Auekschan Kodar ist Herausgeber des vierteljährlich erscheinenden Intellektuellenmagazins „Tamyr“. Die DAZ sprach mit ihm über den Plan, ein Übersetzer-Institut zu gründen, sowie über die kasachstanische Kulturpolitik

DAZ: Herr Kodar, zu Anfang wurde die Zeitschrift „Tamyr“, die sie herausgeben, aus Mitteln der Soros-Stiftung finanziert. Nun erhält sie staatliche Unterstützung. Hat sich dadurch etwas in der bisherigen Ausrichtung der Zeitschrift geändert?

Auekschan Kodar: Nein, es gibt keine inhaltlichen Korrekturen, und Forderungen dieser Art wurden bislang nicht an mich gestellt. „Tamyr“ wird auch weiterhin ein kritisches, oppositionelles Journal bleiben. Wir beschäftigen uns mit konkreten Dingen, die jenseits der großen paradenhaften Veranstaltungen mit ihrem demonstrativen Pomp und Getöse liegen.

DAZ: Zum Beispiel?

Kodar: Ich plane schon seit längerem die Einrichtung eines Instituts, in dem Personal ausgebildet wird. Das geht natürlich nicht auf einen Schlag, das ist Kulturpolitik, eine Sache von Jahren.

DAZ: Was soll dies für ein Institut sein?

Kodar: „Tamyr“ hat ja Ende der 90er Jahre die Gründung eines staatlich geförderten Übersetzerprogramms angeregt und auch initiiert. Texte philosophischer Klassiker wie etwa Platon oder Aristoteles, aber auch zeitgenössische Denker wie Baudrillard oder Heidegger werden im Rahmen dieses Programms ins Kasachische übertragen. Der Dialog, der jahrzehntelang nicht stattfinden konnte – zwischen Kasachstan und der Weltkultur – soll so in Gang gesetzt werden. Eine Riesenarbeit liegt da vor uns. Deshalb habe ich die Gründung eines Literaturinstituts vorgeschlagen, in der es mehrere Abteilungen geben könnte, sowohl für schöngeistige Literatur als auch für wissenschaftliche Literatur. Gleichzeitig soll in ihm neues Personal ausgebildet werden. Gehör gefunden hat diese Idee aber noch nicht.

DAZ: Inwiefern passt diese Idee in das staatliche Kulturförderprogramm „Kulturelles Erbe“?

Kodar: Die Initiative dieses Kulturförderprogramms geht auf den Präsidenten Nursultan Nasarbajew zurück. Der Ausgangsgedanke dabei war, die kasachische Kultur an die Weltkultur heranzuführen. Und das soll nicht zuletzt mit Übersetzerarbeit geschehen.

Übersetzt werden sollen aber nicht nur philosophische oder literarische Werke. Es geht auch um Unterstützung bei archäologischen Grabungen, um die Restaurierung von Denkmälern, Mausoleen etc.

DAZ: Schafft diese Entdeckung einer genuin „kasachischen“ Geschichte nicht auch neue Mythen?

Kodar: Das sehe ich anders. Der Zugang ist wissenschaftlicher geworden. Mythen aber können wegen weit verbreiteter Unwissenheit gebildet werden. Wenn es nun die Möglichkeit gibt, sauber philologisch der wissenschaftlichen Welt derartige Entdeckungen vorzustellen, finde ich das sehr positiv. Außerdem finden im Rahmen des Programms nun auch Reisen zu Historikertagungen statt. Kürzlich wurde in China auf einer Tagung ein Briefwechsel kasachischer Sultane des 18. Jahrhundert mit chinesischen Herrschern vorgestellt. Ein wichtiger Fund, der Einiges über das Verhältnis der Chinesen und Kasachen im 18. Jahrhundert verrät.

DAZ: Viele Denkmäler in Kasachstan, die der Vergangenheit gewidmet sind, sprechen eine monumentale Sprache. Ist da die Kreation einer neuen Erinnerungskultur möglich?

Kodar: Ohne Fragen steht die derzeitige Erinnerungskultur im Zeichen einer Befreiung von der russischen und sowjetischen Diktatur. Sie ist dekolonisierend. Das Denkmal der Unabhängigkeit etwa am Platz der Republik von Almaty, dieser hochschießende Obelisk mit dem Schneeleoparden und dem „Goldenen Menschen“ auf der Spitze, ist in einer Umbruchzeit entstanden, die auch eine Umbruchzeit der Mythologie war. Der frisch entstandene Staat Kasachstan musste sich erklären in der internationalen Arena, er musste zeigen, dass die Kasachen unabhängig sind und eine reiche Geschichte haben. Sicher hat das Denkmal dabei auch eine Büchse der Pandora geöffnet: Beinahe jeder namentlich bekannt gewordene „Batyr“ aus der Geschichte kann inzwischen bei uns eine Denkmalfigur werden. (lacht)

DAZ: Das Denkmal Saken Narynows hingegen, das eine unkonventionelle Sprache spricht, wurde entfernt.

Kodar: Dabei ist es ein Denkmal, dass das Wesen unserer nationalen Gestalt adäquat ausdrückt. Der wie in der Luft schwebende, nur an einer Seite bodenberührende Knochen, den das Denkmal zeigt, symbolisiert den Würfelteil eines alten kasachischen Spiels. Bei diesem Spiel kam es darauf an, mit einem Wurf den Knochen in eine aufrechte Position zu bringen – die, so meinte man, Position für den optimalen Erfolg.

Aber bei dem Denkmal-Knochen von Narynow ist es noch gar nicht klar, in welche Position er fällt. Auf diese Weise findet das Ungleichgewicht, die Umbruchsituation in Kasachstan einen wirklich adäquaten Ausdruck. Immerhin hat man das Denkmal nur entfernt, nicht eingestampft. Es musste einem anderen Denkmal weichen. Es könnte an einer anderen Stelle wiedererrichtet werden.

DAZ: Vielen Dank für das Gespräch!

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