Menschen wie Erika Maizi werden meist als außergewöhnliche Menschen wahrgenommen: Ganz vertieft in die spirituelle Entwicklung, schreibt sie über schamanische Praktiken und lässt sich von Runen, mythologischen Motiven und der heiligen Magie des Webens inspirieren. Erika ist sich sicher, dass das Leben eines jeden Menschen in seinen Händen liegt. Man muss nur den mysteriösen Faden des Seins begreifen (vielleicht ist es der allegorische Faden der Ariadne?). Gehen sie heraus aus der karmischen Geometrie der Labyrinthe der eigenen Ängste und fangen Sie an, ein Schicksal zu weben, das nur Ihnen selbst gehört…

Erika, der Schriftsteller, Historiker, Künstler, Theoretiker und Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin behauptete: “Jeder Künstler schreibt „mit seinem Blut“. Was halten Sie von dieser Aussage?

Das fühle ich ganz genauso durch meinen künstlerischen Ausdruck mit der sakralen Stickerei. Das ‚eigene Blut‘ ist mein ureigener Lebensfaden, der unsichtbare Faden zur Quelle, die mich kreiert und in die Welt geboren hat. Ich verleihe dem einfach meine individuelle Form im großen Teppich des Seins.

Im Alter von neun Jahren haben Sie mit Ihren Eltern Almaty verlassen und sind nach Deutschland gezogen. Was war für Sie damals am schwierigsten? Beschreiben Sie Ihre Gefühle.

Ich habe damals leidenschaftlich gern Tennis gespielt. Ich war in einem Tennisinternat, seit ich fünf Jahre alt war. Es war kommunistisch und meine Tennislehrerin und Kameraden wie meine Familie. Ich konnte nicht verstehen, warum wir auf einmal ausgezogen sind. Ich konnte überhaupt kein Deutsch und hatte mich auf einmal von einem Tennisgenie in Kasachstan zu einem traurigen und entwurzelten Mädchen in Deutschland gewandelt.

Was haben Sie von Almaty im Gedächtnis behalten? Gibt es immer noch zwischen Ihnen und Ihrer Heimatstadt einen sehnlichen „unsichtbaren Faden“, von dem Sie in Ihrem Buch „The Wyrding Way“ schreiben?

In Erinnerung ist mir meine Lebendigkeit und Vitalität geblieben, die ich dort vor allem durch das Tennisspielen, Besuche der Berge rund um Medeo und Shymbulak, meine Familie mütterlicherseits, deren Mitglieder alle noch dort leben, und die sakrale kasachische Stickerei in mir spüre. Die kasachische ‚Tjubetejka‘ hat dort in Almaty ganze 30 Jahre auf mich gewartet. Seit ich mich wieder mit diesem unsichtbaren Faden verbunden habe nach 30 Jahren, höre ich die Tjubetejka zu mir sprechen und auch meinen Geburtsgeist („Ayami“-Geist im Sibirischen). Er ruft mich dazu auf, dort auf dem Berg ein Häuschen zu mieten, meinen Seelenpartner anzuziehen und auch eine Meisterin oder einen Meister zu finden, die mir diese alte Kunst des Tjubetejka-Stickens dort vor Ort beibringt.

Ich male gerade ein Bild, wo ich diese Vision umsetze. In meinem Buch ‚The Wyrding Way‘ beschreibe ich, wie ich diese Entwurzelung und viele kulturelle Fäden durch die Stickerei zusammenwebe zu einer Ganzheit. Zuerst in mir und dann auch im großen Teppich des SEINS. Wyrding bedeutet „Weben des Schicksals“ in der Nordischen Mythologie und Sprache.

Welchen Eindruck hat die Stadt Ihrer Kindheit nach 30 Jahren auf Sie gemacht?

Es ist viel moderner geworden, und vor allem habe ich viele Kasachen gesehen und weniger Russen als damals in den 80ern. Durch meine Verbindung zur Natur und vor allem den Bergen habe ich mich gleich zu Hause gefühlt. Der Garten meiner Großeltern, der Baum, auf den ich als Mädchen immer geklettert bin, das leckere Essen wie Kirschen und Äpfel aus Omas Garten, Medeo und die Berge haben mir sogleich das Gefühl gegeben, nach Hause zurückzukehren. Oder eher das Gefühl, dass ich nie weg war. Wieder verbunden mit meinem ureigenen Lebensfaden, meinen Wurzeln.

Welche energetische Kraft tragen für Sie alte ethnische Ornamente? Was hat Sie zur Stickerei geführt?

Sie tragen energetische Verbindungen zu Urvölkern. Ältere Zivilisationen waren viel stärker mit der Natur verbunden und litten noch nicht so sehr an dieser Krankheit der Entwurzelung. Als ich angefangen hatte, Anastasiabücher von Wladimir Megre zu lesen und zugleich das Buch „Das weiße Land der Seele“ von Olga Karitiditi über Sibirischen Schamanismus las, hat es mich durch sakrale Symbole in Rushnyks und auch im Schamanismus an meine Urwurzeln, meinen ureigenen Lebensfaden erinnert. Die Ornamente tragen eine Schwingung zu diesen Urkulturen in sich, und wenn ich diese mit Symbolen spezifisch aus meiner Ahnenlinie (Ukrainisch/Deutsch/Kasachisch) besticke, dann verbinde ich mich mit meinen Wurzeln, meinem Urfaden. Und die Entwurzelung und Ohnmacht durch viele kulturelle Fäden löst sich auf und wird zu meiner Selbstermächtigung durch sakrale Stickerei von bestimmten Symbolen. Es wird zum bewussten Schicksalsweben – dem Wyrding Way.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, mit der Transsibirischen Eisenbahn durch Russland, Kasachstan und die Mongolei zu reisen? Hat diese Reise Sie verändert?

Nachdem ich angefangen habe, mein Schicksalstuch ‚Rushnyk‘ zu sticken, konnte ich immer mehr meine Intuition wahrnehmen. Diese gab mir den Impuls, mich beim Sticken mit meinen vielfältigen Ahnenfäden und Wurzeln zu verbinden, wo ich doch schon 30 Jahre kein Russisch gesprochen habe und mich so sehr von ihnen entfernt hatte. Die Transsibirische Eisenbahn hat mich gerufen, weil die Reise lange dauert und ich so auch ganz langsam weitersticken konnte in der Bahn. Des Weiteren konnte ich so meine Lebensbaumsamen an verschiedenen Orten über eine Strecke von 10.000 km pflanzen. So fühle ich mich nun durch die verschiedenen Stickereisymbole aus diesen Ländern und die gepflanzten Baumsamen für immer mit meinen Ahnen verbunden. Ich fühle mich nicht mehr ‚weird‘, heimatlos und entwurzelt, sondern bewusst webend: das ist der Wyrding Way in Aktion. Ich habe hierfür eine Crowdfundingkampagne geführt und darüber dann in meinem Buch geschrieben.

Was ist für Sie richtig und was nicht? Was ist Ihr Glücksrezept?

Mein Rezept ist die bewusste Verbindung zu unserem Lebensfaden (der Nabelschnur zur Quelle) und hiermit auch zum Glücks – bzw. Schicksalsweben durch unseren Genius bzw. Daimon im Griechischen. Es ist aber nicht getrennt von der großen Mysterie des Seins. Wir können unser Schicksal durch Verbindung zum Genius beeinflussen, und gleichzeitig ist Hingabe zum Nichtwissen notwendig. Es ist ein Tanz mit Paradoxien. Darüber schreibe ich gerade mein zweites Buch „The even more Wyrding Way: turning demons into diamond“.

Im vergangenen Dezember wurde mir metastasierter Brustkrebs im letzten Stadium diagnostiziert. Darüber schreibe ich ein Buch. Indem ich meine Dämonen umarme und immer mehr herausfinde, warum sie da sind, werden diese transformiert in Diamanten. Die Heilung ist ein alchemischer Prozess durch die Annahme und Integration unserer abgespaltenen Anteile. Auch hier verbinde ich diesen Heilungsprozess mit sakraler Stickerei und schamanischer Arbeit. Was mit meinem Schicksalstuch ‚Rushnyk‘ angefangen hat, hat sich in meinen ureigenen Heilungssymbolen in meinem Schamanischen Kleid weitergewebt, und gerade besticke ich auch mein Heilungstuch ‚Rushnyk‘ mit Symbolen, die ich von einer ukrainischen Stickmeisterin vor kurzem gelernt habe.

Alles hat mit meinem Schicksalstuch angefangen, ging weiter mit persönlichen Kleidern, und momentan entwickle ich einen reisenden Teppich, wo unterschiedliche Kulturen und ihre Symbole verwendet werden. Außerdem eine Stiftung zur Präservation von Stickkünsten aus der ganzen Welt sowie eine Datenbank für Symbole aus der ganzen Welt. Vielleicht wäre auch eine Dokumentation über den reisenden Teppich der gestickten Symbole ein Weg? Wenn ich wieder gesund bin und in Almaty beginne – an meinem Geburtsort, dem Anfang meines ureigenen Lebensfadens? Und auch die deutsch-kasachischen Fäden weben würde, vom Ursprung an, und als Einladung an andere, weiter mit zu weben?

https://m.facebook.com/erika.maizi?pn_ref=friends_search

Danke für das Gespräch.

Die Fragen stellte Marina Angaldt.

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