Die Wirtschaftskrise in Kasachstan hat dem Energiesektor eine Atempause verschafft. Noch vor drei Jahren herrschte Katastrophenstimmung, weil die Nachfrage nach Elektroenergie wesentlich schneller wuchs als die Möglichkeiten zu ihrer Erzeugung. Bereits in diesem Jahr wurden großflächige Abschaltungen erwartet. Dazu wird es mit Ausnahme einiger Ausfälle nicht kommen.
Die Ursache für das vorhergesagte Stromdefizit ist einerseits das rasante Wachstum stromintensiver Wirtschaftsbereiche, vor allem der Metallindustrie und andererseits der hohe Grad der Abnutzung der vorhandenen Stromerzeugungskapazitäten. Auf den ersten Blick hilft nur die Instandsetzung und Modernisierung der vorhandenen Kraftwerksblöcke oder der– in vieler Hinsicht auch zu bevorzugende – Neubau moderner Kraftwerke, da diese meist effizienter arbeiten als modernisierte Uraltanlagen.
In der Vergangenheit ist vieles vernachlässigt worden, überwiegend aus Gründen fehlender Finanzmittel und fehlenden Interesses ausländischer Investoren. Letztere konnten an größeren Investitionen in die teure Energietechnik gar nicht interessiert sein, weil die Tarife so niedrig waren, dass kaum die laufenden Betriebskosten der Stromerzeugung gedeckt wurden, geschweige denn Gewinne zum Reinvestieren entstehen konnten. Diese Situation hat sich nach den jüngsten Tariferhöhungen gewandelt.
Damit steht nun die Frage im Raum, in welche Bereiche die Investitionen fließen sollen. Hier scheiden sich die Geister, wobei der größte Teil der Experten den Neubau von Kohlekraftwerken bevorzugt. Das ist einerseits verständlich, verfügt Kasachstan doch über große Lagerstätten sehr kostengünstig im Tagebauverfahren abbaubarer Kohlevorräte. Dem steht gegenüber, dass Kohlekraftwerke mit die größten Emittenten des Klimagases CO2 sind. Da nun Kasachstan beim Kampf gegen den Klimawandel aktiv mitmachen will und das entsprechende Kyoto-Abkommen im letzten Jahr endlich ratifiziert hat, kann diese Frage nicht außer Acht gelassen werden.
Nach wie vor wird die Idee verfolgt, die Kernenergie zur Stromerzeugung wieder zu nutzen. Die Argumente dafür sind das viele eigene Uran und die aus der Sowjetzeit noch teilweise vorhandene Infrastruktur. Nun dauert die Diskussion darum schon mindestens 15 Jahre, und es hat bereits eine Reihe wesentlicher Korrekturen gegeben. Vom ursprünglichen Plan, eine Anlage am ökoempflindlichen Balchaschsee zu errichten, ist man mittlerweile wieder abgekommen. Das Kaspiprojekt hält sich hartnäckig.
Mit der Atomstrategie will Kasachstan einen ziemlich risikovollen Weg gehen. Ein Kernkraftwerksblock kostet ein Mehrfaches einer herkömmlichen Anlage. Das Geld muss man erstmal haben. Dann soll die russische Technologie des Schnellen Brüters genutzt werden, die es bisher nur in militärischen U-Booten gibt. In letzteren spielen Kosten fast keine Rolle, jedoch ist diese Technologie noch nicht in zivilen Kraftwerken an Land erprobt worden. Technische Probleme und damit Kostensteigerungen sind vorprogrammiert. Und nicht zuletzt muss man sich was einfallen lassen, um das dabei entstehende hochgiftige Plutonium zu entsorgen. Das kostet wieder Geld.
Würde mit der gleichen Intensität, mit der der Neubau von Kraftwerken, der sicher teilweise nicht vermeidlich ist, die Frage der konsequenten Verringerung der Energieintensität des kasachischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) diskutiert, könnte sehr schnell ein Großteil der teuren Energieerzeugungsprojekte in der Schublade verschwinden – ohne dass eine Energiekrise befürchtet werden müsste.
Bodo Lochmann
19/02/10