Wie ehrt man einen Künstler, der nicht der alleinige Urheber seiner Kunst ist, sondern vielmehr die Stimme oder das Gesicht der Kunst eines andern?

Schriftsteller oder Komponisten wie den großen Akyn Abai oder Akhmet Zhubanov zu ehren, ist nicht sonderlich schwierig. Sie hinterließen Kompositionen, Opern und Gedichte; und indem diese rezitiert und auf die Bühne gebracht werden, kehren die verstorbenen Künstler zurück in die Köpfe der heutigen Generationen.

Doch was ist mit den großen Darstellern, Sängern und Tänzern, die den Noten und Worten eine Stimme und ein Gesicht verliehen, die Figuren auf einem Blatt Papier zum Leben erweckten? Ihre Kunst ist vergänglich und dem Augenblick gewidmet. Im besten Falle gibt es Aufnahmen ihrer Darstellungen. Doch wenn dem nicht so ist, bleiben oft nur das Hörensagen und das gemeinsame Erinnern eines Moments, den manch einer nicht einmal selbst erlebt hat.

Im Falle der berühmten kasachischen Opernsängerin und Schauspielerin Kuljasch Baiseitowa gibt es glücklicherweise nicht nur Tonaufnahmen, sondern auch Filmaufnahmen, die ihr Talent für die Nachwelt konserviert haben. Ihr künstlerisches Wirken war so eindrucksvoll und nachhaltig, dass Straßen in Almaty, Nur-Sultan sowie in weiteren Städten Kasachstans nach ihr benannt wurden.

Ein steiniger Weg zum Ruhm

Glanz und Gloria des Erfolges lassen so manches Mal vergessen, wie lang und steinig der Weg zum Ruhm gewesen sein kann. Auch Kuljasch Baiseitowa fiel der Erfolg nicht über Nacht in den Schoß. Über ihr genaues Geburtsdatum herrscht Unstimmigkeit. Einigen Quellen zufolge wurde sie am 12. Januar, anderen zufolge am 6. Juni geboren. Heute wird ihr Geburtstag am 2. Mai begangen, wobei man davon ausgeht, dass Kuljasch dieses Datum selbst als Geburtstag wählte, weil sie den Frühling liebte.

Bekannt ist, dass sie im Jahr 1912 unter ihrem bürgerlichen Namen Gulbakhram Beisowa in der Steppe von Saryarka geboren wurde. Ihre Familie hatte nicht viel Geld, und da ihre Eltern es sich nicht leisten konnten, zwei Kinder zu ernähren, verbrachte Kuljasch bereits vor der Einschulung einige Jahre in einem Waisenhaus. Später schickten ihre Eltern sie im Alter von 12 Jahren in ein Internat im heutigen Almaty. Trotz der schwierigen Umstände ihrer Kindheit – oder vielleicht auch gerade deshalb – fand Kuljasch bereits früh Zugang zur Musik. Ihr Vater hatte bereits sein Glück als Sänger versucht, wobei diese Versuche nicht von finanziellem Erfolg gekrönt waren.

Wie die Flügelschläge eines Vogels

Während der Schulzeit begann Kuljasch, an musikalischen Amateuraufführungen teilzunehmen. Später trat sie dem noch heute bestehenden Kasachischen Staatlichen Akademischen Schauspieltheater bei, das nach dem kasachischen Schriftsteller Mukhtar Auezov benannt ist. Sie erlernte nicht nur das schauspielerische Handwerk, sondern vertiefte auch ihre Leidenschaft zur Musik. Am Ausbildungsstudio des kasachischen Opern- und Balletttheaters studierte sie Gesang und begann schon bald, von kleineren Nebenrollen zu Hauptrollen zu wechseln. Sang sie zu Beginn ihrer Karriere noch in einer tieferen Tonlage, wechselte sie mit der Zeit zu einer höheren, was schließlich zu ihrem Markenzeichen werden sollte.

Heute ist es kaum verwunderlich, dass Kuljasch Baiseitowa den Beinamen „Die kasachische Nachtigall“ erhielt – erinnert doch das von Zeit zu Zeit erklingende sanfte Tremolo in ihrer Stimme an die Flügelschläge eines Vogels. Von Zeitgenossen wurde ihre Stimme als hoch, hell und beinahe transparent beschrieben, in keinem Vergleich zu anderen Stimmen.

Künstlerische Ehrungen

Im Alter von nur 24 Jahren erhielt Kuljasch die Auszeichnung „Volkskünstlerin der UdSSR“. Damit war sie nicht nur eine der 13 Personen, denen diese Ehre zuteil wurde, sondern auch die jüngste, die eben jene Auszeichnung erhielt. Später wurde sie darüber hinaus mit dem Stalinpreis für ihre herausragenden musikalischen Leistungen geehrt. Ihr Bekanntheitsgrad weitete sich schnell über die Grenzen Kasachstans aus, und schon bald kannte man ihren Namen in der gesamten Sowjetunion.

Kuljaschs Repertoire war vielfältig. Sie blieb nicht nur der Schauspielerei treu, sondern trat zusätzlich auch als Konzertsängerin auf. Bei Konzerten sang sie diverse Volkslieder auf Polnisch, Armenisch, Tschechisch und Kasachisch. Während der entbehrungsreichen Jahre des Zweiten Weltkrieges gehörte sie zu jenen Künstlern, die mit an die Front reisten, um den Soldaten dort ein wenig Trost in ihrem Alltag zu spenden. Für solche Konzerte reiste sie während dieser Jahre mehr als einmal an die Front, um dort aufzutreten.

Während einer Konzerttour in Moskau im Sommer 1957 klagte sie nach dem Konzert über Kopfschmerzen und zog sich frühzeitig in ihr Hotel zurück. Dort fand sie am nächsten Morgen ein Dienstmädchen leblos auf dem Boden des Badezimmers. Die Ärzte diagnostizierten später eine Hirnblutung als Todesursache. Kuljasch Baiseitowa verstarb im Alter von nur 45 Jahren, beigesetzt wurde sie auf dem Zentralfriedhof in Almaty.

Obwohl ihr Tod nun bereits über ein halbes Jahrhundert zurückliegt, bleibt sie unvergessen. So wurden nicht nur Straßen nach ihr benannt, sondern es gibt auch eine Schule in Almaty, die ihren Namen trägt und sich der musikalischen Ausbildung ihrer Schüler widmet. Des Weiteren wurde über die Kasachfilm-Studios im Jahr 2004 ein Film über ihr Leben und Wirken produziert und veröffentlicht.

Der 120. Geburtstag der kasachischen Nachtigall

Anlässlich des 120. Geburtstags Kuljasch Baiseitowas veranstaltete das Abai-Opernhaus in Almaty, dessen Ensemble-Mitglied Kuljasch zu Lebzeiten selbst gewesen ist, am Dienstag einen Konzertabend. Es war ein Abend des Erinnerns und Gedenkens an eine der größten Künstlerinnen Kasachstans. Auf Russisch und Kasachisch wurde durch den Abend geführt, es wurden Anekdoten aus dem Leben Kuljaschs erzählt und ein kleiner Film zu ihrem Werdegang und ihrer Karriere gezeigt. Die Solisten des Opernhauses sangen diverse Auszüge aus internationalen und kasachischen Opern, in denen Kuljasch selbst einst geglänzt hatte. Und auch Schüler der nach ihr benannten Musikschule stellten ihr eindrucksvolles und klangstarkes Können zur Schau.

Welcher Stellenwert Kuljasch Baiseitowa noch immer beigemessen wird, zeigte sich nicht nur in dem vielfältigen und für Augen wie Ohren reichen Spektakel, sondern auch an dem ausverkauften Zuschauersaal. Das Publikum war altersmäßig bunt gemischt und reichte vom Kleinkind bis zum Rentner. Auch für jene, die keine Karte hatten ergattern können oder aus anderen Gründen verhindert waren, fanden sich kreative Lösungen. So ermöglichten einige Zuschauer ihren Freunden und Bekannten, per Videoanruf der Veranstaltung virtuell beizuwohnen. Nach ungefähr zwei Stunden Musik, Gesang, farbenfroher Kostüme und Tanz endete der Abend mit tosendem Beifall des stehenden Publikums.

Anne Lemke

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