„Architektur ist für mich nicht nur Baukunst, sondern ein Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen“ – mit diesen Worten eröffnete die Journalistin Edda Schlager am 17. Juli in Berlin die Präsentation ihres neuen Buchs über die Architektur Almatys. Das Event, das in einem georgischen Restaurant veranstaltet wurde, stieß auf großes Interesse bei Architekturinteressierten, Zentralasienkenner:innen und Berliner Kulturschaffenden. Wie sich die Stadt über die Zeit hinweg verändert hat und welche Besonderheiten die jeweiligen Zeitabschnitte auszeichnen, wollte Edda Schlager mit ihrem Buch herausarbeiten.

Deutsche Almatinka über Almaty

Almaty, die Stadt, in der Edda Schlager insgesamt 18 Jahre gelebt hat, nimmt in ihrem Leben einen besonderen Platz ein. Sie bezeichnet sich selbst als „Almatinka“ und hat zahlreiche Veränderungen hautnah miterlebt – von Alltagsszenen in den Straßen bis hin zu den großen Entwicklungen in der Baukultur. Ihr Buch, das als 250. Titel in dem Verlag erscheint, ist ein echtes Herzensprojekt, an dem sie über viele Jahre recherchiert und gearbeitet hat. Ursprünglich sollte das Buch schon früher erscheinen, erzählt sie – doch die aufwendige Recherche und persönliche Genauigkeit ließen sich nicht beschleunigen. Schlager porträtiert darin 115 Gebäude unterschiedlicher architektonischer Epochen: von der Zarenzeit über den Konstruktivismus und die stalinistische Phase bis hin zur sowjetischen und kasachischen Moderne. Da es bislang keine feste Gliederung für die architektonischen Epochen Almatys gibt, übernimmt Edda Schlager die Einordnung und präsentiert ihre eigene Sichtweise.

Für Schlager ist die Architekturgeschichte Almatys mehr als eine Aneinanderreihung von Stilen – sie spiegelt gesellschaftliche Entwicklungen und persönliche Geschichten wider. So beschreibt sie etwa das Qysyl-Tan-Gebäude von 1896 als eklektisches Kleinod; viele ihrer Aufnahmen zeigen die Stadt in winterlich-grauem Licht, das die Wirkung der Fassaden verstärkt: klar, kontrastreich – für manche jedoch auch etwas dramatisch. Ein weiteres Beispiel ist das Uigurische Theater, ursprünglich ein Bau des Konstruktivismus, später mehrfach umgestaltet – eindrucksvoll steht es für die vielschichtige Entwicklung der Stadt. Schlager stellt die Frage, wie man mit architektonischer Vergangenheit umgeht und wie Gebäude neu betrachtet werden können.

Nicht nur einzelne, berühmte Bauten, sondern auch ganze Siedlungen rücken in den Fokus – etwa das Wohnensemble von 1937 für die Arbeiter der Kirov-Betriebe, dessen fragile Infrastruktur die Herausforderungen der damaligen Zeit verdeutlicht. Im Zentrum ihrer Recherche stehen außerdem die Phasen des Massenwohnungsbaus der 1950er Jahre, die damals meist noch in Ziegelbauweise entstanden – lange bevor die Plattenbauweise vorherrschte. Für manche ist das heute Geschichte, für andere nach wie vor Teil ihres Alltags und ein Stück Heimatgefühl.

Für ihre Arbeit hat Edda Schlager zahlreiche Stimmen einbezogen: darunter Professorin Gulnara Abdrassilova vom Bauinstitut und engagierte Hobbyforscher:innen, die historische Fotos sammelten und ihre Begeisterung für die Stadt teilten. Auch Interviews mit Architekt:innen und Zeitzeug:innen sind eingeflossen und zeigen, wie eng Architektur und Gesellschaft in Almaty miteinander verbunden sind. Ihr Buch dokumentiert außerdem Fälle, in denen Wohnkomplexe abgerissen und Chefarchitekten wegen Korruptionsvorwürfen ihre Ämter verloren haben – ein Zeichen für die Dynamik und teils schwierigen Entwicklungen der Stadt.

Edda Schlager betont explizit ihren nicht-akademischen Zugang: Sie ist keine Architektin, sondern Beobachterin, Journalistin, Forscherin. Ihr Blick bleibt neugierig und vielschichtig – neben großen städtebaulichen Entwicklungen interessieren sie auch Details aus dem Alltag sowie Aspekte ihrer anderen Recherchefelder, wie Gletscher und landwirtschaftliche Themen.

Abschließend lädt Edda Schlager mit ihrem Buch dazu ein, Almaty neu zu entdecken und betont, wie sehr sich Stadt und Gesellschaft bis heute in ihrem Verständnis und Zugang zu Wohnraum und Architektur im Wandel befinden. Im Herbst soll das Buch auch in Almaty vorgestellt werden – ein weiterer Schritt, die architektonische Geschichte der Stadt sichtbarer zu machen.

Darya Koppel

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