Er kultivierte das Notizbuch und die kleine, skizzenhafte Form. Leonardo da Vinci ist nicht nur als Maler der Mona Lisa, sondern auch als experimentierfreudiger Forscher und Ingenieur von Interesse. Seit dem Fund seiner mutmaßlichen Werkstatt in Florenz vor einem Monat ist der Renaissancekünstler wieder in aller Munde

Der italienische Restaurator Roberto Manescalchi versetzte vor einem Monat Kunstexperten in Aufregung. Bei Forschungen auf dem Gelände des Instituts für Militärgeographie in Florenz hatte er ein bisher unzugängliches Treppenhaus und dahinter fünf verborgene Räume entdeckt. Sensationell waren jedoch nicht die Fresken, die man dort an den Wänden fand. Vielmehr soll es sich bei den geheimen Gemächern um eine Werkstatt Leonardo da Vincis handeln. Für Manescalchi, Entdecker der über 500 Jahre alten Wandbilder, besteht daran kein Zweifel: „Es ist ein wenig absurd, wenn man bedenkt, dass wir jetzt, im Jahr 2005, eine Werkstatt von einem der größten Künstler aller Zeiten finden. Aber genau das ist geschehen.” Und seine Annahme scheint berechtigt. Die Gebäude des staatlichen Instituts gehörten früher zum Kloster Santissima Annunziata, wo Leonardo da Vinci von 1501 bis 1502 im Auftrag der Mönche ein Altarbild malte.

Auch ähneln die wieder entdeckten Fresken verschiedenen Werken Leonardo da Vincis. Eine Figur ist nur als Umriss erhalten, in Haltung und Position entspricht sie genau dem Erzengel Gabriel in Leonardos „Verkündigung”. Daneben finden sich an den Wänden des ehemaligen Klosters Vogelzeichnungen, wie sie auch Leonardo immer wieder angefertigt hatte.

Kunsthistoriker warnen aber davor, die Fresken vorschnell Leonardos Hand zuzuschreiben. Während der Renaissance war es üblich, dass Künstler wie da Vinci in ihren Werkstätten zahlreiche Gesellen beschäftigten, die ihnen zur Hand gingen. So könnten die Wandbilder durchaus im Stile da Vincis, jedoch nur von seinen Gehilfen angefertigt worden sein. Dennoch lässt sich mit dem Fund in Florenz auch eine Verbindung zum größten Werk da Vincis herstellen – zur Mona Lisa.

Obwohl lange Zeit Zweifel darüber herrschte, wer die Schöne auf dem berühmten Gemälde sei, sind sich Kunsthistoriker heute einig, dass es sich um Lisa del Giocondo handelt. Die 1479 geborene junge Frau aus bescheidenen Verhältnissen hatte am 5. März 1495 Francesco del Giocondo, einen durchschnittlich bemittelten Florentiner Kaufmann geheiratet. Sie war bereits die dritte Frau Giocondos, und weil ihre Mitgift als eher unbedeutend galt, nimmt man heute an, dass es sich um eine Heirat aus Zuneigung handelte. Vermutlich aus demselben Grund gab der Ehemann Lisa del Giocondos ein Portrait von ihr in Auftrag.

Unklar war lange Zeit, wann Leonardo da Vinci das Bild gemalt hat. Fest steht, dass es eines seiner späteren Werke ist und um 1500 in Auftrag gegeben wurde. Zu der Zeit, da er im Kloster Santissima Annunziata in Florenz arbeitete, war er so beschäftigt, dass er kaum Zeit für einen vergleichsweise unbedeutenden Auftrag eines bürgerlichen Kaufmanns gefunden haben wird.

Aber es ist wahrscheinlich, dass Leonardo da Vinci während seiner Arbeit im Kloster Francesco del Giocondo kennenlernte. Die Familie Giocondo unterhielt im Chor der Klosterkirche eine Grabkapelle, so dass sich Francesco und Leonardo hier wohl häufiger getroffen haben. Möglicherweise wurde der Auftrag zur „Mona Lisa” in den jetzt wieder entdeckten Räumen des ehemaligen Klosters vereinbart.

Francesco del Giocondo und seine Frau, die „echte“ Mona Lisa, sind im Kloster Santissima Annunziata in Florenz begraben. Sie haben das Gemälde nie erhalten. Wie bei allen seinen Werken arbeitete Leonardo an dem Portrait sehr lange. Bis zu seinem Tode behielt er es, danach geriet es in seinen Nachlass. Seitdem die „Mona Lisa” nach einem spektakulären Kunstraub zu Anfang des 20. Jahrhunderts in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt war, haben sich die Legenden und Mythen um das Gemälde vervielfacht. Heute gilt es als das bekannteste Kunstwerk der Welt.

Durch die „Mona Lisa“, „Das letzte Abendmahl“ oder „Die Felsgrottenmadonna“ ist Leonardo da Vinci vor allem als Maler bekannt. Dabei hat er in seinem ganzen Leben gerade einmal 30 Bilder fertiggestellt. Nur zwölf davon schreibt man ihm als alleinigen Urheber zu. Doch Leonardo da Vinci widmete sich neben der Kunst ebenso intensiv der Forschung und den Wissenschaften. Als sein eigentliches Werk gelten deshalb seit einigen Jahren die Notizen, Skizzen und Studien, die er Zeit seines Lebens in zahlreichen Notizbüchern niederschrieb.

Über 13.000 Seiten hat Leonardo im Laufe seiner 67 Lebensjahre beschrieben. Nur etwa 7.000 sind davon erhalten. Doch je besser man die so genannten Codices, seine Notizbücher, sichtet und untersucht, desto mehr wird deutlich, welch fabelhafter Geist in diesem Mann gesteckt haben muss und wie sehr er unterschätzt wird, wenn man ihn lediglich als Maler begreift.

Leonardo, 1452 als unehelicher Sohn der Magd Caterina und des Anwalts Ser Piero nahe der toskanischen Stadt Vinci geboren, beginnt mit 14 Jahren eine Lehre bei Meister Andrea del Verrocchio in Florenz. Verrocchio ist einer der angesehensten Künstler der Stadt. Und Leonardo erlernt ein vielseitiges Handwerksrepertoire, wie es in den Werkstätten der aufblühenden Renaissance-Stadt Florenz Tradition ist. Die künstlerische Ausbildung Leonardos umfasst neben der Malerei die Goldschmiedekunst, die Bildhauerei, das Gießen von Bronze, die Schnitzkunst und die Musik.

Im Jahr 1476 eröffnet Leonardo in Florenz seine erste eigene Werkstatt, nachdem er in die Malergilde der Stadt aufgenommen und selbst Meister geworden ist. Doch es hält ihn nicht lange in der Stadt. 1482, mit 30 Jahren, übersiedelt er nach Mailand. Er fasst am Hofe der dortigen Fürstenfamilie Sforza Fuß und soll die nächsten 20 Jahre in der Stadt bleiben. Bei Hofe ist er zunächst als Architekt und Militäringenieur angestellt. Denn er hatte sich dem Fürsten vor allem mit der Idee für ein monumentales Reiterstandbild und mit technischen Neuerungen wie der Erfindung eines Maschinengewehrs empfohlen, das Ludovico Sforzas Eroberungszüge erleichtern sollte.

Nebenher geht Leonardo seinen eigenen Interessen nach. Er sieht die Malerei nicht nur als schöne Kunst. Für ihn ist sie das ideale Werkzeug zum Erkenntnisgewinn. Aus den Codices geht hervor, womit sich Leonardo bereits in Mailand beschäftigt. Er studiert Architektur, Hydraulik, Geologie, Botanik und Zoologie. Stets hat er einen Stift dabei und skizziert, was ihm über den Weg läuft: Katzen, Trunkenbolde, Wasserstrudel in den Kanälen der Stadt, das Spiel von Licht und Schatten in einer schmalen Gasse zur Mittagszeit.

Leonardo versucht, die Prinzipien der Kraftübertragung und der Bewegung zu verstehen. Bei eigenen Experimenten entdeckt er die Hebelgesetze und die Abhängigkeit der Reibung von Druck und Oberflächenstruktur. Seiner Liebe zur Mechanik entspringen zahlreiche Erfindungen. Er ersinnt Flaschenzüge, Kugellager, Räderwerke, Getriebe, konstruiert Spinn- und Webmaschinen, Walzwerke, Schleusen und Wasserpumpen. Leonardo da Vinci geht auch der Idee vom Perpetuum mobile nach, jener Maschine, die einmal in Bewegung versetzt, nie zum Stillstand kommt und dabei auch noch Arbeit verrichtet. Doch Leonardo merkt schnell, dass eine solche Maschine unmöglich ist.

Aus seinen Studien zur Zoologie entspringt schließlich die Idee, ein Fluggerät zu bauen, mit dem sich ein Mensch gleich einem Vogel in die Lüfte schwingen soll. Nachdem er Vögel und Fledermäuse beobachtet hat, konstruiert er Gleitflieger, Luftschiffe, Fallschirme. Er entwickelt sogar eine Luftschraube, die das Auftriebs-Prinzip heutiger Hubschrauber-Rotoren um Jahrhunderte vorweg nimmt. Doch nach Jahren vergeblicher Bemühungen, gesteht sich Leonardo sein Scheitern ein. Er hat das Problem des Antriebs nicht lösen können, reicht doch die menschliche Kraft allein nicht aus, ein Flugzeug zu bewegen, und der Motor ist noch nicht erfunden.

Um die Figuren in seinen Gemälden mit den richtigen Proportionen zu versehen, sind Leonardo anatomische Studien stets sehr wichtig. Oft sucht er monatelang nach Modellen für eine Hand, eine Nase oder passende Augen. Er ist der erste Künstler, der zunächst aus künstlerischem, später aus medizinischem Interesse Sektionen an menschlichen Leichen durchführt – zu Leonardos Zeit ein gefährliches Unterfangen, da Leichenöffnungen verboten waren. Auch bei dieser Arbeit hielt er stets Stift und Feder bereit. Es entstanden über 200 Seiten anatomischer Zeichnungen, die nicht immer medizinisch korrekt, aber in ihrer Präzision noch heute beeindruckend und einmalig sind. So haben wir Leonardo da Vinci die erste Darstellung eines menschlichen Fötus in der Gebärmutter zu verdanken und ebenso die erste Beschreibung der Arteriosklerose.

Wie viele Bilder Leonardos blieben auch die meisten seiner Ideen unvollendet und wurden nie realisiert. Man mag dies als Scheitern bezeichnen. Doch Leonardo suchte die Vollkommenheit. In seinen Bildern wollte er die Realität nicht nur wiedergeben, er wollte sie gestalten und verbessern. Bei seinen Erfindungen begnügte er sich oft damit, ein Problem zu lösen, an der Umsetzung lag ihm offenbar nicht viel. Auch sein letztes Projekt beendete er nicht. Seine letzten Jahre verbrachte er in Frankreich unter dem Schutz des Königs Franz I. Er war als Hofbaumeister angestellt und wollte in dieser Funktion die Loire und ihre Nebenflüsse schiffbar machen. Noch ehe das Vorhaben beendet wurde, starb Leonardo da Vinci am 2. Mai 1519 nach einem Schlaganfall.

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