Im April nahmen Sicherheitskräfte in Deutschland vier Tadschiken wegen Terrorverdachts fest. Die Gruppe steht in Verbindung mit dem sogenannten „Islamischen Staat“ (verboten in Kasachstan) und plante Anschläge in Deutschland. Auch in ihrer Heimat Tadschikistan stellt der „Islamische Staat“ eine Bedrohung dar.

Am frühen Morgen des 15. April 2020 stürmen Polizisten Wohnungen in Nordrhein-Westfalen und nehmen vier Männer fest. Sie sind tadschikische Staatsbürger und gehören der terroristischen Organisation „Islamischer Staat“ („IS“) an. Insgesamt sind über 350 Einsatzkräfte an dem Einsatz beteiligt. In dem von der Coronakrise schwer getroffenen Kreis Heinsberg tragen einige Beamte des SEK Mundschutzmasken. Am selben Tag untersuchen die Beamten die Wohnungen sowie sechs weitere Objekte in Nordrhein-Westfalen nach Waffen, Sprengstoff und anderen Indizien. Eine weitere Person, die als Anführer der Gruppe gilt, sitzt bereits seit 15. März in Untersuchungshaft. Zusammen planten die Männer Anschläge auf US-Stützpunkte in Deutschland sowie auf eine Einzelperson, die sich aus ihrer Sicht islamkritisch geäußert hatte.

Schon knapp ein Jahr zuvor wurden elf Männer, größtenteils Tadschiken, in NRW und Baden-Württemberg festgenommen. Laut der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf handelte es sich dabei um dieselbe Gruppierung. Die Polizei vermutete damals Waffen und Sprengstoff, vorgesehen für eine „schwere staatsgefährdende Gewalttat“ sowie einen politisch motivierten Mord. Bei den Durchsuchungen konnte die Polizei jedoch nichts finden und ließ die Beschuldigten kurz darauf wieder frei.

Terrorzelle in Deutschland

Die fünf Männer, die dieses Jahr festgenommen wurden, kamen 2012 als Flüchtlinge nach Deutschland. Laut Generalstaatsanwaltschaft schlossen sie sich 2019 dem „IS“ an und gründeten in dessen Auftrag eine Terrorzelle in Deutschland.

Zeitweise planten die Männer, in ihre Heimat Tadschikistan zurückzureisen. Sie wollten dort gemeinsam mit anderen „IS“-Anhängern im bewaffneten „Dschihad“ an Kämpfen gegen die Regierung teilnehmen. Später änderten sie ihre Pläne und begannen stattdessen, Anschläge in Deutschland vorzubereiten. Während der gesamten Zeit standen sie in Kontakt mit zwei ranghohen Führungsmitgliedern des „IS“ in Afghanistan und Syrien, von denen sie Anweisungen erhielten. Um die Anschläge zu finanzieren und den „Islamischen Staat“ zu unterstützen, sammelte die Terrorzelle Geld in Deutschland. Über Finanzagenten in der Türkei wurden die Spenden an den „IS“ weitergeleitet.

Zusätzlich nahm die Gruppe einen Mordauftrag in Albanien an, für den sie 40.000 US-Dollar bekommen sollte. Zwei ihrer Mitglieder reisten nach Albanien, um den Auftrag auszuführen. Jedoch scheiterte das Attentat. Die beiden konnten das Mordziel nicht aufspüren und reisten ab. Zurück in Deutschland, spähten sie amerikanische Luftwaffenstützpunkte als Anschlagsziele aus. Laut Medienberichten überlegte die Gruppe, Anschläge auf die Militärbasen mit Drohnen oder Gleitschirmen zu verüben. Währenddessen beobachtete einer der fünf das geplante Mordopfer – einen Youtuber, der in seinen Videos den Islam kritisierte.

Der „IS“ in Tadschikistan

Zum Zeitpunkt der Festnahme hatte die Zelle bereits scharfe Schusswaffen mit Munition besorgt. Sie besaßen Bauanleitungen für Bomben und dafür notwendige Einzelteile, die sie via Internet bestellt hatten. Deutsche Sicherheitsbehörden durchkreuzten die Pläne schließlich. Die fünf „IS“-Mitglieder befinden sich bis heute in Untersuchungshaft. Da es sich um ein laufendes Verfahren handelt, ist wenig mehr über die Gruppe und ihren genauen Hintergrund bekannt. Indessen führen in ihrem Heimatland Tadschikistan weitere Spuren zum „IS“.

Nach Angaben der tadschikischen Behörden reisten ungefähr 1.900 Tadschiken nach Syrien und Irak, um dort an der Seite des „IS“ zu kämpfen. Der wohl bekannteste „IS“-Anhänger aus Tadschikistan ist Gulmorod Chalimow. Nach seiner militärischen Ausbildung – unter anderem durch US-Einsatzkräfte und das US-amerikanische private Sicherheits- und Militärunternehmen „Academi“ (ehemals „Blackwater“) – arbeitete er als Kommandant einer Spezialeinheit der tadschikischen Polizei. 2015 lief er zum „IS“ über und kämpfte als „Kriegsminister“ des „Islamischen Staats“ in Syrien. Lange Zeit galt er als Nummer zwei hinter dem einstigen „IS“-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi. Es wird vermutet, dass er im September 2017 bei einem Luftangriff ums Leben kam, doch ist sein Tod bis heute nicht
bestätigt.

Brutale Gewalttaten

Die erste Tat innerhalb Tadschikistans, zu der sich der „Islamische Staat“ bekannte, ereignete sich im Sommer 2018. Auf offener Straße erstach eine Gruppe von Männern vier Fahrradtouristen – zwei US-Bürger, einen Schweizer und einen Niederländer. Der „IS“ veröffentlichte kurz darauf ein Video, in dem die Angreifer dem „IS“ die Treue schwören.
Wenige Monate später kam es zu Aufständen in einem Gefängnis im Norden Tadschikistans, bei denen mehrere Menschen starben. Der tadschikische Außenminister Sirodjidin Muhriddin sprach von 23 Opfern, laut Berichten unabhängiger Medien waren es bis zu 50. Kurz nach dem Vorfall erklärte der „IS“ über seine Nachrichtenagentur Amaq, dass einer seiner Kämpfer den Aufstand ausgelöst habe.

Vergangenes Jahr wurden bei einem Anschlag auf einen tadschikisch-usbekischen Grenzposten 17 Menschen getötet. Auch wenn sich der „Islamische Staat“ nicht zu dem Anschlag bekannt hat, hieß es von Seiten der tadschikischen Regierung, es handle sich bei den festgenommenen Kämpfern um „IS“-Mitglieder. Allerdings bestehen Zweifel an der offiziellen Darstellung des Anschlags. Währenddessen sorgt der „IS“ an einer anderen Grenze, der tadschikisch-afghanischen, ebenfalls für Unruhen.

Tadschikistan und radikaler Islamismus

Nach dem Fall der Sowjetunion brach in Tadschikistan ein fünfjähriger Bürgerkrieg zwischen der tadschikischen Regierung und islamischen Fundamentalisten aus. Die Regierung unter Emomali Rahmon ging siegreich daraus hervor und gewährte den Islamisten eine Regierungsbeteiligung. In den folgenden Jahren verdrängte Rahmon islamistische Kräfte wieder aus der Regierung. Schließlich wurde 2015 die „Islamische Partei der Wiedergeburt Tadschikistans“ verboten – die damals größte Oppositionspartei.

Darüber hinaus grenzen zunehmend islamfeindliche Maßnahmen die Religionsfreiheit in Tadschikistan ein. So wurden Moscheen geschlossen, Minderjährigen das Betreten von Moscheen untersagt, das Tragen des Hidschabs oder eines Barts bestraft. All das, um eine mögliche Radikalisierung der Bevölkerung durch Religion zu verhindern. Doch könnten gerade diese Einschränkungen jene Radikalisierung befördert haben.

Mehr Repression, mehr Anfälligkeit für Extremismus

Von Ungleichheit, Autoritarismus und Repression geprägte Länder bieten laut Experten eine große Angriffsfläche für Islamisten, die eine „gerechtere Gesellschaft“ propagieren. Trifft diese Annahme zu, birgt Tadschikistan ein besonders großes Potential für Islamisten.

Denn von allen Ländern der ehemaligen Sowjetunion ist es das ärmste. Die Bevölkerung ist abhängig von Überweisungen durch Verwandte, die im Ausland arbeiten. In den letzten Jahren entsprachen diese Überweisungen über einem Drittel des Bruttoinlandprodukts. Aufgrund des Mangels an Arbeitsplätzen arbeiten mehr als eine Million tadschikische Bürger im Ausland – davon rund 90 Prozent in Russland. Neben wirtschaftlichen Problemen hat das Land mit weiteren Herausforderungen zu kämpfen, etwa der anhaltenden Korruption und dem Opiathandel.

Was bleibt vom „IS“?

Der „IS“ ist zunehmend aus dem öffentlichen Fokus gerückt, seitdem er im Irak und in Syrien zurückgedrängt wurde. Dennoch ist die Organisation weiterhin an anderen Orten aktiv, beispielswiese in Afrika und Afghanistan. Bisher ist Tadschikistan nachweislich kein Zentrum des internationalen Dschihadismus.

Es ist unklar, ob sich jene in NRW festgenommenen Tadschiken in Deutschland oder in ihrer Heimat radikalisiert haben. Dessen ungeachtet treiben die prekären Umstände in Tadschikistan weiterhin Menschen in die Hände von Islamisten – und damit auch in die Radikalisierung.

Antonio Prokscha

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