Gerade komme ich aus dem Dokumentarfilm „pereSTROIKA“. Eine Gemeinschaftswohnung in Petersburg soll verkauft werden. Das ergibt bei all den individuellen Ansprüchen und Befindlichkeiten ein wildes Durcheinander von Eigentums- und Mietverhältnissen, gespickt mit Machtkämpfen und Profilneurosen. Es wird verhandelt, geschmollt, gedroht, gelogen, und am Ende gibt es sogar eine Schlägerei. Aber bis dahin ist noch ein weiter Weg.
Doch ich kürze ein wenig ab und komme gleich zum wichtigsten Meilenstein: dem gemeinsamen Termin bei der Bank. Eine Bravourleistung sondergleichen, so viele Menschen zu einem einzigen Termin zusammenzubekommen. Der Riesentrupp ist also versammelt und in Reih und Glied aufgestellt, um die Unterschriften zu leis-ten. Doch es gibt Verzögerungen wegen einer ungeklärten Versicherungsfrage, die zu guter Letzt geklärt werden konnte. Aber: O nein! Es stellt sich heraus, dass sich ein Klecks im Pass eines Beteiligten befindet. Der Pass wird für ungültig erklärt! Mit einem Klecks im Pass ist da nichts zu machen. Es wird nach dem Schuldigen gesucht, der den Klecks bei den vorherigen Prüfungen hat durchgehen lassen. War es gar der Abteilungsleiter, der diesen Klecks übersehen hat? Nein, welche Inkompetenz! Aber dann – Gott sei Dank – wird doch die Gültigkeit des Passes – mit beziehungsweise trotz Klecks – erklärt. Oder genauer: Der Klecks für sich genommen sei gültig und damit auch der Pass. Alle atmen auf, sonst wäre die ganze Chose wieder von vorn losgegangen. Jetzt geht nach zehn Stunden Prozedur und Verhandlung auf der Bank doch noch alles seinen rechten Gang. Also dann, antreten zur Unterschrift! Möglichst klein solle man unterschreiben. Kein Problem. Obwohl … Kurz vor Schluss wird bemerkt, dass ein Dokument noch nicht gültig ist, weil jemand auf einer der vielen Seiten nicht unterschrieben hat. Und wer kann es anderes gewesen sein als schon wieder derselbe Unglücksrabe, der schon den Klecks … Aber das ist schnell nachgebessert, die Anspannung schlägt um in allgemeine Erheiterung.
Ja, so kann es einem in Russland ergehen. Und so ähnlich ist es mir auch schon ergangen. Zwar habe ich nicht gekleckst, aber bei mir hat das eine oder andere Mal mitten in einem Schreiben der Stift seinen Geist aufgegeben. Dass man Anträge ausschließlich handschriftlich und ganz ohne Fehler und ganz ohne Kleckse erstellen und Formulare ganz bestimmt innerhalb der vorgegeben Kästchen ausfüllen muss, ist ja schon Herausforderung genug. Aber dass man nicht, auf gar keinen Fall, den Stift wechseln darf, hat den Vogel abgeschossen. Und es ist ja nicht gerade so, dass die Qualität der Kugelschreiber in Russland die Garantie zulässt, dass man damit mehr als 1.000 Zeichen schafft – mit Verlaub. Da kann man schon mal ins Schwitzen und Fluchen geraten. Wer bisher dachte, dass Bürokratie und Pedanterie vor allem in Deutschland daheim sind, der hat noch nicht gesehen, mit wie vielen Durchstreichungen, Gekrakel, Gekritzel und Bemerkungen NEBEN den Kästchen ich meist meine Formulare abgebe. Und zuweilen gar mit KLECKSEN! Und? Keiner meiner Anträge ist bislang je abgewiesen worden. Da sag noch mal einer …
Julia Siebert
13/03/09