Im Deutsch-Russischen Museum Berlin-Karlshorst zu einer besonderen Uraufführung: Das Historikerlabor e.V. setzte „Die Hungerplan-Konferenz – Die Neuordnung Europas und der Vernichtungskrieg“ als Dokumentartheater im historischen Kapitulationssaal des Museums um.

Eine Gruppe von NS-Staatssekretären und hochrangigen Wehrmachtsoffizieren traf sich sechs Wochen vor dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion in Berlin, um die wirtschaftlichen Ziele des geplanten Krieges gegen die Sowjetunion zu besprechen.
Dabei ging es um nichts Geringeres als die Neuordnung Europas Es sollte ein autarkes Wirtschaftsgebiet entstehen, das von der Atlantikküste bis zum Ural reicht.

Unter der Führung von General Thomas, dem Chef des Wehrwirtschafts– und Rüstungsamtes der Wehrmacht und Staatssekretär Körner, dem Leiter des Wirtschaftsführungsstabes Ost, wurden am 2. Mai 1941 Fragen der Ernährung und Kriegswirtschaft besprochen.

Grundlage bildete der sogenannte Backe-Plan; Herbert Backe war Staatssekretär und späterer Minister im Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Im Mittelpunkt stand die Eroberung der riesigen Agrargebiete und Rohstoffquellen der Sowjetunion, um das deutsche Reich „aus dem Lande“, d.h. der Sowjetunion, zu ernähren.

In den erhaltenen Originaldokumenten wird die Folge der Ernährung der Wehrmacht aus den zu besetzenden Gebieten ganz lapidar beschrieben: „Hierbei werden zweifellos zig Millionen Menschen verhungern, wenn von uns das für uns Notwendige aus dem Land herausgeholt wird.“ Welche Nahrungsmittel und Rohstoffe aus dem Land „herausgeholt“ werden sollen, wird ebenso beschrieben, wie die De-Industrialisierung der Sowjetunion.
Die wirtschaftspolitischen Richtlinien vom 23. Mai und die Grüne Mappe, das Wirtschaftshandbuch vom 1. Juni 1941, lesen sich als Fortschreibung der Besprechung vom 2. Mai 1941: Man werde die russische Bevölkerung „zu unserem Werkzeug machen“, „viele 10 Millionen Menschen“ werden „überflüssig und werden sterben.“ In öffentlichen Reden verwahrt man sich vor „falschem Mitleid“, es sei eine „harte Notwendigkeit“, die „außerhalb jedes Gefühls“ stehe.

Den Teilnehmern der Besprechung vom 2. Mai 1941 war klar, dass sie vor dem Beginn eines rassischen Vernichtungskrieges unbekannten Ausmaßes standen. Ihr Hungerplan erklärt sich aus einer äußerst brutalen, ideologisch aufgeladenen Kriegführung und fügt sich in seiner Radikalität exemplarisch in die nationalsozialistische Ostplanung: Landgewinnung, Ernährungssicherung durch Siedlungsgebiete für das „Volk ohne Raum“, bei gleichzeitiger Dezimierung der einheimischen, der slawischen, der „jüdisch-bolschewistischen“ Bevölkerung; sie sollte vertrieben, versklavt, vernichtet werden, insbesondere mittels Hunger.
Für das Historikerlabor lag daher die Entscheidung nahe, das Dokumentartheater-Projekt im Deutsch-Russischen Museum Berlin-Karlshorst durch– und aufzuführen. „An keinem anderen Ort kann man sich den Beginn und das Ende des Zweiten Weltkriegs, seine Planungen und Niederlage besser vergegenwärtigen als hier“, so Christian Tietz. Er ist der Projektleiter des Dokumentartheaters.

Bei diesem Konzept geht es um ein bewusstes Wiederholen der Geschichte. Das Nachspielen der Hungerplan-Konferenz im Rahmen des Historikerlabors e.V. lenkt den Fokus zwangsläufig in die zweite und dritte Reihe des NS-Machtapparates. Es geht darum, den Planern bei der Formulierung ihrer menschenverachtenden Vorhaben auf die Finger zu schauen. „Das Dokumentartheater des Historikerlabors“, so Museumsdirektor Jörg Morré, „ermöglicht einen ungewöhnlichen Zugang zu Geschichte. Sicherlich ist das Dokumentarstück eine weitere Interpretation des ‚Hungerplans’. Doch es ist lohnenswert, sich diesen Aspekt des deutschen Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion auf diese Weise zu vergegenwärtigen“.

Verantwortlich damals war General Thomas, der von Hitler und Göring „mit der einheitlichen Leitung der Wirtschaftsverwaltung im Operationsgebiet“ beauftragt worden war. Die übrigen Vertreter aus den Stäben und Ministerien und Behörden arbeiteten nicht nur „dem Willen des Führers entgegen“, sie machten aus menschenverachtenden Utopien konkrete Pläne und sorgten für deren Umsetzung.

Von Günther Knackfuss

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