Seit Anfang März lebt die Österreicherin Marlene Berg zusammen mit ihrem Freund in Almaty. Als Dozentin für Deutsch als Fremdsprache (DAF) unterrichtet sie in den nächsten fünf Monaten zukünftige Lehrer an der Ablai-Chan-Universität. Vom Leben in der ehemaligen kasachischen Hauptstadt und seinen Menschen ist sie begeistert, es fehlt ihr nur an kleinen Dingen.
„Jaaaa!“, rufen die zwölf Deutsch-Studenten der Pädagogischen Fakultät an der Ablai-Chan-Universität in Almaty gemeinsam, als Marlene Berg wissen will, ob das Seminar beendet werden soll. Nach drei aufeinander folgenden Stunden Fremdsprachenunterricht ist nicht nur die 26-jährige studierte Germa-nistin und Publizistin froh über den Feierabend. Sichtlich erleichtert tritt die Österreicherin mit der schwarzen Brille und den dunklen Rastazöpfen vor die Haustür in den Almatyer Frühling. Ihr Seminar über das österreichische Bildungssystem hat nur wenige Minuten zuvor viel körperlichen Einsatz von den werdenden Deutschlehrern verlangt. Beim so genannten Laufdiktat müssen die Studenten einen im Hausflur befindlichen Text sich Stück für Stück merken. Zurück in der deutschen Bibliothek, wo der Deutschkurs gehalten wird, werden die sich gemerkten Wortgruppen einem Kommilitonen diktiert. Das sportliche Gedächtnistraining nehmen die Kursteilnehmer engagiert und mit viel Spaß an: „Jetzt habe ich es schon wieder vergessen“, gesteht Madina Achmetschanowa und läuft mit großem Gelächter wieder zum gut zehn Meter entfernten Zettel mit dem Originaltext. Die zwei Bibliothekarinnen in der letzten Reihe bleiben vom regen Treiben des Sprachkurses völlig unbeeindruckt. In aller Ruhe sortieren sie zurückgegebene Leihbücher und notieren alles genauestens in einem Karteikarten-Register. Von Zeit zu Zeit stellen sie eines der Bücher in die leicht durchhängenden Regale, die jede freie Wand des Raumes verdecken. Kurz vor Seminarende kann Marlene Berg ihren Dialekt nicht ganz verdrängen. „Fehlt dort vielleicht noch irgendwo ein Beistrich?“, fragt die Absolventin der Universität Wien. „Oh, Entschuldigung, ein Komma?“, korrigiert sich die 26-Jährige und löst die aufgekommene Verwunderung mit einem Lächeln auf.
Drei Worte Russisch, Hände und Füße
Dass sie eines Tages als Dozentin für Deutsch als Fremdsprache arbeiten würde, hätte Marlene Berg nach eigener Aussage vor ein paar Jahren noch selbst nicht gedacht. „Eigentlich habe ich die DAF-Ausbildung nur zur Sicherheit gemacht. Dabei müssen fünf Stunden Unterricht gehalten werden. Das hat mir total gut gefallen, so dass ich dabei geblieben bin“, erzählt die Österreicherin. Seit dem Ende des Studiums im Januar 2005 arbeite sie nun in Wien als Deutschlehrerin für Nichtmuttersprachler und könne sich dies auch mittelfristig als Beruf vorstellen.
In Kasachstan absolviert Marlene Berg ein vom österreichischen Bildungsministerium gefördertes Praktikum. „Mein Freund und ich hatten es im Studium nie geschafft, ein Auslandssemester zu absolvieren. Deshalb wollten wir gern noch einmal irgendwo hin, wo es anders ist. Er hat dann ein Praktikum in Kasachstan gefunden, und ich habe diese Stelle bei einem Praktikumsprogramm der Uni Wien bekommen, weil sonst keiner nach Kasachstan wollte“, berichtet die Germanistin. Besonders die Menschen in dem zentralasiatischen Land haben es der Österreicherin angetan: „Die Leute sind hier so aufgeschlossen. Wir reden nur drei Worte Russisch, den Rest mit Händen und Füßen. Aber alle sind sehr daran interessiert, dass wir verstanden werden, das ist bei uns nicht so, leider.“
Interesse an Russisch und Wiener Melange
Laut Vertrag sollte Marlene Berg acht Stunden pro Woche an der Pädagogischen Fakultät der Ablai-Chan-Universität Lehramtsstudenten in Deutsch unterrichten, „aber als Muttersprachler wird man gern mal ein wenig rumgereicht und in andere Fakultäten geschleppt“, verrät sie mit einem Grinsen. Den Umzug von der 70-Quadratmeter-Wohnung in Wien in das Wohnheimzimmer mit 12 Quadratmetern war für die schwarzhaarige Dozentin und ihren Freund gewöhnungsbedürftig. „Ich finde es aber total super, um Anschluss zu bekommen“, räumt Marlene ein. Schon heute haben die zwei Alpenländler in Kasachstan eine neue Leidenschaft gefunden – Russisch. „Wir haben dreimal in der Woche Unterricht, und ich werde auf jeden Fall zu Hause weitermachen“, hat sich Marlene vorgenommen. In Almaty fühle sie sich vor allem auch deshalb richtig wohl, weil man nicht alles immer zu korrekt sehe. „Wenn ich zwei Minuten zu spät zum Unterricht komme, wundern sich meine Studenten, dass ich so pünktlich bin. Dass man das hier eher locker nimmt, entspricht meinem Naturell“, gesteht sie. Aus der über 4.600 Kilometer entfernten Alpenrepublik Österreich vermisst die Dozentin für deutsche Sprache bisher nur eine Spezialität: „Es gibt hier eigentlich schon richtig guten Kaffee, aber es fehlt mir trotzdem eine richtige Wiener Melange.“
Von Mathias Fritsche
07/04/06