Die Petroglyphen von Tanbaly sind eine von fünf UNESCO-Welterbestätten auf dem Gebiet Kasachstans. Die in Fels und Stein geritzten Bilder laden ein auf eine dreitausendjährige Reise in die Menschheitsgeschichte.

Am 16. November 1945 unterzeichneten in London 37 Staaten die Verfassung einer neuen internationalen Sonderorganisation der Vereinten Nationen und gründeten somit die „Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur, kurz: UNESCO. Die Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg bewogen die Gründungsmitglieder zu der Feststellung, „Friede muss – wenn er nicht scheitern soll – in der geistigen und moralischen Solidarität der Menschheit verankert werden“. So steht es in der Präambel der Verfassung der UNESCO.

Ziel ist es seitdem, Frieden in der Welt durch die Förderung von Erziehung, Wissenschaft, Kultur, Kommunikation und Information zu schaffen. Kurz gesagt: Wissen schafft Frieden. Insbesondere dem Bereich Kultur kommt dabei ein wesentlicher Beitrag zu. Seit 1954 betraut die UNESCO die sogenannte Haager Konvention mit dem Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten. Seit 1972 verwaltet das Welterbekomitee das Erbe der Menschheit, bestehend aus dem Weltkultur- und Weltnaturerbe. Es betreut so inzwischen unzählige kulturelle Stätten und Naturräume rund um den Globus. Der Titel des Welterbes ist sowohl mit großer Aufmerksamkeit und finanzieller Unterstützung, allerdings auch mit einer besonderen Verantwortung zum Schutz und Erhalt der jeweiligen Stätte verbunden.

Gewaltige Reise in die Menschheitsgeschichte

Auch Kasachstan besitzt seit einigen Jahren einige solcher besonders schützenswerten Orte. Die UNESCO listet für das Land selbst drei Welterbestätten. Dies sind das Mausoleum des Khoja Achmet Jasawi in der Stadt Turkestan, das Naturerbe Saryarka, eine Steppenregion in Nordkasachstan, sowie die Petroglyphen von Tanbaly. Daneben ist Kasachstan Teil von zwei länderübergreifenden Einträgen, bei denen sich das Welterbe auf mehrere Länder über verschiedene Regionen hinweg erstreckt, nämlich ein Teilabschnitt des Handelswegenetzes der historischen Seidenstraße, sowie das westliche Tian-Shan-Gebirge.

Mit Tanbaly befindet sich eine dieser UNESCO-Welterbestätten Kasachstans ganz in der Nähe von Almaty, nur etwa 130 Kilometer nordwestlich der Stadt. Diesem geographischen Katzensprung steht allerdings eine gewaltige, dreitausendjährige Reise in die Geschichte der Menschheit gegenüber. Die Bezeichnung Tanbaly bedeutet im Kasachischen und in anderen Turksprachen in etwa so viel wie „bemalter“ oder „markierter Ort“, und genau darum geht es an diesem Ort auch: um in Fels und Stein geritzte Bilder, oder Petroglyphen.

Insgesamt sind ganze 5.000 Petroglyphen in Tanbaly zu finden, von denen die ältesten circa 3.000 Jahre, also bis in die mittlere Bronzezeit, zurückreichen. In der sogenannten kleinen Tanbaly-Schlucht lassen sich die meisten finden, alleine dort circa 3.000 Stück. Auf die restlichen rund 2.000 Zeichnungen kann man in der ganzen Gegend stoßen. Und dabei ist nicht ausgeschlossen, dass viele weitere dieser Steinbilder in dieser unwirtlichen Steppenregion bis heute unentdeckt geblieben sind.

Reiche Vorstellungskraft und Fantasie

Die Entstehungsperiode der Petroglyphen reicht von der mittleren und späten Bronzezeit über die frühe Eisenzeit bis in das Mittelalter und die Moderne. In der mittleren Bronzezeit allerdings entstanden sowohl die zahlenmäßig meisten als auch die ästhetisch und kulturell bedeutsamsten Petroglyphen. Die Bilder, die im Durchschnitt eine Größe von 25 bis 30 Zentimetern erreichen, zeigen verschiedene Szenen aus dem Alltag jener Menschen, die diese Gegend vor 3.000 Jahren bevölkerten. Dazu gehören Jagd- und Kampfszenen, Darstellungen von Tieren wie Pferde, Kamele, Wölfe, Rehe oder Steinböcke, aber auch mythologische Abbildungen von „Sonnenmenschen“ und anderen Naturgottheiten.

Die Abbildungen regen nicht selten auch die Fantasie der Betrachter an. Manch einer mag in ihnen Außerirdische erkennen und sieht dies als einen Beweis für die Existenz außerirdischen Lebens, den bereits unsere frühesten Vorfahren erbracht haben. Andere entdecken in manchen in sich verwundenen, in Stein geritzten Linien freizügige Liebesszenen aus dem Kama-Sutra. Viele Fragen bleiben bis heute ungeklärt und viele Deutungen unbewiesen. Die Wissenschaft hat noch viel Arbeit bei der Erforschung der Geschichte der Menschheit vor sich. Der reichen Fantasie und Vorstellungskraft der Menschen steht somit auch in Zukunft nichts im Wege.

Eindrücke vom nomadischen Leben

Ein Großteil der Tierbilder lässt sich allerdings ohne größere Schwierigkeiten deuten. So taucht unter den Petroglyphen immer wieder das Abbild des Steinbocks mit seinen großen, geschwungenen Hörnern auf. Die Art und Weise, wie unsere Vorfahren diese Tierabbildungen gestalteten, war offensichtlich so prägnant, dass sich diese runde Form der Hörner bis heute in der Alltagskultur Kasachstans wiederfindet.

In Zeiten, als die Völker Zentralasiens noch nomadisch lebten und mit ihren Jurten durch die weite Steppe reisten, fand sich diese Form der Steinbockhörner als sich immer fortsetzendes Ornament auf den traditionellen Filzteppichen wieder, die dazu benutzt wurden, um die Jurte im Winter vor Schnee und Eis zu schützen und zu dämmen. Dieses prägnante Ornament ist heute überall im Alltag Kasachstans zu finden und ist seit der Unabhängigkeit des Landes sogar Teil der offiziellen Symbolik des kasachischen Staates. Die Staatsflagge zeigt, neben einem goldenen Adler und der Sonne, einen goldenen Streifen aus eben diesen in sich geschwungenen Ornamenten.

Auch der „Goldene Mann“ stammt von den Saken

Als Urheber zumindest der ältesten der Petroglyphen von Tanbaly dürften übrigens Vorläufer der Saken gelten. Die Saken, das ist jenes mystische, von den Skythen abstammende Reitervolk, deren Stammesgruppen als Nomaden zwischen dem 8. und dem 1. Jahrhundert v. Chr. die Steppen Zentralasiens beherrschten. Dass die Reitervölker der Saken tatsächlich in diesem Gebiet siedelten, bewies der erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in einem Grabhügel gefundene sogenannte „Goldene Mann“.

Diese aus tausenden goldenen, höchst filigran gearbeiteten Einzelteilen bestehende Ritterrüstung eines vermutlich jungen Stammesfürsten der Saken wurde 1969 in dem Dorf Issyk unweit von Almaty entdeckt. Sie beweist die Anwesenheit dieser frühen Hochkultur in dem Gebiet. Auch dieser „Goldene Krieger“, wie er ebenfalls genannt wird, gilt heute als eines der Nationalsymbole des unabhängigen Kasachstan. Er ist unter anderem auf Geldscheinen oder auch als Statue hoch oben auf dem Obelisken des Nationalmonuments in Almaty zu finden.

Tamgaly ist nicht gleich Tamgaly-Tas

Der Name Tanbaly ist allerdings irreführend. Nicht nur gibt es in Kasachstan, ebenso wie im nahen Kirgistan, diverse Orte, an denen Petroglyphen zu finden sind. Auch die Bezeichnung selbst ist nicht eindeutig. Das Weltkulturerbe ist ebenso auch in den Formen Tambaly oder Tamgaly bekannt. Diese Unterschiede sind vermutlich auf die Sprachbarrieren zwischen der lokalen, kasachischsprachigen Bevölkerung und den oftmals russischsprachigen Wissenschaftlern in den Anfangstagen der Erforschung der Stätte zurückzuführen.

Ebenfalls unweit von Almaty existiert noch ein weiterer Ort mit dem Namen Tamgaly-Tas, an dem in Stein geritzte Zeichnungen zu finden sind. Dort allerdings, direkt am Ufer des Flusses Ili und unweit des Kaptschagai-Stausees, finden sich die Abbildungen mehrerer Buddha-Figuren, die von gläubigen Reisenden aus Indien im 17. Jahrhundert erschaffen wurden. Dieser Verwechslung sind wohl schon unzählige Touristen auf ihrer Reise durch Zentralasien aufgesessen.

Die Petroglyphen von Tanbaly bekamen auf der 28. Sitzung der UNESCO 2004 den Titel des Welterbes verliehen. Es existiert eine Liste mit aktuell 13 weiteren Orten, Stätten oder Naturräumen in Kasachstan, die als Kandidaten auf den Welterbestatus infrage kommen. Da sich solche Nominierungen allerdings für Jahrzehnte in die Länge ziehen können, steht es in den Sternen, wann Kasachstan um ein weiteres offizielles Welterbe bereichert wird. Aber darauf warten muss man nicht unbedingt, all diese wundervollen und höchst interessanten Orte lassen sich auch heute bereits problemlos bereisen und entdecken.

Philipp Dippl

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