In diesem Jahr feiern die meisten Europäer den 50. Jahrestag des Starts der europäischen Einigung. Diese, als EU bekannte Gesellschaft von mittlerweile 27 Staaten, startete offiziell am 1.1. 1958 mit nur sechs westeuropäischen Staaten ein schwieriges und von vielen als unrealistisch bewertetes Projekt.

Die anfangs wirtschaftliche und später auch darüber hinausreichende Integration sollte auf einem über Jahrhunderte zerrissenen und zersplitterten Kontinent, der der zentrale Schauplatz aller wesentlichen Kriege der Menschheit war, stattfinden. Das Unterfangen war politisch auch deshalb schwierig, weil von Anfang an Deutschland, für viele der Erzfeind der Vergangenheit, in diesen demokratischen Integrationsprozess integriert sein sollte. Noch wenige Jahre zuvor, unmittelbar nach Kriegsende, hatte es ernsthaft diskutierte Pläne gegeben, dieses Land so zu zerstückeln, das es wirtschaftlich und politisch nie mehr auf die Beine kommen sollte. Es ist zum Glück anders gekommen, besser in jeder Hinsicht.
Die heutige EU ist eine Wirtschaftsmacht, mit der in vieler Hinsicht zu rechnen ist. Das Modell der Integration von wirtschaftlich, aber auch mental doch so unterschiedlichen Staaten übt in der Welt eine hohe Anziehungskraft aus, ist Vorbild für eine Reihe weiterer angedachter Integrationsvorhaben.

Dabei ist nicht zu übersehen, dass nach einer langen Phase der zwar keinesfalls stagnations- und konfliktfreien Annäherung wichtiger Politikfelder die EU gegenwärtig in einer Sackgasse steckt. Das dürfte zuerst mit dem schnellen, in den letzten Jahren offensichtlich zu schnellen Tempo der Aufnahme neuer Mitglieder zusammenhängen. Diese sind zum einen wirtschaftlich spürbar schlechter entwickelt als die alten westeuropäischen Staaten, zum anderen hat die schnelle Ausweitung unter der Bevölkerung der Altmitglieder durchaus messbare Ängste hervorgerufen. Letztere können in demokratisch strukturierten Gesellschaften von den Politikern keinesfalls ignoriert werden. So musste zum Beispiel das Projekt einer gemeinsamen Verfassung wieder abgeblasen werden, weil die Franzosen und Niederländer mehrheitlich gegen diese gestimmt haben. Damit ist zwar die EU nicht handlungsunfähig oder gar verloren, aber doch irgendwie betäubt. Zumindest vorerst. Dabei ist das gescheiterte Verfassungsprojekt keinesfalls entscheidend für eine erfolgreiche Weiterentwicklung. Letztere sollte somit eher in die Tiefe gehen, statt in die Breite.

Wirtschaftlich ist die EU zweifelsfrei ein Erfolg: Der seit 1993 funktionierende Binnenmarkt hat alle wesentlichen Schranken im Austausch von Waren und Kapital, zum Teil auch von Dienstleistungen und Arbeitskräften in der Praxis beseitigt. Für die 13 EU-Staaten, die heute Mitglieder der Währungsunion sind und freiwillig und bewusst auf ein besonderes Symbol nationaler Souveränität – eine eigene Währung – verzichtet haben, hat der Euro letztlich nur Vorteile gebracht. Unerwartet schnell ist dieser in der Weltwirtschaft akzeptiert worden, auch weil er stabiler ist als die vorher besonders „hart“ bewertete Deutsche Mark.

Politisch, auch wirtschaftpolitisch, hat die EU jedoch jede Menge Baustellen, sprich viel Arbeit zur weiteren Forcierung der bisherigen Integration. Ein übergreifendes Thema, das man aber von oben nur bedingt beschleunigen kann, ist die gemeinsame europäische Identifikation. Zwar behaupten laut Umfragen bereits etwa 10 Prozent der EU-Bewohner von sich, sich in erster Linie als Europäer, also schon nicht mehr als Angehöriger eines Nationalstaates zu fühlen. Dieser Anteil ist nicht nur gering, er wächst auch dazu noch langsam. Das ist auch nicht verwunderlich, gibt es doch eigentlich keine gemeinsamen „europäischen“ historischen Daten, die eine solche Identität stiften könnten.

Entscheidender aber ist, dass allerorten Klagen geführt werden über die Zentralisierung, Bürokratisierung und übertriebene Harmonisierung der EU. Zumindest prägen diese subjektiven Momente die Wahrnehmung der EU in den Augen vieler Bürger. Nicht bekannt ist dabei aber im Gegenzug sehr oft, dass gerade durch die „EU-Bürokratie“ wesentliche Fortschritte für die Bürger erreicht wurden. Wenn man heute sehr billig innerhalb der EU-Staaten telefonieren und reisen, künftig auch billiger als bisher Strom, Wasser und Gas beziehen kann, so ist das vorwiegend ein Resultat der von Brüssel erzwungenen Liberalisierung der Märkte. Liberalisierung ist aber durchaus nicht immer nach dem Geschmack der Unternehmen, vor allem der Großunternehmen in solchen Dienstleistungsbereichen, wie Energieversorgung, Post, Telekommunikation und Finanzen.
Die Praxis hat also die prinzipielle Lebensfähigkeit integrierter Volkswirtschaften gezeigt. Ideale Zustände oder auf Dauer gelöste Fragen sind im realen Leben sowieso nicht zu erwarten, so dass man die kritisierten Zustände in der EU zwar überwinden sollte, aber auch nicht zu dramatisieren braucht.

Natürlich kann man in der Region Zentralasien keinesfalls das erfolgreiche Integrationsprojekt EU kopieren. Lernen kann man und sollte man daraus aber auf jeden Fall. Vor allem, dass die Integration auch unterschiedlich entwickelter Staaten machbar ist, obwohl sie natürlich umso schwerer wird, je stärker die Entwicklungsunterschiede sind. Doch ohne ernsthaften Start ist eine Zielerreichung unmöglich. Begonnen werden müsste dabei vor allem beim politischen Willen zur Integration, also beim Vertrautmachen mit dem Gedanken, dass die eigene nationale politische Souveränität teilweise aufzugeben ist. Das ist natürlich nicht leicht, wenn man sich daran gewöhnt hat, in einem kleinen Fürstentum erster und einziger Herrscher zu sein.

Bodo Lochmann

22/06/07

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