Natürlich sind alle diese Ergebnisse nicht automatisch und auf Dauer gesichert. Das Leben steht nicht still, ständig verändern sich die allgemeinen und die speziellen Rahmenbedingungen. Die größere strategische Herausforderung als die aktuelle Finanzkrise ist das Beherrschen des demografischen Wandels, also des Rückgangs der Gesamtbevölkerung bei gleichzeitiger Verschlechterung der Altersstruktur. Hier passiert im Moment eher zu wenig, hier türmen sich Probleme auf, die nicht durch einige Hau-Ruck-Aktionen gelöst werden können.

Bodo Lochmann

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